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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Lmser Legende

Dieser große Triumph aber genügte den Franzosen nicht. Denn nun er¬
klärte Gramont dem deutschen Botschafter, Herrn von Werther: der Verzicht
sei Nebensache, es komme daraus an. die Verstimmung, die aus dem preußischen
Verfahren entstanden sei, wieder zu beseitigen, sie verlangten noch eine Sühne.

Bei Sybel*) ist es nun bloß die französische Eitelkeit und die NarrlM
Gramonts, die den kranken Kaiser zu den neuen Forderungen treiben. Wenn
man aber erfährt, daß Napoleon keineswegs bloß willenlos nachgab, sondern
dem Herzog einige Stunden, nachdem sie beide konferirt hatten, eine eingehende
schriftliche Instruktion schickte, worin der ganze neue diplomatische Feldzugs¬
plan vorgeschrieben war, mit der Forderung. König Wilhelm solle sich ver¬
pflichten, "auch in Zukunft" zu einer etwaigen Wiederaufnahme der Kandidatur
seine Einwilligung zu versagen, so hat sich der Kaiser offenbar nicht bloß
mitschleppen lassen, sondern war vollkommen Herr seiner Entschlüsse. Er be¬
ging den Fehler, daß er den "dynastischen" Kriegsgrund, die Hohenzollern-
kandidatur, immer noch für brauchbar hielt, als dieser längst verbraucht war.
Napoleon glaubte auch Österreichs im Grunde sicher zu sein, wenn auch der
formelle Bündnisvertrag noch nicht fertig war. Denn aus den Veröffent¬
lichungen des Generals Jarras**) und des Vertrauten Napoleons, des Generals
Lebrun. ***) wissen wir, daß ein regelrechter Kriegsplan zwischen Frankreich und
Österreich-Italien festgestellt worden ist, daß aber der Erzherzog Albrecht den
Spätherbst, besser noch den Frühling 1871 für den Zeitpunkt zum Losschlagen
angesetzt wissen wollte. Die französische Negierung forderte 1870 Österreich
sogar auf, Truppen in Böhmen zusammenzuziehen. Beust, dem sehr viel daran
lag, daß Preußen nicht als der angegriffne Teil erscheine, mißbilligte nur das
beleidigende Auftreten Gramonts gegen Preußen, verwarf jedoch keineswegs
das Bündnis gegen Preußen an sich, und thatsächlich fing die österreichische
Armee an mobil zu machen; die Delegationen haben dafür nachher zwanzig
Millionen Gulden bewilligen müssen! Dabei wollte sich Beust jetzt natürlich
nicht formell binden, da er bisher nicht gebunden war. es konnte doch schließlich
im Kampfe auch anders kommen, als er und Frankreich sich dachten.

Was wäre nun geschehen, wenn die beiden neuen französischen Forde¬
rungen (1. "für alle Zukunft," 2. der Entschuldigungsbrief) nicht gestellt
worden wären? Sybel, der das große Bündnis gegen Preußen (er schrieb ja
vor Lebruns Veröffentlichung) für ein Hirngespinst erklärt, glaubt, dann wäre
der Krieg überhaupt unterblieben; denn Napoleon, Beust und Bismarck seien





*) Im siebenten Bande seiner Begründung des deutschen Reiches, sowie in den beiden
Ergänzungen: Die Phantasien des Herzogs von Gramont (Zukunft vom 6. April 139S) und
Neue Mitteilungen zur Begründung des deutschen Reiches (Sonderabdvuck aus der Histo¬
rischen Zeitschrift, 1895).
Nsvus usf Äsux mouäss, 1392.
Souvenirs miliwiros 1866--70. ?rü1imm^iros av I-" Zusrrs. ni8fini su Koi^i-zus
°t K Visum-. Paris, E. Denen, 1895.
Die Lmser Legende

Dieser große Triumph aber genügte den Franzosen nicht. Denn nun er¬
klärte Gramont dem deutschen Botschafter, Herrn von Werther: der Verzicht
sei Nebensache, es komme daraus an. die Verstimmung, die aus dem preußischen
Verfahren entstanden sei, wieder zu beseitigen, sie verlangten noch eine Sühne.

Bei Sybel*) ist es nun bloß die französische Eitelkeit und die NarrlM
Gramonts, die den kranken Kaiser zu den neuen Forderungen treiben. Wenn
man aber erfährt, daß Napoleon keineswegs bloß willenlos nachgab, sondern
dem Herzog einige Stunden, nachdem sie beide konferirt hatten, eine eingehende
schriftliche Instruktion schickte, worin der ganze neue diplomatische Feldzugs¬
plan vorgeschrieben war, mit der Forderung. König Wilhelm solle sich ver¬
pflichten, „auch in Zukunft" zu einer etwaigen Wiederaufnahme der Kandidatur
seine Einwilligung zu versagen, so hat sich der Kaiser offenbar nicht bloß
mitschleppen lassen, sondern war vollkommen Herr seiner Entschlüsse. Er be¬
ging den Fehler, daß er den „dynastischen" Kriegsgrund, die Hohenzollern-
kandidatur, immer noch für brauchbar hielt, als dieser längst verbraucht war.
Napoleon glaubte auch Österreichs im Grunde sicher zu sein, wenn auch der
formelle Bündnisvertrag noch nicht fertig war. Denn aus den Veröffent¬
lichungen des Generals Jarras**) und des Vertrauten Napoleons, des Generals
Lebrun. ***) wissen wir, daß ein regelrechter Kriegsplan zwischen Frankreich und
Österreich-Italien festgestellt worden ist, daß aber der Erzherzog Albrecht den
Spätherbst, besser noch den Frühling 1871 für den Zeitpunkt zum Losschlagen
angesetzt wissen wollte. Die französische Negierung forderte 1870 Österreich
sogar auf, Truppen in Böhmen zusammenzuziehen. Beust, dem sehr viel daran
lag, daß Preußen nicht als der angegriffne Teil erscheine, mißbilligte nur das
beleidigende Auftreten Gramonts gegen Preußen, verwarf jedoch keineswegs
das Bündnis gegen Preußen an sich, und thatsächlich fing die österreichische
Armee an mobil zu machen; die Delegationen haben dafür nachher zwanzig
Millionen Gulden bewilligen müssen! Dabei wollte sich Beust jetzt natürlich
nicht formell binden, da er bisher nicht gebunden war. es konnte doch schließlich
im Kampfe auch anders kommen, als er und Frankreich sich dachten.

Was wäre nun geschehen, wenn die beiden neuen französischen Forde¬
rungen (1. „für alle Zukunft," 2. der Entschuldigungsbrief) nicht gestellt
worden wären? Sybel, der das große Bündnis gegen Preußen (er schrieb ja
vor Lebruns Veröffentlichung) für ein Hirngespinst erklärt, glaubt, dann wäre
der Krieg überhaupt unterblieben; denn Napoleon, Beust und Bismarck seien





*) Im siebenten Bande seiner Begründung des deutschen Reiches, sowie in den beiden
Ergänzungen: Die Phantasien des Herzogs von Gramont (Zukunft vom 6. April 139S) und
Neue Mitteilungen zur Begründung des deutschen Reiches (Sonderabdvuck aus der Histo¬
rischen Zeitschrift, 1895).
Nsvus usf Äsux mouäss, 1392.
Souvenirs miliwiros 1866—70. ?rü1imm^iros av I-» Zusrrs. ni8fini su Koi^i-zus
°t K Visum-. Paris, E. Denen, 1895.
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[0037] Die Lmser Legende Dieser große Triumph aber genügte den Franzosen nicht. Denn nun er¬ klärte Gramont dem deutschen Botschafter, Herrn von Werther: der Verzicht sei Nebensache, es komme daraus an. die Verstimmung, die aus dem preußischen Verfahren entstanden sei, wieder zu beseitigen, sie verlangten noch eine Sühne. Bei Sybel*) ist es nun bloß die französische Eitelkeit und die NarrlM Gramonts, die den kranken Kaiser zu den neuen Forderungen treiben. Wenn man aber erfährt, daß Napoleon keineswegs bloß willenlos nachgab, sondern dem Herzog einige Stunden, nachdem sie beide konferirt hatten, eine eingehende schriftliche Instruktion schickte, worin der ganze neue diplomatische Feldzugs¬ plan vorgeschrieben war, mit der Forderung. König Wilhelm solle sich ver¬ pflichten, „auch in Zukunft" zu einer etwaigen Wiederaufnahme der Kandidatur seine Einwilligung zu versagen, so hat sich der Kaiser offenbar nicht bloß mitschleppen lassen, sondern war vollkommen Herr seiner Entschlüsse. Er be¬ ging den Fehler, daß er den „dynastischen" Kriegsgrund, die Hohenzollern- kandidatur, immer noch für brauchbar hielt, als dieser längst verbraucht war. Napoleon glaubte auch Österreichs im Grunde sicher zu sein, wenn auch der formelle Bündnisvertrag noch nicht fertig war. Denn aus den Veröffent¬ lichungen des Generals Jarras**) und des Vertrauten Napoleons, des Generals Lebrun. ***) wissen wir, daß ein regelrechter Kriegsplan zwischen Frankreich und Österreich-Italien festgestellt worden ist, daß aber der Erzherzog Albrecht den Spätherbst, besser noch den Frühling 1871 für den Zeitpunkt zum Losschlagen angesetzt wissen wollte. Die französische Negierung forderte 1870 Österreich sogar auf, Truppen in Böhmen zusammenzuziehen. Beust, dem sehr viel daran lag, daß Preußen nicht als der angegriffne Teil erscheine, mißbilligte nur das beleidigende Auftreten Gramonts gegen Preußen, verwarf jedoch keineswegs das Bündnis gegen Preußen an sich, und thatsächlich fing die österreichische Armee an mobil zu machen; die Delegationen haben dafür nachher zwanzig Millionen Gulden bewilligen müssen! Dabei wollte sich Beust jetzt natürlich nicht formell binden, da er bisher nicht gebunden war. es konnte doch schließlich im Kampfe auch anders kommen, als er und Frankreich sich dachten. Was wäre nun geschehen, wenn die beiden neuen französischen Forde¬ rungen (1. „für alle Zukunft," 2. der Entschuldigungsbrief) nicht gestellt worden wären? Sybel, der das große Bündnis gegen Preußen (er schrieb ja vor Lebruns Veröffentlichung) für ein Hirngespinst erklärt, glaubt, dann wäre der Krieg überhaupt unterblieben; denn Napoleon, Beust und Bismarck seien *) Im siebenten Bande seiner Begründung des deutschen Reiches, sowie in den beiden Ergänzungen: Die Phantasien des Herzogs von Gramont (Zukunft vom 6. April 139S) und Neue Mitteilungen zur Begründung des deutschen Reiches (Sonderabdvuck aus der Histo¬ rischen Zeitschrift, 1895). Nsvus usf Äsux mouäss, 1392. Souvenirs miliwiros 1866—70. ?rü1imm^iros av I-» Zusrrs. ni8fini su Koi^i-zus °t K Visum-. Paris, E. Denen, 1895.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/37>, abgerufen am 01.09.2024.