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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Kampf in den Vstinarken

Eine weit gefährlichere Schachfigur als diese beiden polnischen Banken ist
die römisch-katholische Kirche. Es steht ja im Widerspruch zu dem Schalmei-
gesänsel in einer der letzten Enchkliken, aber es ist dennoch gewiß, daß die
katholische Kirche dem deutschen Volke noch immer nicht vergessen kann, daß
Luther unser war und im Geiste noch ist. Während unter den großen Kaiser¬
geschlechtern des Mittelalters die Ausbreitung des Deutschtums Hand in Hand
ging mit dem Vordringen des christlichen, römischen Glaubens, wofür das
alte polnische Gnesen selbst ein Wahrzeichen bietet, ist jetzt Rom der ge-
schworne heimliche Feind der Deutschen noch immer, obwohl die deutschen
Katholiken die tüchtigsten und wertvollsten Söhne der Kirche sind. Aber die
römische Kirche will es in ihrem Eifer nicht sehen, daß niemals katholische
Polen dem geisttötenden, ewig fremden moskowitischcn Aberglauben einen Damm
entgegensetzen können, sondern nur deutsche Evangelische und deutsche Katho¬
liken, beide im deutschen Reiche unangetastet von einander und wetteifernd in
ihrem Glauben und ihren Einrichtungen. Wir gebrauchen diese starken Worte
nicht, weil wir dächten, die Schachfigur Rom ließe sich damit von der schwarzen
auf die weiße Seite hcrübersetzeu. Das wäre Mohrenwäsche. Rom Pflegt
seine weltliche Politik uur etwa aller fünfhundert Jahre zu ändern, vielleicht nach
dem Muster jenes indischen Gottes mit dem fünshnndertjnhrigen Nundreisebillet.
Die evangelische Sache ist aber noch nicht fünfhundert Jahre alt; viel weniger
sind es die Teilungen Polens. Wir glauben daher auch nicht, daß die kleinen Zu¬
geständnisse, die hie und da den deutschen Katholiken in Posen gemacht werden,
jene deutschen Predigten an jedem vierten Sonntag und dergleichen, Anzeichen der
Wendung römischer Politik seien. Es sind nnr notgedrungne, mühsam ent¬
rissene, kluge Schachzüge. Rom überspannt den Bogen nicht, wenn er zerbrochen
werden kann durch die Annäherung an das protestantische Bekenntnis. Der
tiefe deutsche Geist darf nicht zu tief in die römischen Ränke schauen, sonst
wird er protestantisch. Jene Zugeständnisse sind also ein Zeichen der Furcht,
nicht des Friedens. Wir lassen uns daher auch nicht täuschen durch den der¬
zeitigen Zwiespalt zwischen der Kirche und den marklosen, zum Sozmlismns
neigenden polnischen Zwcrgbanern in Oberschlesien. Die feindlichen Brüder
werden sich schon wieder versöhnen. Zur Zeit ist es wahrscheinlicher, daß sich
Rom mit dem Sozialismus verbindet, als mit dem Deutschtum. Zwischen
uns und ihnen ist kein Frieden. Wie könnte auch Frieden sein mit jenem
polnischen Schachkönig in Posen? Im polnischen Adel rühmt sich fast jede
Familie königlicher Abkunft. Natürlich, denn in jenem Musterstaat ist schlie߬
lich jeder einmal irgendwo, irgendwie und irgendwann König gewesen. Aber
an der königlichen polnischen Abkunft hängt es nicht. Auch unter dem frühern
Erzbischof war die Stellung der Kirche nicht anders, obwohl dieser ein Deutscher
von Geburt war. Rom versteht es ja meisterhaft, die Eigenschaften eines
Mensche,,, die der Kirche nicht genehm sind, auszureißen oder sonst unschäd-


Der Kampf in den Vstinarken

Eine weit gefährlichere Schachfigur als diese beiden polnischen Banken ist
die römisch-katholische Kirche. Es steht ja im Widerspruch zu dem Schalmei-
gesänsel in einer der letzten Enchkliken, aber es ist dennoch gewiß, daß die
katholische Kirche dem deutschen Volke noch immer nicht vergessen kann, daß
Luther unser war und im Geiste noch ist. Während unter den großen Kaiser¬
geschlechtern des Mittelalters die Ausbreitung des Deutschtums Hand in Hand
ging mit dem Vordringen des christlichen, römischen Glaubens, wofür das
alte polnische Gnesen selbst ein Wahrzeichen bietet, ist jetzt Rom der ge-
schworne heimliche Feind der Deutschen noch immer, obwohl die deutschen
Katholiken die tüchtigsten und wertvollsten Söhne der Kirche sind. Aber die
römische Kirche will es in ihrem Eifer nicht sehen, daß niemals katholische
Polen dem geisttötenden, ewig fremden moskowitischcn Aberglauben einen Damm
entgegensetzen können, sondern nur deutsche Evangelische und deutsche Katho¬
liken, beide im deutschen Reiche unangetastet von einander und wetteifernd in
ihrem Glauben und ihren Einrichtungen. Wir gebrauchen diese starken Worte
nicht, weil wir dächten, die Schachfigur Rom ließe sich damit von der schwarzen
auf die weiße Seite hcrübersetzeu. Das wäre Mohrenwäsche. Rom Pflegt
seine weltliche Politik uur etwa aller fünfhundert Jahre zu ändern, vielleicht nach
dem Muster jenes indischen Gottes mit dem fünshnndertjnhrigen Nundreisebillet.
Die evangelische Sache ist aber noch nicht fünfhundert Jahre alt; viel weniger
sind es die Teilungen Polens. Wir glauben daher auch nicht, daß die kleinen Zu¬
geständnisse, die hie und da den deutschen Katholiken in Posen gemacht werden,
jene deutschen Predigten an jedem vierten Sonntag und dergleichen, Anzeichen der
Wendung römischer Politik seien. Es sind nnr notgedrungne, mühsam ent¬
rissene, kluge Schachzüge. Rom überspannt den Bogen nicht, wenn er zerbrochen
werden kann durch die Annäherung an das protestantische Bekenntnis. Der
tiefe deutsche Geist darf nicht zu tief in die römischen Ränke schauen, sonst
wird er protestantisch. Jene Zugeständnisse sind also ein Zeichen der Furcht,
nicht des Friedens. Wir lassen uns daher auch nicht täuschen durch den der¬
zeitigen Zwiespalt zwischen der Kirche und den marklosen, zum Sozmlismns
neigenden polnischen Zwcrgbanern in Oberschlesien. Die feindlichen Brüder
werden sich schon wieder versöhnen. Zur Zeit ist es wahrscheinlicher, daß sich
Rom mit dem Sozialismus verbindet, als mit dem Deutschtum. Zwischen
uns und ihnen ist kein Frieden. Wie könnte auch Frieden sein mit jenem
polnischen Schachkönig in Posen? Im polnischen Adel rühmt sich fast jede
Familie königlicher Abkunft. Natürlich, denn in jenem Musterstaat ist schlie߬
lich jeder einmal irgendwo, irgendwie und irgendwann König gewesen. Aber
an der königlichen polnischen Abkunft hängt es nicht. Auch unter dem frühern
Erzbischof war die Stellung der Kirche nicht anders, obwohl dieser ein Deutscher
von Geburt war. Rom versteht es ja meisterhaft, die Eigenschaften eines
Mensche,,, die der Kirche nicht genehm sind, auszureißen oder sonst unschäd-


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[0413] Der Kampf in den Vstinarken Eine weit gefährlichere Schachfigur als diese beiden polnischen Banken ist die römisch-katholische Kirche. Es steht ja im Widerspruch zu dem Schalmei- gesänsel in einer der letzten Enchkliken, aber es ist dennoch gewiß, daß die katholische Kirche dem deutschen Volke noch immer nicht vergessen kann, daß Luther unser war und im Geiste noch ist. Während unter den großen Kaiser¬ geschlechtern des Mittelalters die Ausbreitung des Deutschtums Hand in Hand ging mit dem Vordringen des christlichen, römischen Glaubens, wofür das alte polnische Gnesen selbst ein Wahrzeichen bietet, ist jetzt Rom der ge- schworne heimliche Feind der Deutschen noch immer, obwohl die deutschen Katholiken die tüchtigsten und wertvollsten Söhne der Kirche sind. Aber die römische Kirche will es in ihrem Eifer nicht sehen, daß niemals katholische Polen dem geisttötenden, ewig fremden moskowitischcn Aberglauben einen Damm entgegensetzen können, sondern nur deutsche Evangelische und deutsche Katho¬ liken, beide im deutschen Reiche unangetastet von einander und wetteifernd in ihrem Glauben und ihren Einrichtungen. Wir gebrauchen diese starken Worte nicht, weil wir dächten, die Schachfigur Rom ließe sich damit von der schwarzen auf die weiße Seite hcrübersetzeu. Das wäre Mohrenwäsche. Rom Pflegt seine weltliche Politik uur etwa aller fünfhundert Jahre zu ändern, vielleicht nach dem Muster jenes indischen Gottes mit dem fünshnndertjnhrigen Nundreisebillet. Die evangelische Sache ist aber noch nicht fünfhundert Jahre alt; viel weniger sind es die Teilungen Polens. Wir glauben daher auch nicht, daß die kleinen Zu¬ geständnisse, die hie und da den deutschen Katholiken in Posen gemacht werden, jene deutschen Predigten an jedem vierten Sonntag und dergleichen, Anzeichen der Wendung römischer Politik seien. Es sind nnr notgedrungne, mühsam ent¬ rissene, kluge Schachzüge. Rom überspannt den Bogen nicht, wenn er zerbrochen werden kann durch die Annäherung an das protestantische Bekenntnis. Der tiefe deutsche Geist darf nicht zu tief in die römischen Ränke schauen, sonst wird er protestantisch. Jene Zugeständnisse sind also ein Zeichen der Furcht, nicht des Friedens. Wir lassen uns daher auch nicht täuschen durch den der¬ zeitigen Zwiespalt zwischen der Kirche und den marklosen, zum Sozmlismns neigenden polnischen Zwcrgbanern in Oberschlesien. Die feindlichen Brüder werden sich schon wieder versöhnen. Zur Zeit ist es wahrscheinlicher, daß sich Rom mit dem Sozialismus verbindet, als mit dem Deutschtum. Zwischen uns und ihnen ist kein Frieden. Wie könnte auch Frieden sein mit jenem polnischen Schachkönig in Posen? Im polnischen Adel rühmt sich fast jede Familie königlicher Abkunft. Natürlich, denn in jenem Musterstaat ist schlie߬ lich jeder einmal irgendwo, irgendwie und irgendwann König gewesen. Aber an der königlichen polnischen Abkunft hängt es nicht. Auch unter dem frühern Erzbischof war die Stellung der Kirche nicht anders, obwohl dieser ein Deutscher von Geburt war. Rom versteht es ja meisterhaft, die Eigenschaften eines Mensche,,, die der Kirche nicht genehm sind, auszureißen oder sonst unschäd-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/413>, abgerufen am 01.09.2024.