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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

Augenblick seiner Unverschämtheit eine Ohrfeige versetzen darf? Die wirksamste
Strafe ist immer die, die den Übelthäter bei der That entlarvt und erreicht,
die wertloseste, ja geradezu verderblichste Art des Strafens ist die, die mit
kalter Gleichgiltigkeit ohne inneres Interesse an dem Ziele der Besserung vom
grünen Tisch aus nach Reglements und Paragraphen mechanisch bestimmt wird.
Wer straft, muß gewissermaßen einen elektrischen Strom aus sich in die Seele
des Bestraften hinüberleiten, dem strafenden muß der Bestrafte anfühlen, wie
er selbst Schmerz über die Notwendigkeit der Strafe empfindet. Die Disziplinar¬
strafen des heutigen Gefängnisshstems mit ihrem Dunkelarrest bis zu vier
Wochen, mit ihren Hungerkuren, mit Entziehung des weichen Lagers usw. haben
immer mehr diesen persönlichem Charakter der Strafe verloren und einen sach¬
lichen angenommen, der wie die Kostabzüge bei jungen Gefangnen viel un-
menschlicher, viel verbitternder und grausamer wirkt, als die Prügelstrafen einer
Zeit, die doch stärkere Nerven hatte als die Menschen heutzutage, die bei dem
Worte Prügelstrafe ein gelinder Schauder überläuft. Da dringen wohl einmal
dunkle Gerüchte zu dem Ohr auch eines Strafanstaltsdirektors, daß der oder
jener stramme Aufseher hin und wieder einmal, statt eine langweilige Anzeige
vorzulegen, einem bösen Schlingel eine wohlverdiente Ohrfeige gegeben habe.
Hoffentlich fragt der Direktor nicht. Thut er es doch, nun, der Not gehorchend,
nicht dem eignen Triebe, greift der Aufseher vielleicht auch einmal zur Notlüge;
oder er gesteht es ein, dann wird er ernsthaft zurechtgewiesen. Aber für ge¬
wöhnlich ignorirt man beiderseits das Gerücht, indem man von der Annahme
ausgeht: es wär schade um jeden Hieb, der seinen Beruf verfehlte. Daß ein
solches System Mißhandlungen mit sich bringen kann, liegt auf der Hemd.
Gäbe es eine ehrliche Prügelstrafe, die dem Bedürfnis der Erziehung zu Hilfe
käme, dann ließe sich alles so leiten, dann könnte man sein Personal so er¬
ziehen, daß allen Roheiten vorgebeugt werden könnte. Umgekehrt entsteht leicht
eine Heuchelei zwischen Ober- und Unterbeamten, die von beiden Seiten durch¬
schaut, aber nicht gelüftet wird. Es ist ein praktisches <MsiÄ non movers.
Der Gefangne selbst hat in der Zeit seines Anstaltslebens selten den Mut, in
die Bresche zu treten und der verantwortlichen Stelle gegenüber seine Beschul¬
digungen zu erheben; von der ekelerregenden, lügnerischen Feigheit eines Ge¬
fangnen macht sich ein Laie gar keinen Begriff. Er zieht es vor, nach wieder-
erlaugter Freiheit unkontrollirbare, anonyme Schmähbriefe zu schreiben, die bei
einem guten Gesängnisdirektor dahin wandern, wohin sie gehören, in den Ofen.
Durch Schaden klug gewordne Aufseher suchen deshalb dem Bedürfnis nach per¬
sönlicher Strafgewalt durch kleine Mittel, die nicht gerade ungesetzlich sind, im
Interesse ihres eignen Dienstes zu Hilfe zu kommen. In dieser unbefriedigender
Stimmung und in diesem Verhältnis, das leicht in Vertuschung ausarten kann,
leben viele Aufseher dem Gefangnen und dem Vorstande gegenüber. So hat
auch Direktor Schellmann zugegeben, es sei ihm bekannt geworden, daß einzelne


Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

Augenblick seiner Unverschämtheit eine Ohrfeige versetzen darf? Die wirksamste
Strafe ist immer die, die den Übelthäter bei der That entlarvt und erreicht,
die wertloseste, ja geradezu verderblichste Art des Strafens ist die, die mit
kalter Gleichgiltigkeit ohne inneres Interesse an dem Ziele der Besserung vom
grünen Tisch aus nach Reglements und Paragraphen mechanisch bestimmt wird.
Wer straft, muß gewissermaßen einen elektrischen Strom aus sich in die Seele
des Bestraften hinüberleiten, dem strafenden muß der Bestrafte anfühlen, wie
er selbst Schmerz über die Notwendigkeit der Strafe empfindet. Die Disziplinar¬
strafen des heutigen Gefängnisshstems mit ihrem Dunkelarrest bis zu vier
Wochen, mit ihren Hungerkuren, mit Entziehung des weichen Lagers usw. haben
immer mehr diesen persönlichem Charakter der Strafe verloren und einen sach¬
lichen angenommen, der wie die Kostabzüge bei jungen Gefangnen viel un-
menschlicher, viel verbitternder und grausamer wirkt, als die Prügelstrafen einer
Zeit, die doch stärkere Nerven hatte als die Menschen heutzutage, die bei dem
Worte Prügelstrafe ein gelinder Schauder überläuft. Da dringen wohl einmal
dunkle Gerüchte zu dem Ohr auch eines Strafanstaltsdirektors, daß der oder
jener stramme Aufseher hin und wieder einmal, statt eine langweilige Anzeige
vorzulegen, einem bösen Schlingel eine wohlverdiente Ohrfeige gegeben habe.
Hoffentlich fragt der Direktor nicht. Thut er es doch, nun, der Not gehorchend,
nicht dem eignen Triebe, greift der Aufseher vielleicht auch einmal zur Notlüge;
oder er gesteht es ein, dann wird er ernsthaft zurechtgewiesen. Aber für ge¬
wöhnlich ignorirt man beiderseits das Gerücht, indem man von der Annahme
ausgeht: es wär schade um jeden Hieb, der seinen Beruf verfehlte. Daß ein
solches System Mißhandlungen mit sich bringen kann, liegt auf der Hemd.
Gäbe es eine ehrliche Prügelstrafe, die dem Bedürfnis der Erziehung zu Hilfe
käme, dann ließe sich alles so leiten, dann könnte man sein Personal so er¬
ziehen, daß allen Roheiten vorgebeugt werden könnte. Umgekehrt entsteht leicht
eine Heuchelei zwischen Ober- und Unterbeamten, die von beiden Seiten durch¬
schaut, aber nicht gelüftet wird. Es ist ein praktisches <MsiÄ non movers.
Der Gefangne selbst hat in der Zeit seines Anstaltslebens selten den Mut, in
die Bresche zu treten und der verantwortlichen Stelle gegenüber seine Beschul¬
digungen zu erheben; von der ekelerregenden, lügnerischen Feigheit eines Ge¬
fangnen macht sich ein Laie gar keinen Begriff. Er zieht es vor, nach wieder-
erlaugter Freiheit unkontrollirbare, anonyme Schmähbriefe zu schreiben, die bei
einem guten Gesängnisdirektor dahin wandern, wohin sie gehören, in den Ofen.
Durch Schaden klug gewordne Aufseher suchen deshalb dem Bedürfnis nach per¬
sönlicher Strafgewalt durch kleine Mittel, die nicht gerade ungesetzlich sind, im
Interesse ihres eignen Dienstes zu Hilfe zu kommen. In dieser unbefriedigender
Stimmung und in diesem Verhältnis, das leicht in Vertuschung ausarten kann,
leben viele Aufseher dem Gefangnen und dem Vorstande gegenüber. So hat
auch Direktor Schellmann zugegeben, es sei ihm bekannt geworden, daß einzelne


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[0419] Die Prügelstrafe in den Gefängnissen Augenblick seiner Unverschämtheit eine Ohrfeige versetzen darf? Die wirksamste Strafe ist immer die, die den Übelthäter bei der That entlarvt und erreicht, die wertloseste, ja geradezu verderblichste Art des Strafens ist die, die mit kalter Gleichgiltigkeit ohne inneres Interesse an dem Ziele der Besserung vom grünen Tisch aus nach Reglements und Paragraphen mechanisch bestimmt wird. Wer straft, muß gewissermaßen einen elektrischen Strom aus sich in die Seele des Bestraften hinüberleiten, dem strafenden muß der Bestrafte anfühlen, wie er selbst Schmerz über die Notwendigkeit der Strafe empfindet. Die Disziplinar¬ strafen des heutigen Gefängnisshstems mit ihrem Dunkelarrest bis zu vier Wochen, mit ihren Hungerkuren, mit Entziehung des weichen Lagers usw. haben immer mehr diesen persönlichem Charakter der Strafe verloren und einen sach¬ lichen angenommen, der wie die Kostabzüge bei jungen Gefangnen viel un- menschlicher, viel verbitternder und grausamer wirkt, als die Prügelstrafen einer Zeit, die doch stärkere Nerven hatte als die Menschen heutzutage, die bei dem Worte Prügelstrafe ein gelinder Schauder überläuft. Da dringen wohl einmal dunkle Gerüchte zu dem Ohr auch eines Strafanstaltsdirektors, daß der oder jener stramme Aufseher hin und wieder einmal, statt eine langweilige Anzeige vorzulegen, einem bösen Schlingel eine wohlverdiente Ohrfeige gegeben habe. Hoffentlich fragt der Direktor nicht. Thut er es doch, nun, der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe, greift der Aufseher vielleicht auch einmal zur Notlüge; oder er gesteht es ein, dann wird er ernsthaft zurechtgewiesen. Aber für ge¬ wöhnlich ignorirt man beiderseits das Gerücht, indem man von der Annahme ausgeht: es wär schade um jeden Hieb, der seinen Beruf verfehlte. Daß ein solches System Mißhandlungen mit sich bringen kann, liegt auf der Hemd. Gäbe es eine ehrliche Prügelstrafe, die dem Bedürfnis der Erziehung zu Hilfe käme, dann ließe sich alles so leiten, dann könnte man sein Personal so er¬ ziehen, daß allen Roheiten vorgebeugt werden könnte. Umgekehrt entsteht leicht eine Heuchelei zwischen Ober- und Unterbeamten, die von beiden Seiten durch¬ schaut, aber nicht gelüftet wird. Es ist ein praktisches <MsiÄ non movers. Der Gefangne selbst hat in der Zeit seines Anstaltslebens selten den Mut, in die Bresche zu treten und der verantwortlichen Stelle gegenüber seine Beschul¬ digungen zu erheben; von der ekelerregenden, lügnerischen Feigheit eines Ge¬ fangnen macht sich ein Laie gar keinen Begriff. Er zieht es vor, nach wieder- erlaugter Freiheit unkontrollirbare, anonyme Schmähbriefe zu schreiben, die bei einem guten Gesängnisdirektor dahin wandern, wohin sie gehören, in den Ofen. Durch Schaden klug gewordne Aufseher suchen deshalb dem Bedürfnis nach per¬ sönlicher Strafgewalt durch kleine Mittel, die nicht gerade ungesetzlich sind, im Interesse ihres eignen Dienstes zu Hilfe zu kommen. In dieser unbefriedigender Stimmung und in diesem Verhältnis, das leicht in Vertuschung ausarten kann, leben viele Aufseher dem Gefangnen und dem Vorstande gegenüber. So hat auch Direktor Schellmann zugegeben, es sei ihm bekannt geworden, daß einzelne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/419>, abgerufen am 01.09.2024.