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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

erhalten, und so hoch ist ihre Zahl, so viel ich weiß, nicht angeschwollen, denn
selbstverständlich nahm die Zahl der Theologen nach Ausbruch des Kultur¬
kampfs reißend ab. Auch sind die Theologen später -- das Alumnat wurde
ja auch aufgelöst -- wirklich in außerpreußische Diözesen gegangen, um dort
die Weihen zu empfangen.

Wie gewöhnlich in solchen Fällen, überlegte ich erst nach Absendung dieser
Briefe, was ich wieder angerichtet hatte, und sah nun das Ende meiner katho¬
lischen Zeit unaufhaltsam Herannahen. Die Aktenstücke aus dieser letzten Krisis
finde ich nur noch zum Teil vor. Ein Schreiben des ErzPriesters vom
26. Januar 1875 lautet: "Euer Hochwürden teile ich ergebenst mit, daß ich
Ihrem Wunsche gemäß Ihr Schreiben vom 2. des Monats und die Auslassung
auf dem Zikular allen Konzirkularen des hiesigen und einigen des Liebenthaler
und des Naumburger Archipresbyterats, mit denen ich zusammengekommen bin,
vorgelesen habe. Alle haben sich sehr darüber betrübt und mir beigestimmt,
daß es meine Pflicht sei, Ihr Schreiben an die Hochwürdige Behörde einzu¬
reichen. Letzteres gedenke ich, so schwer es mir auch fällt, in etwa acht bis
zehn Tagen zu thun, da keine Aussicht ist, daß Sie mir erklären würden, Sie
seien in Ihren Äußerungen zu weit gegangen; denn wie dem Gelbsüchtigen
alles gelb, so erscheint Ihnen alles, was die Hochwürdigsten Bischöfe thun,
schwarz. Recht schmerzlich bewegt, zeichnet ergebenst


Aust, ErzPriester."

Dieser Nachfolger T.s im Erzpriesteramte war Pfarrer von Löwenberg
und ein ausgezeichneter Charakter. Er hatte ein sehr dürftiges Einkommen
und widmete seine ganze Kraft und die Geldmittel, die er zusammenzubringen
wußte, der Schule und Liebcswerken, namentlich einem Waisen- und einem
Krankenhause. In Voraussicht dessen, was min kommen mußte, beschloß ich,
mich dem Bischof Reinkens zur Verfügung zu stellen, weiß aber nicht mehr,
wann ich diesen Entschluß dem ErzPriester kundgegeben habe. Daß er sofort
ausgeführt worden ist, ersehe ich aus einem Schreiben des altkatholischen
Bischofs vom 31. Januar; ich hatte ihm zugleich mitgeteilt, daß ich mit Rück¬
sicht auf meine kränkliche Mutter, der ich einen Umzug bei rauhem Wetter
nicht zumuten könne, bis zum 1. Mai in Harpersdorf zu bleiben gedächte.
Dasselbe scheine ich, einem noch vorhandnen Schriftstücke nach zu schließen,
dem ErzPriester geschrieben und ihn gebeten zu haben, das unvermeidliche bis
dahin zu verschieben.

Am 26. Februar kam der ErzPriester. Meine Mutter, die von den Dingen,
die vorgingen, keine Ahnung hatte, war sehr erfreut. Während sie Kaffee
bereitete, eröffnete mir Aust, daß ich exkommunizirt sei, und daß er den Auf¬
trag habe, die Exkommunikation auch den beiden Kirchenvorstehern mitzuteilen.
Er fragte nach den Häusern, und da sich die Lage nicht leicht genau beschreiben
ließ, erbot ich mich, mitzufahren. Ach nein, sagte er, das wäre doch wohl


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

erhalten, und so hoch ist ihre Zahl, so viel ich weiß, nicht angeschwollen, denn
selbstverständlich nahm die Zahl der Theologen nach Ausbruch des Kultur¬
kampfs reißend ab. Auch sind die Theologen später — das Alumnat wurde
ja auch aufgelöst — wirklich in außerpreußische Diözesen gegangen, um dort
die Weihen zu empfangen.

Wie gewöhnlich in solchen Fällen, überlegte ich erst nach Absendung dieser
Briefe, was ich wieder angerichtet hatte, und sah nun das Ende meiner katho¬
lischen Zeit unaufhaltsam Herannahen. Die Aktenstücke aus dieser letzten Krisis
finde ich nur noch zum Teil vor. Ein Schreiben des ErzPriesters vom
26. Januar 1875 lautet: „Euer Hochwürden teile ich ergebenst mit, daß ich
Ihrem Wunsche gemäß Ihr Schreiben vom 2. des Monats und die Auslassung
auf dem Zikular allen Konzirkularen des hiesigen und einigen des Liebenthaler
und des Naumburger Archipresbyterats, mit denen ich zusammengekommen bin,
vorgelesen habe. Alle haben sich sehr darüber betrübt und mir beigestimmt,
daß es meine Pflicht sei, Ihr Schreiben an die Hochwürdige Behörde einzu¬
reichen. Letzteres gedenke ich, so schwer es mir auch fällt, in etwa acht bis
zehn Tagen zu thun, da keine Aussicht ist, daß Sie mir erklären würden, Sie
seien in Ihren Äußerungen zu weit gegangen; denn wie dem Gelbsüchtigen
alles gelb, so erscheint Ihnen alles, was die Hochwürdigsten Bischöfe thun,
schwarz. Recht schmerzlich bewegt, zeichnet ergebenst


Aust, ErzPriester."

Dieser Nachfolger T.s im Erzpriesteramte war Pfarrer von Löwenberg
und ein ausgezeichneter Charakter. Er hatte ein sehr dürftiges Einkommen
und widmete seine ganze Kraft und die Geldmittel, die er zusammenzubringen
wußte, der Schule und Liebcswerken, namentlich einem Waisen- und einem
Krankenhause. In Voraussicht dessen, was min kommen mußte, beschloß ich,
mich dem Bischof Reinkens zur Verfügung zu stellen, weiß aber nicht mehr,
wann ich diesen Entschluß dem ErzPriester kundgegeben habe. Daß er sofort
ausgeführt worden ist, ersehe ich aus einem Schreiben des altkatholischen
Bischofs vom 31. Januar; ich hatte ihm zugleich mitgeteilt, daß ich mit Rück¬
sicht auf meine kränkliche Mutter, der ich einen Umzug bei rauhem Wetter
nicht zumuten könne, bis zum 1. Mai in Harpersdorf zu bleiben gedächte.
Dasselbe scheine ich, einem noch vorhandnen Schriftstücke nach zu schließen,
dem ErzPriester geschrieben und ihn gebeten zu haben, das unvermeidliche bis
dahin zu verschieben.

Am 26. Februar kam der ErzPriester. Meine Mutter, die von den Dingen,
die vorgingen, keine Ahnung hatte, war sehr erfreut. Während sie Kaffee
bereitete, eröffnete mir Aust, daß ich exkommunizirt sei, und daß er den Auf¬
trag habe, die Exkommunikation auch den beiden Kirchenvorstehern mitzuteilen.
Er fragte nach den Häusern, und da sich die Lage nicht leicht genau beschreiben
ließ, erbot ich mich, mitzufahren. Ach nein, sagte er, das wäre doch wohl


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[0380] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome erhalten, und so hoch ist ihre Zahl, so viel ich weiß, nicht angeschwollen, denn selbstverständlich nahm die Zahl der Theologen nach Ausbruch des Kultur¬ kampfs reißend ab. Auch sind die Theologen später — das Alumnat wurde ja auch aufgelöst — wirklich in außerpreußische Diözesen gegangen, um dort die Weihen zu empfangen. Wie gewöhnlich in solchen Fällen, überlegte ich erst nach Absendung dieser Briefe, was ich wieder angerichtet hatte, und sah nun das Ende meiner katho¬ lischen Zeit unaufhaltsam Herannahen. Die Aktenstücke aus dieser letzten Krisis finde ich nur noch zum Teil vor. Ein Schreiben des ErzPriesters vom 26. Januar 1875 lautet: „Euer Hochwürden teile ich ergebenst mit, daß ich Ihrem Wunsche gemäß Ihr Schreiben vom 2. des Monats und die Auslassung auf dem Zikular allen Konzirkularen des hiesigen und einigen des Liebenthaler und des Naumburger Archipresbyterats, mit denen ich zusammengekommen bin, vorgelesen habe. Alle haben sich sehr darüber betrübt und mir beigestimmt, daß es meine Pflicht sei, Ihr Schreiben an die Hochwürdige Behörde einzu¬ reichen. Letzteres gedenke ich, so schwer es mir auch fällt, in etwa acht bis zehn Tagen zu thun, da keine Aussicht ist, daß Sie mir erklären würden, Sie seien in Ihren Äußerungen zu weit gegangen; denn wie dem Gelbsüchtigen alles gelb, so erscheint Ihnen alles, was die Hochwürdigsten Bischöfe thun, schwarz. Recht schmerzlich bewegt, zeichnet ergebenst Aust, ErzPriester." Dieser Nachfolger T.s im Erzpriesteramte war Pfarrer von Löwenberg und ein ausgezeichneter Charakter. Er hatte ein sehr dürftiges Einkommen und widmete seine ganze Kraft und die Geldmittel, die er zusammenzubringen wußte, der Schule und Liebcswerken, namentlich einem Waisen- und einem Krankenhause. In Voraussicht dessen, was min kommen mußte, beschloß ich, mich dem Bischof Reinkens zur Verfügung zu stellen, weiß aber nicht mehr, wann ich diesen Entschluß dem ErzPriester kundgegeben habe. Daß er sofort ausgeführt worden ist, ersehe ich aus einem Schreiben des altkatholischen Bischofs vom 31. Januar; ich hatte ihm zugleich mitgeteilt, daß ich mit Rück¬ sicht auf meine kränkliche Mutter, der ich einen Umzug bei rauhem Wetter nicht zumuten könne, bis zum 1. Mai in Harpersdorf zu bleiben gedächte. Dasselbe scheine ich, einem noch vorhandnen Schriftstücke nach zu schließen, dem ErzPriester geschrieben und ihn gebeten zu haben, das unvermeidliche bis dahin zu verschieben. Am 26. Februar kam der ErzPriester. Meine Mutter, die von den Dingen, die vorgingen, keine Ahnung hatte, war sehr erfreut. Während sie Kaffee bereitete, eröffnete mir Aust, daß ich exkommunizirt sei, und daß er den Auf¬ trag habe, die Exkommunikation auch den beiden Kirchenvorstehern mitzuteilen. Er fragte nach den Häusern, und da sich die Lage nicht leicht genau beschreiben ließ, erbot ich mich, mitzufahren. Ach nein, sagte er, das wäre doch wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/380>, abgerufen am 01.09.2024.