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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Das Recht der Persönlichkeit

mir imponirt (das ist hier das richtige Wort), und ich sage: "Das ist kein
gewöhnlicher Mensch, das ist eine Persönlichkeit"; er mag es sein, aber ich
darf doch nicht vergessen, daß ich mich da selber als sein Maß gesetzt, daß ich
nach Eindrücken schließe, die meistens nicht die Totalität des betreffenden
Menschen ergeben ("man kann niemand ins Herz sehen," sagt der Volksmund),
und das thun alle, die aus persönlichem Verkehr über andre urteilen- Wo
ist also die Gewißheit? Selbst eine Abstimmung ergäbe sie nicht. Nun sagt
man: Ja, das sind so abstrakte Ausführungen, im konkreten Leben macht sich
das alles anders, die Persönlichkeit erzwingt sich ohne weiteres Geltung. Die
glänzende vielleicht, ob aber auch immer die bedeutende? Und wenn, so wird
diese Geltung oft nur negativer Art, also Feindschaft sein; Schopenhauer hat
die Stellung des hervorragenden Menschen in der Gesellschaft bei allem
Pessimismus nur zu wahr geschildert. Ferner ist auch noch in Betracht zu
ziehen, daß man als Persönlichkeit für den einen Kreis sehr viel, für den
andern gar nichts bedeuten kann. Und wie mit der Wirkung durch die Per¬
sönlichkeit an sich, steht es mit der durch die Leistungen. Es giebt zunächst
Persönlichkeiten, die überhaupt nichts leisten, nur etwas sind, dann leistungs-
sähige Menschen, die keine Persönlichkeiten sind, und endlich tritt die Gesellschaft
den Leistungen genau so gegenüber wie den Eigenschaften; die bedeutendsten
werden am meisten bekämpft, am spätesten anerkannt. Daraus folgt wohl, daß
es ein sicheres Kennzeichen, ob einer eine Persönlichkeit sei, nicht giebt, wenn
man nicht die Aufmerksamkeit, die jemandes Hervortreten erregt, dazu machen
will. Wer aber weiß, woran sich in unsern Tagen die Sensation heftet -- stille,
freundliche Aufmerksamkeit giebt es kaum mehr --, der wird sich hüten, sie
für das Kennzeichen des Hervortretens einer Persönlichkeit zu erklären. Zuletzt,
wenn auch nicht immer bei ihren Lebzeiten, setzen sich große Persönlichkeiten
freilich immer dnrch, aber diese kümmern uns hier, wo es sich darum handelt,
festzustellen, wo der Begriff "Persönlichkeit" Anwendung zu finden beginnt,
noch nicht. Niemand, das ist das Ergebnis dieser Auseinandersetzung, kann
verhindert werden, sich selbst für eine Persönlichkeit zu halten, jeder thut das
auch bis zu einem gewissen Grade, denkt von sich, daß er etwas besondres
sei, und wenn das "große Recht der Persönlichkeit" erklärt wird, so wird es
jeder in Anspruch nehmen. Es ist aber freilich uur, wie wir sehen werden,
eine inhaltlose Phrase, die weiter nichts als Unheil in den Köpfen anrichten
kann, zumal in engern Kreisen, wie denen der poetischen Jugend und der
emanzipirten Frauen.

Es giebt nun Dutzendmenschen, das ist kein Zweifel, es giebt auch Per¬
sönlichkeiten, und die Persönlichkeiten sind gewaltig in der Minderzahl. Dennoch
finden sie sich überall, und wer an eine kleine Anzahl Erlesener, die die Welt
regieren, zu glauben vermag, der hat von der Geschichte und den wirklichen
Lebensverhältnissen doch mir eine blasse Ahnung. "Zur Zeit William Shale-


Das Recht der Persönlichkeit

mir imponirt (das ist hier das richtige Wort), und ich sage: „Das ist kein
gewöhnlicher Mensch, das ist eine Persönlichkeit"; er mag es sein, aber ich
darf doch nicht vergessen, daß ich mich da selber als sein Maß gesetzt, daß ich
nach Eindrücken schließe, die meistens nicht die Totalität des betreffenden
Menschen ergeben („man kann niemand ins Herz sehen," sagt der Volksmund),
und das thun alle, die aus persönlichem Verkehr über andre urteilen- Wo
ist also die Gewißheit? Selbst eine Abstimmung ergäbe sie nicht. Nun sagt
man: Ja, das sind so abstrakte Ausführungen, im konkreten Leben macht sich
das alles anders, die Persönlichkeit erzwingt sich ohne weiteres Geltung. Die
glänzende vielleicht, ob aber auch immer die bedeutende? Und wenn, so wird
diese Geltung oft nur negativer Art, also Feindschaft sein; Schopenhauer hat
die Stellung des hervorragenden Menschen in der Gesellschaft bei allem
Pessimismus nur zu wahr geschildert. Ferner ist auch noch in Betracht zu
ziehen, daß man als Persönlichkeit für den einen Kreis sehr viel, für den
andern gar nichts bedeuten kann. Und wie mit der Wirkung durch die Per¬
sönlichkeit an sich, steht es mit der durch die Leistungen. Es giebt zunächst
Persönlichkeiten, die überhaupt nichts leisten, nur etwas sind, dann leistungs-
sähige Menschen, die keine Persönlichkeiten sind, und endlich tritt die Gesellschaft
den Leistungen genau so gegenüber wie den Eigenschaften; die bedeutendsten
werden am meisten bekämpft, am spätesten anerkannt. Daraus folgt wohl, daß
es ein sicheres Kennzeichen, ob einer eine Persönlichkeit sei, nicht giebt, wenn
man nicht die Aufmerksamkeit, die jemandes Hervortreten erregt, dazu machen
will. Wer aber weiß, woran sich in unsern Tagen die Sensation heftet — stille,
freundliche Aufmerksamkeit giebt es kaum mehr —, der wird sich hüten, sie
für das Kennzeichen des Hervortretens einer Persönlichkeit zu erklären. Zuletzt,
wenn auch nicht immer bei ihren Lebzeiten, setzen sich große Persönlichkeiten
freilich immer dnrch, aber diese kümmern uns hier, wo es sich darum handelt,
festzustellen, wo der Begriff „Persönlichkeit" Anwendung zu finden beginnt,
noch nicht. Niemand, das ist das Ergebnis dieser Auseinandersetzung, kann
verhindert werden, sich selbst für eine Persönlichkeit zu halten, jeder thut das
auch bis zu einem gewissen Grade, denkt von sich, daß er etwas besondres
sei, und wenn das „große Recht der Persönlichkeit" erklärt wird, so wird es
jeder in Anspruch nehmen. Es ist aber freilich uur, wie wir sehen werden,
eine inhaltlose Phrase, die weiter nichts als Unheil in den Köpfen anrichten
kann, zumal in engern Kreisen, wie denen der poetischen Jugend und der
emanzipirten Frauen.

Es giebt nun Dutzendmenschen, das ist kein Zweifel, es giebt auch Per¬
sönlichkeiten, und die Persönlichkeiten sind gewaltig in der Minderzahl. Dennoch
finden sie sich überall, und wer an eine kleine Anzahl Erlesener, die die Welt
regieren, zu glauben vermag, der hat von der Geschichte und den wirklichen
Lebensverhältnissen doch mir eine blasse Ahnung. „Zur Zeit William Shale-


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[0370] Das Recht der Persönlichkeit mir imponirt (das ist hier das richtige Wort), und ich sage: „Das ist kein gewöhnlicher Mensch, das ist eine Persönlichkeit"; er mag es sein, aber ich darf doch nicht vergessen, daß ich mich da selber als sein Maß gesetzt, daß ich nach Eindrücken schließe, die meistens nicht die Totalität des betreffenden Menschen ergeben („man kann niemand ins Herz sehen," sagt der Volksmund), und das thun alle, die aus persönlichem Verkehr über andre urteilen- Wo ist also die Gewißheit? Selbst eine Abstimmung ergäbe sie nicht. Nun sagt man: Ja, das sind so abstrakte Ausführungen, im konkreten Leben macht sich das alles anders, die Persönlichkeit erzwingt sich ohne weiteres Geltung. Die glänzende vielleicht, ob aber auch immer die bedeutende? Und wenn, so wird diese Geltung oft nur negativer Art, also Feindschaft sein; Schopenhauer hat die Stellung des hervorragenden Menschen in der Gesellschaft bei allem Pessimismus nur zu wahr geschildert. Ferner ist auch noch in Betracht zu ziehen, daß man als Persönlichkeit für den einen Kreis sehr viel, für den andern gar nichts bedeuten kann. Und wie mit der Wirkung durch die Per¬ sönlichkeit an sich, steht es mit der durch die Leistungen. Es giebt zunächst Persönlichkeiten, die überhaupt nichts leisten, nur etwas sind, dann leistungs- sähige Menschen, die keine Persönlichkeiten sind, und endlich tritt die Gesellschaft den Leistungen genau so gegenüber wie den Eigenschaften; die bedeutendsten werden am meisten bekämpft, am spätesten anerkannt. Daraus folgt wohl, daß es ein sicheres Kennzeichen, ob einer eine Persönlichkeit sei, nicht giebt, wenn man nicht die Aufmerksamkeit, die jemandes Hervortreten erregt, dazu machen will. Wer aber weiß, woran sich in unsern Tagen die Sensation heftet — stille, freundliche Aufmerksamkeit giebt es kaum mehr —, der wird sich hüten, sie für das Kennzeichen des Hervortretens einer Persönlichkeit zu erklären. Zuletzt, wenn auch nicht immer bei ihren Lebzeiten, setzen sich große Persönlichkeiten freilich immer dnrch, aber diese kümmern uns hier, wo es sich darum handelt, festzustellen, wo der Begriff „Persönlichkeit" Anwendung zu finden beginnt, noch nicht. Niemand, das ist das Ergebnis dieser Auseinandersetzung, kann verhindert werden, sich selbst für eine Persönlichkeit zu halten, jeder thut das auch bis zu einem gewissen Grade, denkt von sich, daß er etwas besondres sei, und wenn das „große Recht der Persönlichkeit" erklärt wird, so wird es jeder in Anspruch nehmen. Es ist aber freilich uur, wie wir sehen werden, eine inhaltlose Phrase, die weiter nichts als Unheil in den Köpfen anrichten kann, zumal in engern Kreisen, wie denen der poetischen Jugend und der emanzipirten Frauen. Es giebt nun Dutzendmenschen, das ist kein Zweifel, es giebt auch Per¬ sönlichkeiten, und die Persönlichkeiten sind gewaltig in der Minderzahl. Dennoch finden sie sich überall, und wer an eine kleine Anzahl Erlesener, die die Welt regieren, zu glauben vermag, der hat von der Geschichte und den wirklichen Lebensverhältnissen doch mir eine blasse Ahnung. „Zur Zeit William Shale-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/370>, abgerufen am 01.09.2024.