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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in den Gefängnisse"

Gründung eines neuen deutschen Ordens in der Marienburg zur Ausbreitung
des Deutschtums, eines lebendigen Ordens mit möglichst wenig Uniform oder
äußern Abzeichen, aber mit deutscher Begeisterung und Treue und mit jesuiten¬
ähnlicher Zucht.




Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

eins eine Quelle und Fundgrube "sensationeller" Berichte für
alle General- und Lokalanzeiger ist doch lange genug der Vrau-
weilersche Prozeß*) gewesen! Mit welcher sittlichen Entrüstung
haben die Zeitungen der verschiedensten Schattirungen ihren Lesern
davon Kenntnis gegeben, was für Zustände in den staatlichen
Straf- und Korrektionsanstalten herrschen oder herrschen können! Zwar ist
Redakteur H. wegen Beleidigung des Direktors Schellmann in Vrauweiler
verurteilt worden, aber die allmächtige öffentliche Meinung glaubt doch nur
an einen Pyrrhussieg des staatlichen Beamten. In vielen Kreisen der Straf¬
anstaltsbeamten dagegen bedauert man den Direktor Schellmann. Kennt man
ihn doch als einen pflichttreuen Beamten, dem es möglich gewesen ist, selbst
im Korrektionshause, einer Sammelstätte der verworfensten Dirnen, Zuhälter,
Vagabunden und all des lichtscheuen großstädtischen Gesindels, sich noch soviel
Optimismus zu bewahren, daß er auf dem letzten Strafanstaltsbeamteukongresz
in Braunschweig zu Pfingsten 1894 fast als der Einzige für die Insassen
dieser Anstalten eintrat und noch Glauben an die Möglichkeit ihrer Besserung
forderte. Wie kann es aber möglich sein, daß man in unsern Tagen noch
Strafmittel anwenden kann wie die ominöse Brauweilersche Halsbinde? Direktor
Schellmann hat sie jedenfalls vorgefunden und keinen Auftrag erhalten, sie
abzuschaffen. Da nun zur Zeit ein einheitliches deutsches Strafvollziehungs-
gesetz noch zu den frommen Wünschen gehört, die den verbündeten Regierungen
ziemlich regelmäßig von dem Kongreß, deutscher Strafanstaltsbeamten ans Herz
gelegt werden, so konnte es geschehen, daß sich in den giltigen Einrichtungen
einer Anstalt aus frühern Zeiten eine Strafart erhielt, auf die freiwillig zu
verzichten immerhin ein Wagnis ist, da durch thatsächliche Beseitigung einer
gefürchteten Strafart die Disziplin einer Anstalt auf Jahre hinaus gelockert



*) Die Tagespresse hat ihn beharrlich den Brauweiler Prozeß genannt, als ob der
Ort, um den sichs handelte, Brauweil hießel Der Ort heißt aber Brauweiler. Folglich
rann der Prozeß nur der Brauweilersche Prozeß heißen, so gut wie die Würste aus
Janer nicht Jauer Würste, sondern Jauersche Würste heißen.
Die Prügelstrafe in den Gefängnisse»

Gründung eines neuen deutschen Ordens in der Marienburg zur Ausbreitung
des Deutschtums, eines lebendigen Ordens mit möglichst wenig Uniform oder
äußern Abzeichen, aber mit deutscher Begeisterung und Treue und mit jesuiten¬
ähnlicher Zucht.




Die Prügelstrafe in den Gefängnissen

eins eine Quelle und Fundgrube „sensationeller" Berichte für
alle General- und Lokalanzeiger ist doch lange genug der Vrau-
weilersche Prozeß*) gewesen! Mit welcher sittlichen Entrüstung
haben die Zeitungen der verschiedensten Schattirungen ihren Lesern
davon Kenntnis gegeben, was für Zustände in den staatlichen
Straf- und Korrektionsanstalten herrschen oder herrschen können! Zwar ist
Redakteur H. wegen Beleidigung des Direktors Schellmann in Vrauweiler
verurteilt worden, aber die allmächtige öffentliche Meinung glaubt doch nur
an einen Pyrrhussieg des staatlichen Beamten. In vielen Kreisen der Straf¬
anstaltsbeamten dagegen bedauert man den Direktor Schellmann. Kennt man
ihn doch als einen pflichttreuen Beamten, dem es möglich gewesen ist, selbst
im Korrektionshause, einer Sammelstätte der verworfensten Dirnen, Zuhälter,
Vagabunden und all des lichtscheuen großstädtischen Gesindels, sich noch soviel
Optimismus zu bewahren, daß er auf dem letzten Strafanstaltsbeamteukongresz
in Braunschweig zu Pfingsten 1894 fast als der Einzige für die Insassen
dieser Anstalten eintrat und noch Glauben an die Möglichkeit ihrer Besserung
forderte. Wie kann es aber möglich sein, daß man in unsern Tagen noch
Strafmittel anwenden kann wie die ominöse Brauweilersche Halsbinde? Direktor
Schellmann hat sie jedenfalls vorgefunden und keinen Auftrag erhalten, sie
abzuschaffen. Da nun zur Zeit ein einheitliches deutsches Strafvollziehungs-
gesetz noch zu den frommen Wünschen gehört, die den verbündeten Regierungen
ziemlich regelmäßig von dem Kongreß, deutscher Strafanstaltsbeamten ans Herz
gelegt werden, so konnte es geschehen, daß sich in den giltigen Einrichtungen
einer Anstalt aus frühern Zeiten eine Strafart erhielt, auf die freiwillig zu
verzichten immerhin ein Wagnis ist, da durch thatsächliche Beseitigung einer
gefürchteten Strafart die Disziplin einer Anstalt auf Jahre hinaus gelockert



*) Die Tagespresse hat ihn beharrlich den Brauweiler Prozeß genannt, als ob der
Ort, um den sichs handelte, Brauweil hießel Der Ort heißt aber Brauweiler. Folglich
rann der Prozeß nur der Brauweilersche Prozeß heißen, so gut wie die Würste aus
Janer nicht Jauer Würste, sondern Jauersche Würste heißen.
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[0416] Die Prügelstrafe in den Gefängnisse» Gründung eines neuen deutschen Ordens in der Marienburg zur Ausbreitung des Deutschtums, eines lebendigen Ordens mit möglichst wenig Uniform oder äußern Abzeichen, aber mit deutscher Begeisterung und Treue und mit jesuiten¬ ähnlicher Zucht. Die Prügelstrafe in den Gefängnissen eins eine Quelle und Fundgrube „sensationeller" Berichte für alle General- und Lokalanzeiger ist doch lange genug der Vrau- weilersche Prozeß*) gewesen! Mit welcher sittlichen Entrüstung haben die Zeitungen der verschiedensten Schattirungen ihren Lesern davon Kenntnis gegeben, was für Zustände in den staatlichen Straf- und Korrektionsanstalten herrschen oder herrschen können! Zwar ist Redakteur H. wegen Beleidigung des Direktors Schellmann in Vrauweiler verurteilt worden, aber die allmächtige öffentliche Meinung glaubt doch nur an einen Pyrrhussieg des staatlichen Beamten. In vielen Kreisen der Straf¬ anstaltsbeamten dagegen bedauert man den Direktor Schellmann. Kennt man ihn doch als einen pflichttreuen Beamten, dem es möglich gewesen ist, selbst im Korrektionshause, einer Sammelstätte der verworfensten Dirnen, Zuhälter, Vagabunden und all des lichtscheuen großstädtischen Gesindels, sich noch soviel Optimismus zu bewahren, daß er auf dem letzten Strafanstaltsbeamteukongresz in Braunschweig zu Pfingsten 1894 fast als der Einzige für die Insassen dieser Anstalten eintrat und noch Glauben an die Möglichkeit ihrer Besserung forderte. Wie kann es aber möglich sein, daß man in unsern Tagen noch Strafmittel anwenden kann wie die ominöse Brauweilersche Halsbinde? Direktor Schellmann hat sie jedenfalls vorgefunden und keinen Auftrag erhalten, sie abzuschaffen. Da nun zur Zeit ein einheitliches deutsches Strafvollziehungs- gesetz noch zu den frommen Wünschen gehört, die den verbündeten Regierungen ziemlich regelmäßig von dem Kongreß, deutscher Strafanstaltsbeamten ans Herz gelegt werden, so konnte es geschehen, daß sich in den giltigen Einrichtungen einer Anstalt aus frühern Zeiten eine Strafart erhielt, auf die freiwillig zu verzichten immerhin ein Wagnis ist, da durch thatsächliche Beseitigung einer gefürchteten Strafart die Disziplin einer Anstalt auf Jahre hinaus gelockert *) Die Tagespresse hat ihn beharrlich den Brauweiler Prozeß genannt, als ob der Ort, um den sichs handelte, Brauweil hießel Der Ort heißt aber Brauweiler. Folglich rann der Prozeß nur der Brauweilersche Prozeß heißen, so gut wie die Würste aus Janer nicht Jauer Würste, sondern Jauersche Würste heißen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/416>, abgerufen am 01.09.2024.