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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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NW" könne Herkules eher seine Keule, als Homer einen Vers abringen. Aber
auch nach den Angriffen Wolfs, Landmanns, Kirchhoffs und unzähliger andern
ist von den verschiedensten Kritikern immer Mieder auf die doch offenbar in
den Gedichten hervortretende Einheit hingewiesen worden, und das ist auch
von Knötel und Jäger geschehen, von keinem aber in so umfassender, eigen¬
tümlicher Weise, als von Hermann Grimm in den beiden oben in der An¬
merkung genannten starken Bänden.

(Fortsetzung folgt)




Gin Idyll aus der Belagerung von Paris
Aus dem Tagebuch eiues Rriegskorrespoudenten

is Herr Thiers den Vorschlag machte, Paris mit einer Wüste zu
umgeben, gab er das Losungswort zu allen Verheerungen, die seit¬
dem über diese lachenden Landsitze hereingebrochen sind. Daß seiner
Anweisung nicht sofort durch die Sendlinge der Pariser Regierung
gründlicher Folge geleistet wurde, daß mau, um der Belagerungs¬
armee vollständig das Obdach zu entziehen, die Ortschaften nicht vom
Boden vertilgte, war einzig der Schwierigkeit dieser Aufgabe zuzuschreiben. Wären
bloß Kartenhäuser umzublasen gewesen, die Arbeit wäre geleistet worden. Da es
Gebäude von Kalk und Stein einznrcißeu galt, erwies sich die Mühe als zu groß.
Man glaubte -- soweit es nicht Herrschaftssitze waren, wo man die Dienerschaft
zurückgelassen hatte -- genng gethan zu habe", wenn mau die Bewohner mit ihren
Habseligkeiten auftrieb, die Fenster und Spiegel zerschlug, die Weinkeller leerte
und allein häuslichen Komfort den Gamus machte. Nichts wäre freilich unge¬
rechter, als wenn man den greulichen Zustand, in dem sich die meisten Ortschaften
um Paris befinden, einzig den Franzosen zuschreiben wollte. Man soll selbst den
Teufel nicht schwärzer malen, als er ist. Ein so gründliches Verwohnen mensch¬
licher Behausungen vollzieht sich nicht von einem Tage zum andern. Es setzt
Muße, Langeweile voraus und nicht minder öftern Wohnungswechsel. Der Fort¬
ziehende hinterläßt dann den Nachfolgern die ganze Summe von Unordnung, Not¬
behelfen , Zertrümmerungen und Verunstaltungen, die die natürlichen Begleiter
jedes Quartieruehmeus in unbewohnten und dürftig oder gar nicht möblirten
Häusern im Feindeslaude sind. Der Nachbewohner findet bereits einen unleid¬
lichen Znstnnd vor und richtet sich uach seiner Weise wieder ein, ohne mit manchem
Kor dem Vermächtnis des Vorgängers ganz aufräumen zu können. Und so wird
es denn mit jedem Tage unsaubrer und nnwähnlicher.

Ich schreibe dies nach den blutigen Maruciagen in meinem Quartier, das,
wie so viele in demselben Orte -- es ist das städtische Dorf Champs --, keine


NW» könne Herkules eher seine Keule, als Homer einen Vers abringen. Aber
auch nach den Angriffen Wolfs, Landmanns, Kirchhoffs und unzähliger andern
ist von den verschiedensten Kritikern immer Mieder auf die doch offenbar in
den Gedichten hervortretende Einheit hingewiesen worden, und das ist auch
von Knötel und Jäger geschehen, von keinem aber in so umfassender, eigen¬
tümlicher Weise, als von Hermann Grimm in den beiden oben in der An¬
merkung genannten starken Bänden.

(Fortsetzung folgt)




Gin Idyll aus der Belagerung von Paris
Aus dem Tagebuch eiues Rriegskorrespoudenten

is Herr Thiers den Vorschlag machte, Paris mit einer Wüste zu
umgeben, gab er das Losungswort zu allen Verheerungen, die seit¬
dem über diese lachenden Landsitze hereingebrochen sind. Daß seiner
Anweisung nicht sofort durch die Sendlinge der Pariser Regierung
gründlicher Folge geleistet wurde, daß mau, um der Belagerungs¬
armee vollständig das Obdach zu entziehen, die Ortschaften nicht vom
Boden vertilgte, war einzig der Schwierigkeit dieser Aufgabe zuzuschreiben. Wären
bloß Kartenhäuser umzublasen gewesen, die Arbeit wäre geleistet worden. Da es
Gebäude von Kalk und Stein einznrcißeu galt, erwies sich die Mühe als zu groß.
Man glaubte — soweit es nicht Herrschaftssitze waren, wo man die Dienerschaft
zurückgelassen hatte — genng gethan zu habe», wenn mau die Bewohner mit ihren
Habseligkeiten auftrieb, die Fenster und Spiegel zerschlug, die Weinkeller leerte
und allein häuslichen Komfort den Gamus machte. Nichts wäre freilich unge¬
rechter, als wenn man den greulichen Zustand, in dem sich die meisten Ortschaften
um Paris befinden, einzig den Franzosen zuschreiben wollte. Man soll selbst den
Teufel nicht schwärzer malen, als er ist. Ein so gründliches Verwohnen mensch¬
licher Behausungen vollzieht sich nicht von einem Tage zum andern. Es setzt
Muße, Langeweile voraus und nicht minder öftern Wohnungswechsel. Der Fort¬
ziehende hinterläßt dann den Nachfolgern die ganze Summe von Unordnung, Not¬
behelfen , Zertrümmerungen und Verunstaltungen, die die natürlichen Begleiter
jedes Quartieruehmeus in unbewohnten und dürftig oder gar nicht möblirten
Häusern im Feindeslaude sind. Der Nachbewohner findet bereits einen unleid¬
lichen Znstnnd vor und richtet sich uach seiner Weise wieder ein, ohne mit manchem
Kor dem Vermächtnis des Vorgängers ganz aufräumen zu können. Und so wird
es denn mit jedem Tage unsaubrer und nnwähnlicher.

Ich schreibe dies nach den blutigen Maruciagen in meinem Quartier, das,
wie so viele in demselben Orte — es ist das städtische Dorf Champs —, keine


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[0395] NW» könne Herkules eher seine Keule, als Homer einen Vers abringen. Aber auch nach den Angriffen Wolfs, Landmanns, Kirchhoffs und unzähliger andern ist von den verschiedensten Kritikern immer Mieder auf die doch offenbar in den Gedichten hervortretende Einheit hingewiesen worden, und das ist auch von Knötel und Jäger geschehen, von keinem aber in so umfassender, eigen¬ tümlicher Weise, als von Hermann Grimm in den beiden oben in der An¬ merkung genannten starken Bänden. (Fortsetzung folgt) Gin Idyll aus der Belagerung von Paris Aus dem Tagebuch eiues Rriegskorrespoudenten is Herr Thiers den Vorschlag machte, Paris mit einer Wüste zu umgeben, gab er das Losungswort zu allen Verheerungen, die seit¬ dem über diese lachenden Landsitze hereingebrochen sind. Daß seiner Anweisung nicht sofort durch die Sendlinge der Pariser Regierung gründlicher Folge geleistet wurde, daß mau, um der Belagerungs¬ armee vollständig das Obdach zu entziehen, die Ortschaften nicht vom Boden vertilgte, war einzig der Schwierigkeit dieser Aufgabe zuzuschreiben. Wären bloß Kartenhäuser umzublasen gewesen, die Arbeit wäre geleistet worden. Da es Gebäude von Kalk und Stein einznrcißeu galt, erwies sich die Mühe als zu groß. Man glaubte — soweit es nicht Herrschaftssitze waren, wo man die Dienerschaft zurückgelassen hatte — genng gethan zu habe», wenn mau die Bewohner mit ihren Habseligkeiten auftrieb, die Fenster und Spiegel zerschlug, die Weinkeller leerte und allein häuslichen Komfort den Gamus machte. Nichts wäre freilich unge¬ rechter, als wenn man den greulichen Zustand, in dem sich die meisten Ortschaften um Paris befinden, einzig den Franzosen zuschreiben wollte. Man soll selbst den Teufel nicht schwärzer malen, als er ist. Ein so gründliches Verwohnen mensch¬ licher Behausungen vollzieht sich nicht von einem Tage zum andern. Es setzt Muße, Langeweile voraus und nicht minder öftern Wohnungswechsel. Der Fort¬ ziehende hinterläßt dann den Nachfolgern die ganze Summe von Unordnung, Not¬ behelfen , Zertrümmerungen und Verunstaltungen, die die natürlichen Begleiter jedes Quartieruehmeus in unbewohnten und dürftig oder gar nicht möblirten Häusern im Feindeslaude sind. Der Nachbewohner findet bereits einen unleid¬ lichen Znstnnd vor und richtet sich uach seiner Weise wieder ein, ohne mit manchem Kor dem Vermächtnis des Vorgängers ganz aufräumen zu können. Und so wird es denn mit jedem Tage unsaubrer und nnwähnlicher. Ich schreibe dies nach den blutigen Maruciagen in meinem Quartier, das, wie so viele in demselben Orte — es ist das städtische Dorf Champs —, keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/395>, abgerufen am 01.09.2024.