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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstroine

zu viel verlangt. Dann fragte er: Glauben Sie an die Gottheit Christi? --
Ja, antwortete ich. -- O, dann kommen Sie wieder zu uns! -- Hierauf gingen
wir ins Zimmer der Mutter und tranken mit ihr Kaffee. Bei anbrechender
Dunkelheit gingen wir, wie gewöhnlich, auf ein Plauderstündchen zum Kantor
hinüber. Meine Mutter, die am Fenster saß. rief plötzlich: Da kommen ja
Jäkel und Scholz im Schnee gewatet, was wollen denn die heute noch? Ich
log: Es wird wegen der Kirchenrechnung sein, und ging hinaus, sie zu em¬
pfangen. Ich führte sie in Begleitung des Kantors, den ich mit drei Worten
von dem Geschehenen unterrichtete, in die Schulstube. Sie waren ganz zer¬
schmettert und sagten nicht viel, nur, daß sie eben den Befehlen des Bischofs
nachkommen, die Gemeindemitglieder in Kenntnis setzen und für ihre Person
meinen Gottesdienst meiden würden. Dann nahmen sie Abschied und gingen.
Nachträglich erfuhr ich. daß Aust zuerst in ein falsches Haus geraten war und
dort die Exkommunikation verlesen hatte. Eine Frau hatte ihm dann gesagt:
Sie wollen wahrscheinlich zum andern Jäkel; wir sind nicht katholisch. Im
richtigen Hause hatte dann die Mutter Jäkel gerufen: O Jekersch. wenn der
Herr a gutes Wort giebt, do darf a doch wull bleiben! A is halt doch sihr
a rechtschoffner Herr und immer der erste el der Kerche. Ja, das gute Wort
will er eben nicht geben, hatte der ErzPriester erwidert.

Nun ließ sich die Sache vor der Mutter nicht länger verbergen. Es fiel
nur doppelt schwer, davon anzufangen, weil sie den ganzen Tag bis zum
Abendessen ungewöhnlich heiter gewesen war. Nach der Mahlzeit sagte ich:
Mutter, es steht uns eine große Veränderung bevor. Sofort erriet sie die
Bedeutung der beiden Besuche und brach in Thränen aus. Nachdem der erste
Sturm vorüber war, kamen wir dann natürlich auch auf das Materielle zu
sprechen. Ich versicherte, daß es ihr an nichts sehlen solle, und erzählte ihr,
was mir Reinkens in Aussicht gestellt habe. Aber darauf gab sie nichts: Ach,
meinte sie, was werden dir denn die dummen Altkatholiken bieten können! Ich
erwiderte, wenn meine Erwartungen nicht in Erfüllung gehen sollten, so ge¬
traute ich mir, mit der Feder das Nötige zu verdienen. Was willst du denn
schreiben? sagte sie (du dummer Kerl, dachte sie ohne Zweifel, sprach es aber
mit Rücksicht auf meine geistliche Würde nicht aus), was willst du denn
schreiben? 's ist ja schon alles geschrieben! Damit hatte sie freilich Recht;
aber die Welt ist nun einmal so närrisch, daß sie das tausendmal geschriebn
immer wieder geschrieben haben will und anch noch Geld dafür bezahlt, sodaß
man thatsächlich von der Feder leben kann. Ich äußerte dann noch, in nnserm
Heimatstädtchen, wo ihre Seele eigentlich mehr weile, als am jetzigen Auf¬
enthaltsort, werde sie sich gewiß recht behaglich fühlen. Sie war eine jener
spröden Frauen, die ihre Zuneigung nicht äußern können und Versuche der
Kinder, sie zu liebkosen, schroff abweisen, was eine herzliche Vertraulichkeit
erschwert; aber ich werde nie den Ton vergessen, in dem sie auf jene Be-


Wandlungen des Ich im Zeitenstroine

zu viel verlangt. Dann fragte er: Glauben Sie an die Gottheit Christi? —
Ja, antwortete ich. — O, dann kommen Sie wieder zu uns! — Hierauf gingen
wir ins Zimmer der Mutter und tranken mit ihr Kaffee. Bei anbrechender
Dunkelheit gingen wir, wie gewöhnlich, auf ein Plauderstündchen zum Kantor
hinüber. Meine Mutter, die am Fenster saß. rief plötzlich: Da kommen ja
Jäkel und Scholz im Schnee gewatet, was wollen denn die heute noch? Ich
log: Es wird wegen der Kirchenrechnung sein, und ging hinaus, sie zu em¬
pfangen. Ich führte sie in Begleitung des Kantors, den ich mit drei Worten
von dem Geschehenen unterrichtete, in die Schulstube. Sie waren ganz zer¬
schmettert und sagten nicht viel, nur, daß sie eben den Befehlen des Bischofs
nachkommen, die Gemeindemitglieder in Kenntnis setzen und für ihre Person
meinen Gottesdienst meiden würden. Dann nahmen sie Abschied und gingen.
Nachträglich erfuhr ich. daß Aust zuerst in ein falsches Haus geraten war und
dort die Exkommunikation verlesen hatte. Eine Frau hatte ihm dann gesagt:
Sie wollen wahrscheinlich zum andern Jäkel; wir sind nicht katholisch. Im
richtigen Hause hatte dann die Mutter Jäkel gerufen: O Jekersch. wenn der
Herr a gutes Wort giebt, do darf a doch wull bleiben! A is halt doch sihr
a rechtschoffner Herr und immer der erste el der Kerche. Ja, das gute Wort
will er eben nicht geben, hatte der ErzPriester erwidert.

Nun ließ sich die Sache vor der Mutter nicht länger verbergen. Es fiel
nur doppelt schwer, davon anzufangen, weil sie den ganzen Tag bis zum
Abendessen ungewöhnlich heiter gewesen war. Nach der Mahlzeit sagte ich:
Mutter, es steht uns eine große Veränderung bevor. Sofort erriet sie die
Bedeutung der beiden Besuche und brach in Thränen aus. Nachdem der erste
Sturm vorüber war, kamen wir dann natürlich auch auf das Materielle zu
sprechen. Ich versicherte, daß es ihr an nichts sehlen solle, und erzählte ihr,
was mir Reinkens in Aussicht gestellt habe. Aber darauf gab sie nichts: Ach,
meinte sie, was werden dir denn die dummen Altkatholiken bieten können! Ich
erwiderte, wenn meine Erwartungen nicht in Erfüllung gehen sollten, so ge¬
traute ich mir, mit der Feder das Nötige zu verdienen. Was willst du denn
schreiben? sagte sie (du dummer Kerl, dachte sie ohne Zweifel, sprach es aber
mit Rücksicht auf meine geistliche Würde nicht aus), was willst du denn
schreiben? 's ist ja schon alles geschrieben! Damit hatte sie freilich Recht;
aber die Welt ist nun einmal so närrisch, daß sie das tausendmal geschriebn
immer wieder geschrieben haben will und anch noch Geld dafür bezahlt, sodaß
man thatsächlich von der Feder leben kann. Ich äußerte dann noch, in nnserm
Heimatstädtchen, wo ihre Seele eigentlich mehr weile, als am jetzigen Auf¬
enthaltsort, werde sie sich gewiß recht behaglich fühlen. Sie war eine jener
spröden Frauen, die ihre Zuneigung nicht äußern können und Versuche der
Kinder, sie zu liebkosen, schroff abweisen, was eine herzliche Vertraulichkeit
erschwert; aber ich werde nie den Ton vergessen, in dem sie auf jene Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/381>, abgerufen am 01.09.2024.