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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

Aufseher werden um Einführung der Prügelstrafe Petitioniren, wenn sie sich
dadurch versprechen dürfe", die Stimmung irgend eines Dezernenten für sich
zu gewinnen. Wer die wirkliche Gesinnung dieser Leute kennt, der wird ent¬
decken, beiß, wenn sie könnten, wie sie möchten, mit verschwindenden Ausnahmen
fast alle ihre Stimme für die Prügelstrafe erheben würden. Denn jeder Straf¬
anstaltsbeamte weiß aus eigner Erfahrung davon zu erzählen, wie die Gefangnen
darauf aus sind, ihre Aufseher, ihre vermeintlichen Treiber und Peiniger, zu
ärgern, zu betrügen, zu hintergehen, auf alle erdenkliche Weise zu chikaniren.
Gerade die Pflichttreuesten und gewissenhaftesten Unterbeamten, die nicht bloß
mechanisch, nicht innerlich gleichgiltig die Obliegenheiten ihres undankbaren
Berufs erfüllen, sind den gewissenlosesten Chikanen und den elendesten und
niedrigsten Verleumdungen der Strafgefangnen ausgesetzt; verbünden sich doch oft
die Gefangnen, um durch Klatschereien, anonyme Briefe usw. einen Beamten
zu ruiniren. Infolgedessen ist es nur natürlich, daß ein Direktor im internen
Kreise erzählen konnte: Nicht einer, nein, zehn, zwölf Aufseher melden sich,
wenn ich einen Freiwilligen fordere, der die Prügelstrafe an dem oder jenem
viehisch verrohten Gauner, der schon die ganze Anstalt geärgert und gekränkt
hat, von Rechts wegen vollziehen soll. Denn zu den elendesten Gefühlen gehört
es für einen solchen Beamte", sich über das nichtswürdigste Subjekt ärgern zu
müssen, ohne strafen zu dürfen. Jeder mutwillig zerstörte Gegenstand trügt
dem Aufseher einen leise ausgesprochnen, mitunter auch recht derben Tadel ein.
Das muß er verhüten. Seine Vorgesetzten wollen eine möglichst niedrige Zahl
in dem Register der Disziplinarstrafen eines Jahres sehen. Der Aufseher soll
instruktionsgemäße Ordnung halten, soll alles verhüten, immer aber sind Ge¬
fangne da, die heimlich die Ordnung zu hintertreiben suchen. Sieht er ihnen
die geringste Störung der Hausordnung nach, so muß er dasselbe auch andern
gegenüber thun und giebt sich damit in die Hände der Gefangnen. Macht er
andrerseits Anzeige, so thut er es mit dem Gefühl, daß man diese Anzeige
nicht immer gern sehe. Muß uun diese Meldung, wie es vielfach an kleine"
Strafanstalten der Fall ist, erst an einen Staatsanwalt als Gefüngnisvorstand
abgegeben werden, der oft noch an einem ganz entfernten Orte wohnt, so
kommen erst noch skrupulöse Anfragen, ob der Aufseher auch alles korrekt be¬
obachtet habe. Protokollveruehmungen stellen die kleinsten in Frage kommenden
Umstünde fest. ?Ärturmnt moros. Eine Woche nach der Anzeige trifft die
Strafverfügung ein, der Strafgefangne erhält einen Tag Kostabzug, ein bis drei
Tage Dunkelarrest oder sonst eine geringfügige Strafe, die dem Ärger des
Beamten, auch wenn er ohne Leidenschaft darüber nachdenkt, nicht im entferntesten
schon den andern Gefangnen gegenüber Genugthuung leistet. Dies erzeugt in
ihm ein erbitterndes und entmutigendes Gefühl. Er sagt sich: warum sollich
mich denn ärgern, warum soll ich mir denn Mühe geben, wenn man mir nicht
einmal soviel Vertrauen schenkt, daß ich solch einem garstigen Lümmel in:


Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

Aufseher werden um Einführung der Prügelstrafe Petitioniren, wenn sie sich
dadurch versprechen dürfe», die Stimmung irgend eines Dezernenten für sich
zu gewinnen. Wer die wirkliche Gesinnung dieser Leute kennt, der wird ent¬
decken, beiß, wenn sie könnten, wie sie möchten, mit verschwindenden Ausnahmen
fast alle ihre Stimme für die Prügelstrafe erheben würden. Denn jeder Straf¬
anstaltsbeamte weiß aus eigner Erfahrung davon zu erzählen, wie die Gefangnen
darauf aus sind, ihre Aufseher, ihre vermeintlichen Treiber und Peiniger, zu
ärgern, zu betrügen, zu hintergehen, auf alle erdenkliche Weise zu chikaniren.
Gerade die Pflichttreuesten und gewissenhaftesten Unterbeamten, die nicht bloß
mechanisch, nicht innerlich gleichgiltig die Obliegenheiten ihres undankbaren
Berufs erfüllen, sind den gewissenlosesten Chikanen und den elendesten und
niedrigsten Verleumdungen der Strafgefangnen ausgesetzt; verbünden sich doch oft
die Gefangnen, um durch Klatschereien, anonyme Briefe usw. einen Beamten
zu ruiniren. Infolgedessen ist es nur natürlich, daß ein Direktor im internen
Kreise erzählen konnte: Nicht einer, nein, zehn, zwölf Aufseher melden sich,
wenn ich einen Freiwilligen fordere, der die Prügelstrafe an dem oder jenem
viehisch verrohten Gauner, der schon die ganze Anstalt geärgert und gekränkt
hat, von Rechts wegen vollziehen soll. Denn zu den elendesten Gefühlen gehört
es für einen solchen Beamte», sich über das nichtswürdigste Subjekt ärgern zu
müssen, ohne strafen zu dürfen. Jeder mutwillig zerstörte Gegenstand trügt
dem Aufseher einen leise ausgesprochnen, mitunter auch recht derben Tadel ein.
Das muß er verhüten. Seine Vorgesetzten wollen eine möglichst niedrige Zahl
in dem Register der Disziplinarstrafen eines Jahres sehen. Der Aufseher soll
instruktionsgemäße Ordnung halten, soll alles verhüten, immer aber sind Ge¬
fangne da, die heimlich die Ordnung zu hintertreiben suchen. Sieht er ihnen
die geringste Störung der Hausordnung nach, so muß er dasselbe auch andern
gegenüber thun und giebt sich damit in die Hände der Gefangnen. Macht er
andrerseits Anzeige, so thut er es mit dem Gefühl, daß man diese Anzeige
nicht immer gern sehe. Muß uun diese Meldung, wie es vielfach an kleine»
Strafanstalten der Fall ist, erst an einen Staatsanwalt als Gefüngnisvorstand
abgegeben werden, der oft noch an einem ganz entfernten Orte wohnt, so
kommen erst noch skrupulöse Anfragen, ob der Aufseher auch alles korrekt be¬
obachtet habe. Protokollveruehmungen stellen die kleinsten in Frage kommenden
Umstünde fest. ?Ärturmnt moros. Eine Woche nach der Anzeige trifft die
Strafverfügung ein, der Strafgefangne erhält einen Tag Kostabzug, ein bis drei
Tage Dunkelarrest oder sonst eine geringfügige Strafe, die dem Ärger des
Beamten, auch wenn er ohne Leidenschaft darüber nachdenkt, nicht im entferntesten
schon den andern Gefangnen gegenüber Genugthuung leistet. Dies erzeugt in
ihm ein erbitterndes und entmutigendes Gefühl. Er sagt sich: warum sollich
mich denn ärgern, warum soll ich mir denn Mühe geben, wenn man mir nicht
einmal soviel Vertrauen schenkt, daß ich solch einem garstigen Lümmel in:


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[0418] Die Prügelstrafe in den Gefängnissen Aufseher werden um Einführung der Prügelstrafe Petitioniren, wenn sie sich dadurch versprechen dürfe», die Stimmung irgend eines Dezernenten für sich zu gewinnen. Wer die wirkliche Gesinnung dieser Leute kennt, der wird ent¬ decken, beiß, wenn sie könnten, wie sie möchten, mit verschwindenden Ausnahmen fast alle ihre Stimme für die Prügelstrafe erheben würden. Denn jeder Straf¬ anstaltsbeamte weiß aus eigner Erfahrung davon zu erzählen, wie die Gefangnen darauf aus sind, ihre Aufseher, ihre vermeintlichen Treiber und Peiniger, zu ärgern, zu betrügen, zu hintergehen, auf alle erdenkliche Weise zu chikaniren. Gerade die Pflichttreuesten und gewissenhaftesten Unterbeamten, die nicht bloß mechanisch, nicht innerlich gleichgiltig die Obliegenheiten ihres undankbaren Berufs erfüllen, sind den gewissenlosesten Chikanen und den elendesten und niedrigsten Verleumdungen der Strafgefangnen ausgesetzt; verbünden sich doch oft die Gefangnen, um durch Klatschereien, anonyme Briefe usw. einen Beamten zu ruiniren. Infolgedessen ist es nur natürlich, daß ein Direktor im internen Kreise erzählen konnte: Nicht einer, nein, zehn, zwölf Aufseher melden sich, wenn ich einen Freiwilligen fordere, der die Prügelstrafe an dem oder jenem viehisch verrohten Gauner, der schon die ganze Anstalt geärgert und gekränkt hat, von Rechts wegen vollziehen soll. Denn zu den elendesten Gefühlen gehört es für einen solchen Beamte», sich über das nichtswürdigste Subjekt ärgern zu müssen, ohne strafen zu dürfen. Jeder mutwillig zerstörte Gegenstand trügt dem Aufseher einen leise ausgesprochnen, mitunter auch recht derben Tadel ein. Das muß er verhüten. Seine Vorgesetzten wollen eine möglichst niedrige Zahl in dem Register der Disziplinarstrafen eines Jahres sehen. Der Aufseher soll instruktionsgemäße Ordnung halten, soll alles verhüten, immer aber sind Ge¬ fangne da, die heimlich die Ordnung zu hintertreiben suchen. Sieht er ihnen die geringste Störung der Hausordnung nach, so muß er dasselbe auch andern gegenüber thun und giebt sich damit in die Hände der Gefangnen. Macht er andrerseits Anzeige, so thut er es mit dem Gefühl, daß man diese Anzeige nicht immer gern sehe. Muß uun diese Meldung, wie es vielfach an kleine» Strafanstalten der Fall ist, erst an einen Staatsanwalt als Gefüngnisvorstand abgegeben werden, der oft noch an einem ganz entfernten Orte wohnt, so kommen erst noch skrupulöse Anfragen, ob der Aufseher auch alles korrekt be¬ obachtet habe. Protokollveruehmungen stellen die kleinsten in Frage kommenden Umstünde fest. ?Ärturmnt moros. Eine Woche nach der Anzeige trifft die Strafverfügung ein, der Strafgefangne erhält einen Tag Kostabzug, ein bis drei Tage Dunkelarrest oder sonst eine geringfügige Strafe, die dem Ärger des Beamten, auch wenn er ohne Leidenschaft darüber nachdenkt, nicht im entferntesten schon den andern Gefangnen gegenüber Genugthuung leistet. Dies erzeugt in ihm ein erbitterndes und entmutigendes Gefühl. Er sagt sich: warum sollich mich denn ärgern, warum soll ich mir denn Mühe geben, wenn man mir nicht einmal soviel Vertrauen schenkt, daß ich solch einem garstigen Lümmel in:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/418>, abgerufen am 01.09.2024.