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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

einen Teil der Strafmacht des Staats aus den Händen der Richter in die der
Strafanstaltsbeamten. Der Deutsche hält ja aber den Richterspruch leicht für
etwas unfehlbares; ein Wort Bismarcks macht auf manchen nicht so tiefen
Eindruck wie der Urteilsspruch eines Richters. Infolge dessen haben sich viele
Juristen im Bewußtsein ihrer Würde gegen die bedingte Verurteilung sehr ab¬
lehnend verhalten; ein andrer als der Richter, hieß es, sei nicht imstande, die
Zeitdauer der Strafe zu bestimmen. Nun muß ja zugegeben werden, daß die
bedingte Verurteilung ein zweischneidiges Schwert ist. Dem reuigen Sträf¬
ling kann sie sehr bald die Freiheit wiedergeben, gegen den verstockten Ge¬
wohnheitsverbrecher wird sie zur wirksamen Waffe, da sie das Recht giebt,
ihn lebenslänglich einzusperren. Wie komisch unten aber andrerseits den Straf¬
anstaltsbeamten manche Urteile an! Wegen der allergewöhnlichsten Kuppelei
bekommt ein ganz verworfnes Subjekt ein Jahr Gefängnis und fünf Jahre
Ehrverlust. Was macht einem ehrlosen Menschen der letzte Teil der Strafe
aus? Wenn das Urteil gelautet hätte fünf Jahre Gefängnis und ein Jahr
Ehrverlust, das hätte auf diesen hartgesottnen Taugenichts einen ganz andern
Eindruck gemacht. Das Streben der internationalen kriminalistischen Vereini¬
gung hat seinen Grund in der Erkenntnis, daß man mit dem heutigen Straf¬
gesetzbuch dem Verbrechertum gegenüber nicht auskommt. Das alte Abschreckungs-
shstem mit der Forderung: mehr Hunger, mehr Prügel! wieder herzustellen, sieht
man mit Recht als etwas Verfehltes an. Aber das Berechtigte an diesem Ge¬
danken, den das deutsche Sprichwort so glücklich formulirt "Strafe muß sein,"
sollte man doch uicht verloren geben. Die heute geltende Anschauung, den
Zweck der Strafe fast ausschließlich in der Erziehung zu suchen, hat der Em¬
pfindung weiter Volkskreise nach ebenfalls bankrott gemacht, denn das Ver¬
brechertum hat nicht abgenommen, sondern wenigstens in demselben Maße wie
früher, wenn nicht in höheren Maße zugenommen. Als deshalb in der letzten
Jahresversammlung der Rheinisch-westfälischen Gefängnisgesellschaft zu Düssel¬
dorf Oberstaatsanwalt Hamm aus Köln die Forderung der internationalen
kriminalistischen Vereinigung ablehnte und verschärfte Zuchthausstrafen, wenn
nötig auf Lebenszeit, gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher forderte, erklärten
die Strafanstaltsbeamten, eine Verschärfung sei unmöglich, unsre Mittel, die
Zuchthausstrafe zu verschärfen, seien erschöpft. Staatsanwalt Appelius aus
Eelle meinte, die Galeerenstrafen und die travtwx torvös der Franzosen seien
in Deutschland etwas unvolkstümliches. Das traurige Ergebnis war: die
Strafanstaltsbeamten sind mit ihrer Weisheit zu Ende. Das erlösende Wort
für die "bedingte Verurteilung": Deportation, Strafkolonie, Prügelstrafe sowohl
"is gerichtliche Strafe für junge Gefangne wie als Disziplinarstrafe im Ge¬
fängnis und im Zuchthaus ward nicht gesprochen.

So vermeidet man es in allen Versammlungen der Fachleute, offen und
ehrlich über die Notwendigkeit einer Wiedereinführung der Prügelstrafe zu


Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

einen Teil der Strafmacht des Staats aus den Händen der Richter in die der
Strafanstaltsbeamten. Der Deutsche hält ja aber den Richterspruch leicht für
etwas unfehlbares; ein Wort Bismarcks macht auf manchen nicht so tiefen
Eindruck wie der Urteilsspruch eines Richters. Infolge dessen haben sich viele
Juristen im Bewußtsein ihrer Würde gegen die bedingte Verurteilung sehr ab¬
lehnend verhalten; ein andrer als der Richter, hieß es, sei nicht imstande, die
Zeitdauer der Strafe zu bestimmen. Nun muß ja zugegeben werden, daß die
bedingte Verurteilung ein zweischneidiges Schwert ist. Dem reuigen Sträf¬
ling kann sie sehr bald die Freiheit wiedergeben, gegen den verstockten Ge¬
wohnheitsverbrecher wird sie zur wirksamen Waffe, da sie das Recht giebt,
ihn lebenslänglich einzusperren. Wie komisch unten aber andrerseits den Straf¬
anstaltsbeamten manche Urteile an! Wegen der allergewöhnlichsten Kuppelei
bekommt ein ganz verworfnes Subjekt ein Jahr Gefängnis und fünf Jahre
Ehrverlust. Was macht einem ehrlosen Menschen der letzte Teil der Strafe
aus? Wenn das Urteil gelautet hätte fünf Jahre Gefängnis und ein Jahr
Ehrverlust, das hätte auf diesen hartgesottnen Taugenichts einen ganz andern
Eindruck gemacht. Das Streben der internationalen kriminalistischen Vereini¬
gung hat seinen Grund in der Erkenntnis, daß man mit dem heutigen Straf¬
gesetzbuch dem Verbrechertum gegenüber nicht auskommt. Das alte Abschreckungs-
shstem mit der Forderung: mehr Hunger, mehr Prügel! wieder herzustellen, sieht
man mit Recht als etwas Verfehltes an. Aber das Berechtigte an diesem Ge¬
danken, den das deutsche Sprichwort so glücklich formulirt „Strafe muß sein,"
sollte man doch uicht verloren geben. Die heute geltende Anschauung, den
Zweck der Strafe fast ausschließlich in der Erziehung zu suchen, hat der Em¬
pfindung weiter Volkskreise nach ebenfalls bankrott gemacht, denn das Ver¬
brechertum hat nicht abgenommen, sondern wenigstens in demselben Maße wie
früher, wenn nicht in höheren Maße zugenommen. Als deshalb in der letzten
Jahresversammlung der Rheinisch-westfälischen Gefängnisgesellschaft zu Düssel¬
dorf Oberstaatsanwalt Hamm aus Köln die Forderung der internationalen
kriminalistischen Vereinigung ablehnte und verschärfte Zuchthausstrafen, wenn
nötig auf Lebenszeit, gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher forderte, erklärten
die Strafanstaltsbeamten, eine Verschärfung sei unmöglich, unsre Mittel, die
Zuchthausstrafe zu verschärfen, seien erschöpft. Staatsanwalt Appelius aus
Eelle meinte, die Galeerenstrafen und die travtwx torvös der Franzosen seien
in Deutschland etwas unvolkstümliches. Das traurige Ergebnis war: die
Strafanstaltsbeamten sind mit ihrer Weisheit zu Ende. Das erlösende Wort
für die „bedingte Verurteilung": Deportation, Strafkolonie, Prügelstrafe sowohl
"is gerichtliche Strafe für junge Gefangne wie als Disziplinarstrafe im Ge¬
fängnis und im Zuchthaus ward nicht gesprochen.

So vermeidet man es in allen Versammlungen der Fachleute, offen und
ehrlich über die Notwendigkeit einer Wiedereinführung der Prügelstrafe zu


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[0421] Die Prügelstrafe in den Gefängnissen einen Teil der Strafmacht des Staats aus den Händen der Richter in die der Strafanstaltsbeamten. Der Deutsche hält ja aber den Richterspruch leicht für etwas unfehlbares; ein Wort Bismarcks macht auf manchen nicht so tiefen Eindruck wie der Urteilsspruch eines Richters. Infolge dessen haben sich viele Juristen im Bewußtsein ihrer Würde gegen die bedingte Verurteilung sehr ab¬ lehnend verhalten; ein andrer als der Richter, hieß es, sei nicht imstande, die Zeitdauer der Strafe zu bestimmen. Nun muß ja zugegeben werden, daß die bedingte Verurteilung ein zweischneidiges Schwert ist. Dem reuigen Sträf¬ ling kann sie sehr bald die Freiheit wiedergeben, gegen den verstockten Ge¬ wohnheitsverbrecher wird sie zur wirksamen Waffe, da sie das Recht giebt, ihn lebenslänglich einzusperren. Wie komisch unten aber andrerseits den Straf¬ anstaltsbeamten manche Urteile an! Wegen der allergewöhnlichsten Kuppelei bekommt ein ganz verworfnes Subjekt ein Jahr Gefängnis und fünf Jahre Ehrverlust. Was macht einem ehrlosen Menschen der letzte Teil der Strafe aus? Wenn das Urteil gelautet hätte fünf Jahre Gefängnis und ein Jahr Ehrverlust, das hätte auf diesen hartgesottnen Taugenichts einen ganz andern Eindruck gemacht. Das Streben der internationalen kriminalistischen Vereini¬ gung hat seinen Grund in der Erkenntnis, daß man mit dem heutigen Straf¬ gesetzbuch dem Verbrechertum gegenüber nicht auskommt. Das alte Abschreckungs- shstem mit der Forderung: mehr Hunger, mehr Prügel! wieder herzustellen, sieht man mit Recht als etwas Verfehltes an. Aber das Berechtigte an diesem Ge¬ danken, den das deutsche Sprichwort so glücklich formulirt „Strafe muß sein," sollte man doch uicht verloren geben. Die heute geltende Anschauung, den Zweck der Strafe fast ausschließlich in der Erziehung zu suchen, hat der Em¬ pfindung weiter Volkskreise nach ebenfalls bankrott gemacht, denn das Ver¬ brechertum hat nicht abgenommen, sondern wenigstens in demselben Maße wie früher, wenn nicht in höheren Maße zugenommen. Als deshalb in der letzten Jahresversammlung der Rheinisch-westfälischen Gefängnisgesellschaft zu Düssel¬ dorf Oberstaatsanwalt Hamm aus Köln die Forderung der internationalen kriminalistischen Vereinigung ablehnte und verschärfte Zuchthausstrafen, wenn nötig auf Lebenszeit, gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher forderte, erklärten die Strafanstaltsbeamten, eine Verschärfung sei unmöglich, unsre Mittel, die Zuchthausstrafe zu verschärfen, seien erschöpft. Staatsanwalt Appelius aus Eelle meinte, die Galeerenstrafen und die travtwx torvös der Franzosen seien in Deutschland etwas unvolkstümliches. Das traurige Ergebnis war: die Strafanstaltsbeamten sind mit ihrer Weisheit zu Ende. Das erlösende Wort für die „bedingte Verurteilung": Deportation, Strafkolonie, Prügelstrafe sowohl "is gerichtliche Strafe für junge Gefangne wie als Disziplinarstrafe im Ge¬ fängnis und im Zuchthaus ward nicht gesprochen. So vermeidet man es in allen Versammlungen der Fachleute, offen und ehrlich über die Notwendigkeit einer Wiedereinführung der Prügelstrafe zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/421>, abgerufen am 01.09.2024.