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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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zugleich sein Schuhputzer, wenn es einen hat, Nutzen zieht. Jede andre, die
einer einzigen Menschengattung, und sei es der höchststehenden, besondre Rechte
auf Grund ihrer Persönlichkeit einräumt, ist undenkbar, und zwar nicht etwa
deshalb, weil der Demokratismus dazu zu weit fortgeschritten ist, sondern weil
die Natur selbst, die uns alle mit einem Kopf und zwei Beinen und vor allem
mit einem Gewissen geschaffen hat, dagegen spricht. Auch geschichtlich ist es
nicht nachzuweisen, daß man je Persönlichkeiten als Klasse Rechte eingeräumt
hätte; immer hat man solche nur Ständen verliehen, und in diesen Ständen
gab es dann immer wieder Persönlichkeiten von jedem Gewicht, Genies und
Nullen.

Nur eine Klasse von Persönlichkeiten hat zu gewissen Zeiten und bei
manchen Völkern thun dürfen, was sie wollte -- ich meine nicht die der Könige,
ich meine die der Narren. Vernünftige Leute haben auch nie ein besondres
Recht der Persönlichkeit beansprucht, noch gewünscht, daß das sittliche Gesetz
für sie aufgehoben sei, sie sind Menschen mit Menschen gewesen. Selbst die
größten Genies haben sich mit dem einfachen Menschenrecht, ihrem innern Be¬
rufe folgen zu dürfe", begnügt. Das schließt andrerseits nicht aus, daß sie
ihre Persönlichkeit nach Kräften geltend gemacht und die Dutzendmenschen,
wenn sie ihnen unbequem wurden, von sich abgeschüttelt, auch der Menschheit
als solcher allerlei wenig schmeichelhaftes ins Stammbuch geschrieben haben.
Aber Gott sei Dank, sie hatten besseres zu thun, als die Götter dieser Erde
zu spielen. Dagegen hat man das in bestimmten ausschließenden Kreisen wohl
öfter gethan und einen Kultus des Adelsmenschen, des Genies, der Persönlich¬
keit gepredigt, der wohl angethan war, schwache Köpfe zu umnebeln; in den
Himmel gewachsen sind die Bäume darum aber doch nicht. Während der fran¬
zösische Grandseigneur den Herrn der Erde darstellte, wurde der dritte Stand
alles, während die Romantiker ihrem "Ich" Altäre errichteten, blieb Goethe,
den man so gern auch zu weiter nichts als zu einem Virtuosen der Persönlichkeit
und leeren Egoisten herabsetzen möchte, nichts Menschliches fremd, und so
werden wohl auch die Persönlichkeiten der Zukunft, wenn sie, "skrupellos in
der Wahl ihrer Mittel," ihre geniale Kraft auf Kosten der Schwächern frei
bethätigen wollen, die nötige Korrektur finden. Eine wirklich große Per¬
sönlichkeit trägt diese Korrektur schon in sich selbst, eine Herrennatur in dem
Nietzschischen Sinu. die wirklich jenseits von Gut und Böse wäre, hat es nie
gegeben und wird es nie geben, es sei denn -- im Irrenhause.




Grenzboten I 189647

zugleich sein Schuhputzer, wenn es einen hat, Nutzen zieht. Jede andre, die
einer einzigen Menschengattung, und sei es der höchststehenden, besondre Rechte
auf Grund ihrer Persönlichkeit einräumt, ist undenkbar, und zwar nicht etwa
deshalb, weil der Demokratismus dazu zu weit fortgeschritten ist, sondern weil
die Natur selbst, die uns alle mit einem Kopf und zwei Beinen und vor allem
mit einem Gewissen geschaffen hat, dagegen spricht. Auch geschichtlich ist es
nicht nachzuweisen, daß man je Persönlichkeiten als Klasse Rechte eingeräumt
hätte; immer hat man solche nur Ständen verliehen, und in diesen Ständen
gab es dann immer wieder Persönlichkeiten von jedem Gewicht, Genies und
Nullen.

Nur eine Klasse von Persönlichkeiten hat zu gewissen Zeiten und bei
manchen Völkern thun dürfen, was sie wollte — ich meine nicht die der Könige,
ich meine die der Narren. Vernünftige Leute haben auch nie ein besondres
Recht der Persönlichkeit beansprucht, noch gewünscht, daß das sittliche Gesetz
für sie aufgehoben sei, sie sind Menschen mit Menschen gewesen. Selbst die
größten Genies haben sich mit dem einfachen Menschenrecht, ihrem innern Be¬
rufe folgen zu dürfe», begnügt. Das schließt andrerseits nicht aus, daß sie
ihre Persönlichkeit nach Kräften geltend gemacht und die Dutzendmenschen,
wenn sie ihnen unbequem wurden, von sich abgeschüttelt, auch der Menschheit
als solcher allerlei wenig schmeichelhaftes ins Stammbuch geschrieben haben.
Aber Gott sei Dank, sie hatten besseres zu thun, als die Götter dieser Erde
zu spielen. Dagegen hat man das in bestimmten ausschließenden Kreisen wohl
öfter gethan und einen Kultus des Adelsmenschen, des Genies, der Persönlich¬
keit gepredigt, der wohl angethan war, schwache Köpfe zu umnebeln; in den
Himmel gewachsen sind die Bäume darum aber doch nicht. Während der fran¬
zösische Grandseigneur den Herrn der Erde darstellte, wurde der dritte Stand
alles, während die Romantiker ihrem „Ich" Altäre errichteten, blieb Goethe,
den man so gern auch zu weiter nichts als zu einem Virtuosen der Persönlichkeit
und leeren Egoisten herabsetzen möchte, nichts Menschliches fremd, und so
werden wohl auch die Persönlichkeiten der Zukunft, wenn sie, „skrupellos in
der Wahl ihrer Mittel," ihre geniale Kraft auf Kosten der Schwächern frei
bethätigen wollen, die nötige Korrektur finden. Eine wirklich große Per¬
sönlichkeit trägt diese Korrektur schon in sich selbst, eine Herrennatur in dem
Nietzschischen Sinu. die wirklich jenseits von Gut und Böse wäre, hat es nie
gegeben und wird es nie geben, es sei denn — im Irrenhause.




Grenzboten I 189647
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/377>, abgerufen am 06.10.2024.