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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Das Recht der Persönlichkeit

Gewalt angewendet wird, das Recht auch längst hinfällig geworden, und es
wird durch seinen Sturz kein sittliches Gesetz verletzt, nur das Weltgericht
geübt. In der Regel wird man das Handeln eines großen Thatmenschen ans
den bestehenden Verhältnissen erklären und rechtfertigen können, der Zuhilfe¬
nahme eines besondern Rechts der Persönlichkeit bedarf es gar nicht. Zuletzt
steht auch die große Persönlichkeit unter dem Gesetz der ehernen Notwendig¬
keit, ihr Wesen ist notwendig, wie es ist, und sie handelt ihrem Wesen gemäß
unter ebenfalls mit Notwendigkeit so oder so gearteten Verhältnissen. Da
dies aber auch die allerkleinste Persönlichkeit thut, so ist wahrlich uicht ein¬
zusehen, was zur Aufstellung eines besondern Rechts der Persönlichkeit
führen sollte.

Nun könnte man zum Schluß den Spieß umdrehen und mir entgegen¬
rufen: Wozu der ganze Lärm? Du sagst: eine Persönlichkeit ist notwendig,
wie sie ist, und handelt ihrem Wesen gemäß. Behaupten wir denn mehr? Ver¬
langen wir nicht gerade das als Recht der Persönlichkeit? Das eben ist der
Unsinn, daß man etwas als Recht verlangt, was doch einfache Naturnotwendig¬
keit ist, die unter keinen Umständen aufgehoben werden kann. Und noch etwas
schlimmres ist es, wenn man das, was jeder Mensch beanspruchen darf und
soweit es die Gesellschaft, die aber umzubilden ist, zuläßt, auch erlangt, zu
Gunsten einer kleinen Minderheit zu einem Reservatrecht erheben und noch mit
besondern Rechten ausstatten will, ja das für alle Menschen giltige Sitten¬
gesetz (das man ja freilich heute als etwas völlig Gleichgiltiges, ja geradezu
als Produkt der Unstttlichkeit hinstellt) für diese aufheben will, und zwar einzig
aus den: schönen Grunde, weil sich die großen Persönlichkeiten und Genies ja
doch nicht daran gekehrt hätten. Sie Habens aber doch gethan, und mag man
uns zehmal Richard Wagners Absonderlichkeiten und Napoleons und Bismarcks
Verachtung der Masse als Beweis dagegen anführen. Wir Menschen unter¬
scheiden uns gewaltig von einander, im Denken, Fühlen, Wollen, im Können
und in der äußern Stellung klaffen wahre Abgründe zwischen uns, aber eins
haben wir alle, soweit wir geistig gesund sind, das Gewissen. Von diesem
sieht aber die Verkündigung eines besondern Rechts der Persönlichkeit ab, und
so ist ein solches Recht von vornherein eine Ungeheuerlichkeit. Es ist gar
nicht nötig, mit sozialen und etwa noch religiösen, christlichen Beweisgründen
gegen die Behauptung anzukämpfen, daß, je bedeutender ein Mensch als Per¬
sönlichkeit sei, um so freier er dem Sittengesetz gegenüberstehe; dnrch das Ge¬
wissen (das meinetwegen auch ein Produkt der Unstttlichkeit sein mag, aber
jedenfalls schon seit Jahrtausenden besteht) sind wir alle gebunden im tiefsten
Kern, mögen wir uns noch so groß und frei dünken. Ganz gewiß ist eine
Erweiterung des Rechts der Persönlichkeit der Gesellschaft gegenüber möglich
und unter Umständen nötig, aber wohl verstanden, nur für alle Persönlich¬
keiten, d. h. alle Menschen, eine Erweiterung, von der das größte Genie und


Das Recht der Persönlichkeit

Gewalt angewendet wird, das Recht auch längst hinfällig geworden, und es
wird durch seinen Sturz kein sittliches Gesetz verletzt, nur das Weltgericht
geübt. In der Regel wird man das Handeln eines großen Thatmenschen ans
den bestehenden Verhältnissen erklären und rechtfertigen können, der Zuhilfe¬
nahme eines besondern Rechts der Persönlichkeit bedarf es gar nicht. Zuletzt
steht auch die große Persönlichkeit unter dem Gesetz der ehernen Notwendig¬
keit, ihr Wesen ist notwendig, wie es ist, und sie handelt ihrem Wesen gemäß
unter ebenfalls mit Notwendigkeit so oder so gearteten Verhältnissen. Da
dies aber auch die allerkleinste Persönlichkeit thut, so ist wahrlich uicht ein¬
zusehen, was zur Aufstellung eines besondern Rechts der Persönlichkeit
führen sollte.

Nun könnte man zum Schluß den Spieß umdrehen und mir entgegen¬
rufen: Wozu der ganze Lärm? Du sagst: eine Persönlichkeit ist notwendig,
wie sie ist, und handelt ihrem Wesen gemäß. Behaupten wir denn mehr? Ver¬
langen wir nicht gerade das als Recht der Persönlichkeit? Das eben ist der
Unsinn, daß man etwas als Recht verlangt, was doch einfache Naturnotwendig¬
keit ist, die unter keinen Umständen aufgehoben werden kann. Und noch etwas
schlimmres ist es, wenn man das, was jeder Mensch beanspruchen darf und
soweit es die Gesellschaft, die aber umzubilden ist, zuläßt, auch erlangt, zu
Gunsten einer kleinen Minderheit zu einem Reservatrecht erheben und noch mit
besondern Rechten ausstatten will, ja das für alle Menschen giltige Sitten¬
gesetz (das man ja freilich heute als etwas völlig Gleichgiltiges, ja geradezu
als Produkt der Unstttlichkeit hinstellt) für diese aufheben will, und zwar einzig
aus den: schönen Grunde, weil sich die großen Persönlichkeiten und Genies ja
doch nicht daran gekehrt hätten. Sie Habens aber doch gethan, und mag man
uns zehmal Richard Wagners Absonderlichkeiten und Napoleons und Bismarcks
Verachtung der Masse als Beweis dagegen anführen. Wir Menschen unter¬
scheiden uns gewaltig von einander, im Denken, Fühlen, Wollen, im Können
und in der äußern Stellung klaffen wahre Abgründe zwischen uns, aber eins
haben wir alle, soweit wir geistig gesund sind, das Gewissen. Von diesem
sieht aber die Verkündigung eines besondern Rechts der Persönlichkeit ab, und
so ist ein solches Recht von vornherein eine Ungeheuerlichkeit. Es ist gar
nicht nötig, mit sozialen und etwa noch religiösen, christlichen Beweisgründen
gegen die Behauptung anzukämpfen, daß, je bedeutender ein Mensch als Per¬
sönlichkeit sei, um so freier er dem Sittengesetz gegenüberstehe; dnrch das Ge¬
wissen (das meinetwegen auch ein Produkt der Unstttlichkeit sein mag, aber
jedenfalls schon seit Jahrtausenden besteht) sind wir alle gebunden im tiefsten
Kern, mögen wir uns noch so groß und frei dünken. Ganz gewiß ist eine
Erweiterung des Rechts der Persönlichkeit der Gesellschaft gegenüber möglich
und unter Umständen nötig, aber wohl verstanden, nur für alle Persönlich¬
keiten, d. h. alle Menschen, eine Erweiterung, von der das größte Genie und


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[0376] Das Recht der Persönlichkeit Gewalt angewendet wird, das Recht auch längst hinfällig geworden, und es wird durch seinen Sturz kein sittliches Gesetz verletzt, nur das Weltgericht geübt. In der Regel wird man das Handeln eines großen Thatmenschen ans den bestehenden Verhältnissen erklären und rechtfertigen können, der Zuhilfe¬ nahme eines besondern Rechts der Persönlichkeit bedarf es gar nicht. Zuletzt steht auch die große Persönlichkeit unter dem Gesetz der ehernen Notwendig¬ keit, ihr Wesen ist notwendig, wie es ist, und sie handelt ihrem Wesen gemäß unter ebenfalls mit Notwendigkeit so oder so gearteten Verhältnissen. Da dies aber auch die allerkleinste Persönlichkeit thut, so ist wahrlich uicht ein¬ zusehen, was zur Aufstellung eines besondern Rechts der Persönlichkeit führen sollte. Nun könnte man zum Schluß den Spieß umdrehen und mir entgegen¬ rufen: Wozu der ganze Lärm? Du sagst: eine Persönlichkeit ist notwendig, wie sie ist, und handelt ihrem Wesen gemäß. Behaupten wir denn mehr? Ver¬ langen wir nicht gerade das als Recht der Persönlichkeit? Das eben ist der Unsinn, daß man etwas als Recht verlangt, was doch einfache Naturnotwendig¬ keit ist, die unter keinen Umständen aufgehoben werden kann. Und noch etwas schlimmres ist es, wenn man das, was jeder Mensch beanspruchen darf und soweit es die Gesellschaft, die aber umzubilden ist, zuläßt, auch erlangt, zu Gunsten einer kleinen Minderheit zu einem Reservatrecht erheben und noch mit besondern Rechten ausstatten will, ja das für alle Menschen giltige Sitten¬ gesetz (das man ja freilich heute als etwas völlig Gleichgiltiges, ja geradezu als Produkt der Unstttlichkeit hinstellt) für diese aufheben will, und zwar einzig aus den: schönen Grunde, weil sich die großen Persönlichkeiten und Genies ja doch nicht daran gekehrt hätten. Sie Habens aber doch gethan, und mag man uns zehmal Richard Wagners Absonderlichkeiten und Napoleons und Bismarcks Verachtung der Masse als Beweis dagegen anführen. Wir Menschen unter¬ scheiden uns gewaltig von einander, im Denken, Fühlen, Wollen, im Können und in der äußern Stellung klaffen wahre Abgründe zwischen uns, aber eins haben wir alle, soweit wir geistig gesund sind, das Gewissen. Von diesem sieht aber die Verkündigung eines besondern Rechts der Persönlichkeit ab, und so ist ein solches Recht von vornherein eine Ungeheuerlichkeit. Es ist gar nicht nötig, mit sozialen und etwa noch religiösen, christlichen Beweisgründen gegen die Behauptung anzukämpfen, daß, je bedeutender ein Mensch als Per¬ sönlichkeit sei, um so freier er dem Sittengesetz gegenüberstehe; dnrch das Ge¬ wissen (das meinetwegen auch ein Produkt der Unstttlichkeit sein mag, aber jedenfalls schon seit Jahrtausenden besteht) sind wir alle gebunden im tiefsten Kern, mögen wir uns noch so groß und frei dünken. Ganz gewiß ist eine Erweiterung des Rechts der Persönlichkeit der Gesellschaft gegenüber möglich und unter Umständen nötig, aber wohl verstanden, nur für alle Persönlich¬ keiten, d. h. alle Menschen, eine Erweiterung, von der das größte Genie und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/376>, abgerufen am 01.09.2024.