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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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An diese kritischen Arbeiten über das Drama schließen wir die Besprechung
einiger dramatischen Dichtungen. Da ist zunächst Luther, ein dramatisches
Gedicht von Friedrich M. Mühlhausen (Leipzig, Wigand, 1896). Es
ist nicht leicht, gegenüber einer wohlgemeinten und ernsten Dichtung über einen
schönen und großen Gegenstand einen Standpunkt zu gewinnen, wie ihn der
Beurteiler sich schuldig ist, und der zugleich dem Dichter, wenn man ihn fragen
wollte, gerechtfertigt erscheinen würde. Luther bleibt immer Luther, und was
wirksam ist an einer derartigen Dichtung, das wirkt meistens trotz des Dichters
und ohne sein Verdienst. Auf der andern Seite aber ist es gewiß doppelt
schwer, in einem Drama über Luther neues und eignes Verdienst zu zeigen.
Doch wir wollen uns auf einen etwas festern Boden begeben. Der Verfasser
schreibt, abgesehen von einer Prosaszene, in fünffüßigen Jamben. Es scheint,
als ob er diese unscheinbaren, reimlosen Verse für leichter gehalten Hütte.
Größere Vorgänger vor ihm haben manchmal behauptet, sie wären im Gegen¬
teil schwerer als gereimte. Jamben bestehen ja bekanntlich nur aus Hebungen
und Senkungen. Aber wie steht es damit z. B. in folgenden Versen:


Alexius

-lustmiitvus <is,i Iionoros.


Luther

Ja.

oder folgenden:


Luther

Getrost.


Mönch

Welch eine That so grauenvoll
Liegt dir auf dem Gewissen? Öffne mir
Mein Sohn, dein Herz.

oder vollends:

Ehernen Klanges. Bist, Uuselger du

oder:

Und ich, ich muß begehren, ich bin so
Geboren, ich kann ja nicht heilig sein!

oder:

Ich gehe, um

Fräulein von Bora herzurufen.

Und sehr viel häufiger noch, als uns solcher Widerstreit von Wort- und
Verston an die Ohren schlägt, langweilen uns die bedeutungslosen Flickwörter,
die nur die Aufgabe haben, die Silbenzahl vollzumachen. Man höre z. B.
folgendes:

Nein!

Wir müssen alle, jeder selber, sterben,
Ein jeder muß selbst auf die Schanze, muß
Selbst mit dem Tode und dem Teufel ringen.


An diese kritischen Arbeiten über das Drama schließen wir die Besprechung
einiger dramatischen Dichtungen. Da ist zunächst Luther, ein dramatisches
Gedicht von Friedrich M. Mühlhausen (Leipzig, Wigand, 1896). Es
ist nicht leicht, gegenüber einer wohlgemeinten und ernsten Dichtung über einen
schönen und großen Gegenstand einen Standpunkt zu gewinnen, wie ihn der
Beurteiler sich schuldig ist, und der zugleich dem Dichter, wenn man ihn fragen
wollte, gerechtfertigt erscheinen würde. Luther bleibt immer Luther, und was
wirksam ist an einer derartigen Dichtung, das wirkt meistens trotz des Dichters
und ohne sein Verdienst. Auf der andern Seite aber ist es gewiß doppelt
schwer, in einem Drama über Luther neues und eignes Verdienst zu zeigen.
Doch wir wollen uns auf einen etwas festern Boden begeben. Der Verfasser
schreibt, abgesehen von einer Prosaszene, in fünffüßigen Jamben. Es scheint,
als ob er diese unscheinbaren, reimlosen Verse für leichter gehalten Hütte.
Größere Vorgänger vor ihm haben manchmal behauptet, sie wären im Gegen¬
teil schwerer als gereimte. Jamben bestehen ja bekanntlich nur aus Hebungen
und Senkungen. Aber wie steht es damit z. B. in folgenden Versen:


Alexius

-lustmiitvus <is,i Iionoros.


Luther

Ja.

oder folgenden:


Luther

Getrost.


Mönch

Welch eine That so grauenvoll
Liegt dir auf dem Gewissen? Öffne mir
Mein Sohn, dein Herz.

oder vollends:

Ehernen Klanges. Bist, Uuselger du

oder:

Und ich, ich muß begehren, ich bin so
Geboren, ich kann ja nicht heilig sein!

oder:

Ich gehe, um

Fräulein von Bora herzurufen.

Und sehr viel häufiger noch, als uns solcher Widerstreit von Wort- und
Verston an die Ohren schlägt, langweilen uns die bedeutungslosen Flickwörter,
die nur die Aufgabe haben, die Silbenzahl vollzumachen. Man höre z. B.
folgendes:

Nein!

Wir müssen alle, jeder selber, sterben,
Ein jeder muß selbst auf die Schanze, muß
Selbst mit dem Tode und dem Teufel ringen.


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[0439] An diese kritischen Arbeiten über das Drama schließen wir die Besprechung einiger dramatischen Dichtungen. Da ist zunächst Luther, ein dramatisches Gedicht von Friedrich M. Mühlhausen (Leipzig, Wigand, 1896). Es ist nicht leicht, gegenüber einer wohlgemeinten und ernsten Dichtung über einen schönen und großen Gegenstand einen Standpunkt zu gewinnen, wie ihn der Beurteiler sich schuldig ist, und der zugleich dem Dichter, wenn man ihn fragen wollte, gerechtfertigt erscheinen würde. Luther bleibt immer Luther, und was wirksam ist an einer derartigen Dichtung, das wirkt meistens trotz des Dichters und ohne sein Verdienst. Auf der andern Seite aber ist es gewiß doppelt schwer, in einem Drama über Luther neues und eignes Verdienst zu zeigen. Doch wir wollen uns auf einen etwas festern Boden begeben. Der Verfasser schreibt, abgesehen von einer Prosaszene, in fünffüßigen Jamben. Es scheint, als ob er diese unscheinbaren, reimlosen Verse für leichter gehalten Hütte. Größere Vorgänger vor ihm haben manchmal behauptet, sie wären im Gegen¬ teil schwerer als gereimte. Jamben bestehen ja bekanntlich nur aus Hebungen und Senkungen. Aber wie steht es damit z. B. in folgenden Versen: Alexius -lustmiitvus <is,i Iionoros. Luther Ja. oder folgenden: Luther Getrost. Mönch Welch eine That so grauenvoll Liegt dir auf dem Gewissen? Öffne mir Mein Sohn, dein Herz. oder vollends: Ehernen Klanges. Bist, Uuselger du oder: Und ich, ich muß begehren, ich bin so Geboren, ich kann ja nicht heilig sein! oder: Ich gehe, um Fräulein von Bora herzurufen. Und sehr viel häufiger noch, als uns solcher Widerstreit von Wort- und Verston an die Ohren schlägt, langweilen uns die bedeutungslosen Flickwörter, die nur die Aufgabe haben, die Silbenzahl vollzumachen. Man höre z. B. folgendes: Nein! Wir müssen alle, jeder selber, sterben, Ein jeder muß selbst auf die Schanze, muß Selbst mit dem Tode und dem Teufel ringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/439>, abgerufen am 01.09.2024.