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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
1^0. Die Exkommunikation
(Fortsetzung)

in Morgen des Sylvestertages 1874 wurde ich über Land zu
einem Kranken geholt. Es lag tiefer Schnee, und wir konnten
nur Schritt fahren, sodnß es gegen drei Stunden dauerte, ehe
wir hinkamen. In sehr mißmutiger Stimmung kehrte ich heim.
Da hätte man nun einmal, sagte ich mir, so ziemlich einen ganzen
Tag dienstlich zugebracht, aber womit? Im Schlitten sitzen ist doch keine Leistung.
Und das Abendmahl spenden, mit dem Kranken -- es war kein Sterbender --
ein wenig plaudern, das ist doch auch eigentlich keine Leistung; der Pastor
des Ortes hätte nur eine halbe Stunde dazu gebraucht. In dieser lebhaften
Empfindung eines unbefriedigten Daseins hatte ich zwei Briefe zu erbrechen.
Der eine kam von der Regierung. Diese fand es damals angemessen, neben
der Peitsche doch auch ein wenig das Zuckerbrod zu Probiren, und arbeitete an
der Aufbesserung schlechter Pfarreien königlichen Patronats. Ich hatte eine
Anzahl Berichte und Berechnungen einzuschicken gehabt und war vom Landrat
vernommen worden. Der Brief brachte mir nun die erfreuliche Kunde, daß
beschlossen worden sei, die Knratie Harpersdorf aufzubessern um 11 Thaler
13 Silbergroschen 7 Pfennige oder so ähnlich. Der elf Thaler entsinne ich
mich genau; von den Silbergroschen und Pfennigen weiß ich nur, daß welche
dabei, und daß die Zahlen möglichst ungerade waren; es war der Betrag, der
an dem bisherigen Pfarreinkommen zu 500 Thalern fehlte. (Zu dem Ent¬
schlüsse, das geringste Einkommen der katholischen Geistlichen auf 1800 Mark
festzusetzen -- das der evangelischen auf 2400 Mark --, hat sich die Negierung
erst ein paar Jahre später aufgeschwungen.) Man wird begreifen, daß diese
Aufbesserung nicht eben geeignet war, die gedrückte Stimmung in eine gehobne
zu verwandeln. Wer weiß, ob nicht eine andre Ziffer, etwa 111 statt 11,
eine Stimmung erzeugt hätte, in der ich den zweiten Brief gleichmütiger ge¬
lesen und beantwortet haben würde. Dieser zweite kam vom ErzPriester und
enthielt ein Rundschreiben nebst einer Liste, in die Beiträge für die neu aus¬
geweisten Priester eingezeichnet werden sollten. In dem Rundschreiben hieß
es u. a., der Fürstbischof habe bei der Weihe gesagt, es schmerze ihn tief, daß




Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
1^0. Die Exkommunikation
(Fortsetzung)

in Morgen des Sylvestertages 1874 wurde ich über Land zu
einem Kranken geholt. Es lag tiefer Schnee, und wir konnten
nur Schritt fahren, sodnß es gegen drei Stunden dauerte, ehe
wir hinkamen. In sehr mißmutiger Stimmung kehrte ich heim.
Da hätte man nun einmal, sagte ich mir, so ziemlich einen ganzen
Tag dienstlich zugebracht, aber womit? Im Schlitten sitzen ist doch keine Leistung.
Und das Abendmahl spenden, mit dem Kranken — es war kein Sterbender —
ein wenig plaudern, das ist doch auch eigentlich keine Leistung; der Pastor
des Ortes hätte nur eine halbe Stunde dazu gebraucht. In dieser lebhaften
Empfindung eines unbefriedigten Daseins hatte ich zwei Briefe zu erbrechen.
Der eine kam von der Regierung. Diese fand es damals angemessen, neben
der Peitsche doch auch ein wenig das Zuckerbrod zu Probiren, und arbeitete an
der Aufbesserung schlechter Pfarreien königlichen Patronats. Ich hatte eine
Anzahl Berichte und Berechnungen einzuschicken gehabt und war vom Landrat
vernommen worden. Der Brief brachte mir nun die erfreuliche Kunde, daß
beschlossen worden sei, die Knratie Harpersdorf aufzubessern um 11 Thaler
13 Silbergroschen 7 Pfennige oder so ähnlich. Der elf Thaler entsinne ich
mich genau; von den Silbergroschen und Pfennigen weiß ich nur, daß welche
dabei, und daß die Zahlen möglichst ungerade waren; es war der Betrag, der
an dem bisherigen Pfarreinkommen zu 500 Thalern fehlte. (Zu dem Ent¬
schlüsse, das geringste Einkommen der katholischen Geistlichen auf 1800 Mark
festzusetzen — das der evangelischen auf 2400 Mark —, hat sich die Negierung
erst ein paar Jahre später aufgeschwungen.) Man wird begreifen, daß diese
Aufbesserung nicht eben geeignet war, die gedrückte Stimmung in eine gehobne
zu verwandeln. Wer weiß, ob nicht eine andre Ziffer, etwa 111 statt 11,
eine Stimmung erzeugt hätte, in der ich den zweiten Brief gleichmütiger ge¬
lesen und beantwortet haben würde. Dieser zweite kam vom ErzPriester und
enthielt ein Rundschreiben nebst einer Liste, in die Beiträge für die neu aus¬
geweisten Priester eingezeichnet werden sollten. In dem Rundschreiben hieß
es u. a., der Fürstbischof habe bei der Weihe gesagt, es schmerze ihn tief, daß


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[0378] [Abbildung] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome 1^0. Die Exkommunikation (Fortsetzung) in Morgen des Sylvestertages 1874 wurde ich über Land zu einem Kranken geholt. Es lag tiefer Schnee, und wir konnten nur Schritt fahren, sodnß es gegen drei Stunden dauerte, ehe wir hinkamen. In sehr mißmutiger Stimmung kehrte ich heim. Da hätte man nun einmal, sagte ich mir, so ziemlich einen ganzen Tag dienstlich zugebracht, aber womit? Im Schlitten sitzen ist doch keine Leistung. Und das Abendmahl spenden, mit dem Kranken — es war kein Sterbender — ein wenig plaudern, das ist doch auch eigentlich keine Leistung; der Pastor des Ortes hätte nur eine halbe Stunde dazu gebraucht. In dieser lebhaften Empfindung eines unbefriedigten Daseins hatte ich zwei Briefe zu erbrechen. Der eine kam von der Regierung. Diese fand es damals angemessen, neben der Peitsche doch auch ein wenig das Zuckerbrod zu Probiren, und arbeitete an der Aufbesserung schlechter Pfarreien königlichen Patronats. Ich hatte eine Anzahl Berichte und Berechnungen einzuschicken gehabt und war vom Landrat vernommen worden. Der Brief brachte mir nun die erfreuliche Kunde, daß beschlossen worden sei, die Knratie Harpersdorf aufzubessern um 11 Thaler 13 Silbergroschen 7 Pfennige oder so ähnlich. Der elf Thaler entsinne ich mich genau; von den Silbergroschen und Pfennigen weiß ich nur, daß welche dabei, und daß die Zahlen möglichst ungerade waren; es war der Betrag, der an dem bisherigen Pfarreinkommen zu 500 Thalern fehlte. (Zu dem Ent¬ schlüsse, das geringste Einkommen der katholischen Geistlichen auf 1800 Mark festzusetzen — das der evangelischen auf 2400 Mark —, hat sich die Negierung erst ein paar Jahre später aufgeschwungen.) Man wird begreifen, daß diese Aufbesserung nicht eben geeignet war, die gedrückte Stimmung in eine gehobne zu verwandeln. Wer weiß, ob nicht eine andre Ziffer, etwa 111 statt 11, eine Stimmung erzeugt hätte, in der ich den zweiten Brief gleichmütiger ge¬ lesen und beantwortet haben würde. Dieser zweite kam vom ErzPriester und enthielt ein Rundschreiben nebst einer Liste, in die Beiträge für die neu aus¬ geweisten Priester eingezeichnet werden sollten. In dem Rundschreiben hieß es u. a., der Fürstbischof habe bei der Weihe gesagt, es schmerze ihn tief, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/378>, abgerufen am 01.09.2024.