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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Das Recht der Persönlichkeit

der Persönlichkeit noch dahin kommen, zu behaupten, den gewaltigen Verbrecher¬
naturen sei von vornherein die Freiheit zu lassen, sich auf ihre Weise einiger¬
maßen auszuleben. Sie haben das gethan und sind zu ihrem Ziele gelaugt,
sehr wohl, aber die Lächerlichkeit ist eben, nnn eine Theorie schaffen zu wollen,
die sie gewissermaßen noch dazu beglückwünscht, statt wie bisher das Wüten
blinder Naturgewalten in ihnen anzustaunen und es soviel wie möglich zu er¬
klären zu suchen. Was für die großen Verbrecher der Vergangenheit gilt, muß
aber auch für die verbrecherischen Persönlichkeiten unsrer Tage gelten, und so
führte uns das Recht der Persönlichkeit folgerecht dahin, die großen Börsen¬
schwindler und Ausbeuter unsrer Tage, die ja auch vielfach Persönlichkeiten
sind, zu verherrlichen. Ein ganz ungesundes Interesse sür Halunken aller
Art, zumal wenn sie mit ihren Maitressen flüchtig werden, ist ja schon da.
Und zuletzt würden alle Auswüchse des Kapitalismus mit dem Rechte der Per¬
sönlichkeit zu verteidigen sein; der eigennützige Haß gegen die sozialen Bestre¬
bungen unsrer Tage, die Nietzsche und Genossen ja als schwächlich bezeichnen,
obwohl ihre Vertreter doch wahrscheinlich auch oft Persönlichkeiten sind und die
deutschen Sozialdemokraten zum Teil vielleicht sogar blonde Bestien, ließe sich
da sehr hübsch bemänteln. Ich bin nichts weniger als ein Freund der öden
Gleichmacherei, ich habe gar keine Lust Bürger des Zukunftsstaats zu werden,
aber ebenso wenig wie von veralteten Standesvorrechten will ich von einem
Rechte der Persönlichkeit etwas wissen, das nicht allen Menschen, sondern nur
einem auserwählten Teile zusteht, nicht, weil ich fürchte, daß ich zufällig nicht
für eine Persönlichkeit erklärt werden würde, sondern weil ich einsehe, das; Per¬
sönlichkeit etwas ist, was auf sozialem Gebiet nicht in die Wagschale fallen
kann, daß sie nur ans individuellem, für mich allein etwas bedeutet, mein
Glück nach dem Goethischen Spruch aber auch mein Unglück ist. Ich kann
mich als besondrer Mensch suhlen, ich kann immerhin auch mein Selbst¬
gefühl durch mein Auftreten verraten, aber es steht bei meinen Mitmenschen,
ob sie mich gelten lassen wollen oder nicht, jede Anerkennung ist freie Gabe,
und wenn ich nun gar auf meine Bedeutung hin, mag ich sie nun durch
bloße Eigenschaften oder durch Thaten und Werke verraten, besondre Rechte
verlange, so überschreite ich dadurch unbedingt den Kreis des Sittlichen,
wenn auch nicht in so grober Weise wie der eingebildete Adliche oder der
Geldprotz; denn diese verlange" Respekt vor etwas, was ihnen nur äußerlich
anhängt, während ich mir ans Grund dessen, was ich bin. Ausschreitungen
erlaube. Eingriffe freilich in meine Persönlichkeit stehen niemandem zu, der
innere Mensch darf nie und nirgends vergewaltigt werden, und wo das ge¬
schieht, ist etwas faul in den Verhältnissen. Aber der Schutz, den ich be¬
anspruchen darf, verleiht mir noch kein positives Recht. Es giebt kein Recht
der Persönlichkeit, es giebt nur Menschenrechte, die aber nicht, wie man früher
annahm, auf politischem, sondern auf ethischem Gebiete liegen.


Das Recht der Persönlichkeit

der Persönlichkeit noch dahin kommen, zu behaupten, den gewaltigen Verbrecher¬
naturen sei von vornherein die Freiheit zu lassen, sich auf ihre Weise einiger¬
maßen auszuleben. Sie haben das gethan und sind zu ihrem Ziele gelaugt,
sehr wohl, aber die Lächerlichkeit ist eben, nnn eine Theorie schaffen zu wollen,
die sie gewissermaßen noch dazu beglückwünscht, statt wie bisher das Wüten
blinder Naturgewalten in ihnen anzustaunen und es soviel wie möglich zu er¬
klären zu suchen. Was für die großen Verbrecher der Vergangenheit gilt, muß
aber auch für die verbrecherischen Persönlichkeiten unsrer Tage gelten, und so
führte uns das Recht der Persönlichkeit folgerecht dahin, die großen Börsen¬
schwindler und Ausbeuter unsrer Tage, die ja auch vielfach Persönlichkeiten
sind, zu verherrlichen. Ein ganz ungesundes Interesse sür Halunken aller
Art, zumal wenn sie mit ihren Maitressen flüchtig werden, ist ja schon da.
Und zuletzt würden alle Auswüchse des Kapitalismus mit dem Rechte der Per¬
sönlichkeit zu verteidigen sein; der eigennützige Haß gegen die sozialen Bestre¬
bungen unsrer Tage, die Nietzsche und Genossen ja als schwächlich bezeichnen,
obwohl ihre Vertreter doch wahrscheinlich auch oft Persönlichkeiten sind und die
deutschen Sozialdemokraten zum Teil vielleicht sogar blonde Bestien, ließe sich
da sehr hübsch bemänteln. Ich bin nichts weniger als ein Freund der öden
Gleichmacherei, ich habe gar keine Lust Bürger des Zukunftsstaats zu werden,
aber ebenso wenig wie von veralteten Standesvorrechten will ich von einem
Rechte der Persönlichkeit etwas wissen, das nicht allen Menschen, sondern nur
einem auserwählten Teile zusteht, nicht, weil ich fürchte, daß ich zufällig nicht
für eine Persönlichkeit erklärt werden würde, sondern weil ich einsehe, das; Per¬
sönlichkeit etwas ist, was auf sozialem Gebiet nicht in die Wagschale fallen
kann, daß sie nur ans individuellem, für mich allein etwas bedeutet, mein
Glück nach dem Goethischen Spruch aber auch mein Unglück ist. Ich kann
mich als besondrer Mensch suhlen, ich kann immerhin auch mein Selbst¬
gefühl durch mein Auftreten verraten, aber es steht bei meinen Mitmenschen,
ob sie mich gelten lassen wollen oder nicht, jede Anerkennung ist freie Gabe,
und wenn ich nun gar auf meine Bedeutung hin, mag ich sie nun durch
bloße Eigenschaften oder durch Thaten und Werke verraten, besondre Rechte
verlange, so überschreite ich dadurch unbedingt den Kreis des Sittlichen,
wenn auch nicht in so grober Weise wie der eingebildete Adliche oder der
Geldprotz; denn diese verlange» Respekt vor etwas, was ihnen nur äußerlich
anhängt, während ich mir ans Grund dessen, was ich bin. Ausschreitungen
erlaube. Eingriffe freilich in meine Persönlichkeit stehen niemandem zu, der
innere Mensch darf nie und nirgends vergewaltigt werden, und wo das ge¬
schieht, ist etwas faul in den Verhältnissen. Aber der Schutz, den ich be¬
anspruchen darf, verleiht mir noch kein positives Recht. Es giebt kein Recht
der Persönlichkeit, es giebt nur Menschenrechte, die aber nicht, wie man früher
annahm, auf politischem, sondern auf ethischem Gebiete liegen.


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[0373] Das Recht der Persönlichkeit der Persönlichkeit noch dahin kommen, zu behaupten, den gewaltigen Verbrecher¬ naturen sei von vornherein die Freiheit zu lassen, sich auf ihre Weise einiger¬ maßen auszuleben. Sie haben das gethan und sind zu ihrem Ziele gelaugt, sehr wohl, aber die Lächerlichkeit ist eben, nnn eine Theorie schaffen zu wollen, die sie gewissermaßen noch dazu beglückwünscht, statt wie bisher das Wüten blinder Naturgewalten in ihnen anzustaunen und es soviel wie möglich zu er¬ klären zu suchen. Was für die großen Verbrecher der Vergangenheit gilt, muß aber auch für die verbrecherischen Persönlichkeiten unsrer Tage gelten, und so führte uns das Recht der Persönlichkeit folgerecht dahin, die großen Börsen¬ schwindler und Ausbeuter unsrer Tage, die ja auch vielfach Persönlichkeiten sind, zu verherrlichen. Ein ganz ungesundes Interesse sür Halunken aller Art, zumal wenn sie mit ihren Maitressen flüchtig werden, ist ja schon da. Und zuletzt würden alle Auswüchse des Kapitalismus mit dem Rechte der Per¬ sönlichkeit zu verteidigen sein; der eigennützige Haß gegen die sozialen Bestre¬ bungen unsrer Tage, die Nietzsche und Genossen ja als schwächlich bezeichnen, obwohl ihre Vertreter doch wahrscheinlich auch oft Persönlichkeiten sind und die deutschen Sozialdemokraten zum Teil vielleicht sogar blonde Bestien, ließe sich da sehr hübsch bemänteln. Ich bin nichts weniger als ein Freund der öden Gleichmacherei, ich habe gar keine Lust Bürger des Zukunftsstaats zu werden, aber ebenso wenig wie von veralteten Standesvorrechten will ich von einem Rechte der Persönlichkeit etwas wissen, das nicht allen Menschen, sondern nur einem auserwählten Teile zusteht, nicht, weil ich fürchte, daß ich zufällig nicht für eine Persönlichkeit erklärt werden würde, sondern weil ich einsehe, das; Per¬ sönlichkeit etwas ist, was auf sozialem Gebiet nicht in die Wagschale fallen kann, daß sie nur ans individuellem, für mich allein etwas bedeutet, mein Glück nach dem Goethischen Spruch aber auch mein Unglück ist. Ich kann mich als besondrer Mensch suhlen, ich kann immerhin auch mein Selbst¬ gefühl durch mein Auftreten verraten, aber es steht bei meinen Mitmenschen, ob sie mich gelten lassen wollen oder nicht, jede Anerkennung ist freie Gabe, und wenn ich nun gar auf meine Bedeutung hin, mag ich sie nun durch bloße Eigenschaften oder durch Thaten und Werke verraten, besondre Rechte verlange, so überschreite ich dadurch unbedingt den Kreis des Sittlichen, wenn auch nicht in so grober Weise wie der eingebildete Adliche oder der Geldprotz; denn diese verlange» Respekt vor etwas, was ihnen nur äußerlich anhängt, während ich mir ans Grund dessen, was ich bin. Ausschreitungen erlaube. Eingriffe freilich in meine Persönlichkeit stehen niemandem zu, der innere Mensch darf nie und nirgends vergewaltigt werden, und wo das ge¬ schieht, ist etwas faul in den Verhältnissen. Aber der Schutz, den ich be¬ anspruchen darf, verleiht mir noch kein positives Recht. Es giebt kein Recht der Persönlichkeit, es giebt nur Menschenrechte, die aber nicht, wie man früher annahm, auf politischem, sondern auf ethischem Gebiete liegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/373>, abgerufen am 06.10.2024.