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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Das Recht der Persönlichkeit

das große Recht der Persönlichkeit. . . . An der Spitze des Reiches steht eine
scharf ausgeprägte Persönlichkeit usw.

Es übersteigt meine Kraft, diese annähernd zwei Seiten füllende Cha¬
rakteristik der Gegenwart und Zukunftsphantasie vollständig abzuschreiben; dazu
ärgern mich zu sehr die in ihr enthaltene" Oberflächlichkeiten, Widersprüche
und der auch nicht fehlende offenbare Unsinn (man nehme nur den Ausdruck
"Einzelgeuies"!). Von wem die Ausführungen stammen, ist hier gleichgiltig,
es genügt, zu sagen, daß es ein nicht mehr unbekannter Angehöriger der jüngsten
Generation ist, der sein Licht leuchten läßt. Ich will ihn auch keineswegs
bekämpfen, sondern ich habe die ganze Stelle nur angeführt, um zu zeigen,
daß -- was ich schon lange befürchtete und in einem im vorigen Jahre in
den Grenzboten erschienenen Artikel "Litterarischer Erfolg" auch ausgesprochen
habe -- das Wort "Persönlichkeit" jetzt in der That das beliebteste Schlag¬
wort unsrer Zeit geworden ist. Nietzsche und Langbehn mögen das auf dem
Gewissen haben, können aber, wie alle Weisen und Halbweisen, die der Wirkung
halber gezwungen sind, einzelne Begriffe und Wörter mit besonderm Nachdruck,
fast refrainartig zu gebrauchen, nicht für den Mißbrauch; viel verwendet wurde
das Wort schon in dem Kampfe gegen Caprivi, der keine Persönlichkeit sein
sollte, und neuerdings hat man es nun auf allen Gebieten aufgenommen, ver¬
langt überall Persönlichkeiten und verheißt, daß sie kommen. "Ehe die Dichtung
wieder kämpfen muß, erblüht ihr ein goldnes Zeitalter -- das der großen
Persönlichkeiten," prophezeit auch der Verfasser des Aufsatzes, aus dem ich
zitirt habe. Da wird es denn freilich Zeit, dem Ausdruck ein wenig auf den
Leib zu rücken; denn Schlagwörter sind bekanntlich gefährlich, nicht bloß, weil
sie das Denken totschlagen, "Persönlichkeit" aber ist sogar ein besonders ge¬
fährliches Wort, wie schon die schönen Wendungen unsers Ungenannten von
der "Skrupellvsigkeit in der Wahl der Mittel" und der "freien Bethätigung
der genialen Kraft auf Kosten der Schwächer"" beweisen. Wer sagt uns, ob
nicht nächstens alle jungen Dentschen, die das Gymnasium verlassen und in
ihren ersten Semestern Nietzsche und Langbehn gelesen haben, Persönlichkeiten
im Sinne dieser Männer fein wollen und das Recht der Persönlichkeit ver¬
langen?

Vor Nietzsche war Persönlichkeit ein durchaus harmloses Wort, sogar ein
wenig farblos, sodaß man es meist mit Adjektiven, eine "interessante, be¬
deutende, sreie, große, kuriose Persönlichkeit," verband und nur selten einmal,
wie z. B. Goethe in dem bekannten Spruch vom "Glück der Erdenkinder,"
prägnant gebrauchte. In vielen Fällen verwendete man lieber das gute deutsche
Wort "Mann"; "er ist ein Mann," bezeichnete so ungefähr das höchste in
dieser Richtung. Aber da jetzt auch die Frauen, und natürlich mit Recht,
beanspruchen, Persönlichkeiten zu sein, so können wir das nicht mehr sagen
und müssen den Ausdruck "verweiblichen" oder doch mindestens "versächlichen."


Das Recht der Persönlichkeit

das große Recht der Persönlichkeit. . . . An der Spitze des Reiches steht eine
scharf ausgeprägte Persönlichkeit usw.

Es übersteigt meine Kraft, diese annähernd zwei Seiten füllende Cha¬
rakteristik der Gegenwart und Zukunftsphantasie vollständig abzuschreiben; dazu
ärgern mich zu sehr die in ihr enthaltene» Oberflächlichkeiten, Widersprüche
und der auch nicht fehlende offenbare Unsinn (man nehme nur den Ausdruck
„Einzelgeuies"!). Von wem die Ausführungen stammen, ist hier gleichgiltig,
es genügt, zu sagen, daß es ein nicht mehr unbekannter Angehöriger der jüngsten
Generation ist, der sein Licht leuchten läßt. Ich will ihn auch keineswegs
bekämpfen, sondern ich habe die ganze Stelle nur angeführt, um zu zeigen,
daß — was ich schon lange befürchtete und in einem im vorigen Jahre in
den Grenzboten erschienenen Artikel „Litterarischer Erfolg" auch ausgesprochen
habe — das Wort „Persönlichkeit" jetzt in der That das beliebteste Schlag¬
wort unsrer Zeit geworden ist. Nietzsche und Langbehn mögen das auf dem
Gewissen haben, können aber, wie alle Weisen und Halbweisen, die der Wirkung
halber gezwungen sind, einzelne Begriffe und Wörter mit besonderm Nachdruck,
fast refrainartig zu gebrauchen, nicht für den Mißbrauch; viel verwendet wurde
das Wort schon in dem Kampfe gegen Caprivi, der keine Persönlichkeit sein
sollte, und neuerdings hat man es nun auf allen Gebieten aufgenommen, ver¬
langt überall Persönlichkeiten und verheißt, daß sie kommen. „Ehe die Dichtung
wieder kämpfen muß, erblüht ihr ein goldnes Zeitalter — das der großen
Persönlichkeiten," prophezeit auch der Verfasser des Aufsatzes, aus dem ich
zitirt habe. Da wird es denn freilich Zeit, dem Ausdruck ein wenig auf den
Leib zu rücken; denn Schlagwörter sind bekanntlich gefährlich, nicht bloß, weil
sie das Denken totschlagen, „Persönlichkeit" aber ist sogar ein besonders ge¬
fährliches Wort, wie schon die schönen Wendungen unsers Ungenannten von
der „Skrupellvsigkeit in der Wahl der Mittel" und der „freien Bethätigung
der genialen Kraft auf Kosten der Schwächer»" beweisen. Wer sagt uns, ob
nicht nächstens alle jungen Dentschen, die das Gymnasium verlassen und in
ihren ersten Semestern Nietzsche und Langbehn gelesen haben, Persönlichkeiten
im Sinne dieser Männer fein wollen und das Recht der Persönlichkeit ver¬
langen?

Vor Nietzsche war Persönlichkeit ein durchaus harmloses Wort, sogar ein
wenig farblos, sodaß man es meist mit Adjektiven, eine „interessante, be¬
deutende, sreie, große, kuriose Persönlichkeit," verband und nur selten einmal,
wie z. B. Goethe in dem bekannten Spruch vom „Glück der Erdenkinder,"
prägnant gebrauchte. In vielen Fällen verwendete man lieber das gute deutsche
Wort „Mann"; „er ist ein Mann," bezeichnete so ungefähr das höchste in
dieser Richtung. Aber da jetzt auch die Frauen, und natürlich mit Recht,
beanspruchen, Persönlichkeiten zu sein, so können wir das nicht mehr sagen
und müssen den Ausdruck „verweiblichen" oder doch mindestens „versächlichen."


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[0368] Das Recht der Persönlichkeit das große Recht der Persönlichkeit. . . . An der Spitze des Reiches steht eine scharf ausgeprägte Persönlichkeit usw. Es übersteigt meine Kraft, diese annähernd zwei Seiten füllende Cha¬ rakteristik der Gegenwart und Zukunftsphantasie vollständig abzuschreiben; dazu ärgern mich zu sehr die in ihr enthaltene» Oberflächlichkeiten, Widersprüche und der auch nicht fehlende offenbare Unsinn (man nehme nur den Ausdruck „Einzelgeuies"!). Von wem die Ausführungen stammen, ist hier gleichgiltig, es genügt, zu sagen, daß es ein nicht mehr unbekannter Angehöriger der jüngsten Generation ist, der sein Licht leuchten läßt. Ich will ihn auch keineswegs bekämpfen, sondern ich habe die ganze Stelle nur angeführt, um zu zeigen, daß — was ich schon lange befürchtete und in einem im vorigen Jahre in den Grenzboten erschienenen Artikel „Litterarischer Erfolg" auch ausgesprochen habe — das Wort „Persönlichkeit" jetzt in der That das beliebteste Schlag¬ wort unsrer Zeit geworden ist. Nietzsche und Langbehn mögen das auf dem Gewissen haben, können aber, wie alle Weisen und Halbweisen, die der Wirkung halber gezwungen sind, einzelne Begriffe und Wörter mit besonderm Nachdruck, fast refrainartig zu gebrauchen, nicht für den Mißbrauch; viel verwendet wurde das Wort schon in dem Kampfe gegen Caprivi, der keine Persönlichkeit sein sollte, und neuerdings hat man es nun auf allen Gebieten aufgenommen, ver¬ langt überall Persönlichkeiten und verheißt, daß sie kommen. „Ehe die Dichtung wieder kämpfen muß, erblüht ihr ein goldnes Zeitalter — das der großen Persönlichkeiten," prophezeit auch der Verfasser des Aufsatzes, aus dem ich zitirt habe. Da wird es denn freilich Zeit, dem Ausdruck ein wenig auf den Leib zu rücken; denn Schlagwörter sind bekanntlich gefährlich, nicht bloß, weil sie das Denken totschlagen, „Persönlichkeit" aber ist sogar ein besonders ge¬ fährliches Wort, wie schon die schönen Wendungen unsers Ungenannten von der „Skrupellvsigkeit in der Wahl der Mittel" und der „freien Bethätigung der genialen Kraft auf Kosten der Schwächer»" beweisen. Wer sagt uns, ob nicht nächstens alle jungen Dentschen, die das Gymnasium verlassen und in ihren ersten Semestern Nietzsche und Langbehn gelesen haben, Persönlichkeiten im Sinne dieser Männer fein wollen und das Recht der Persönlichkeit ver¬ langen? Vor Nietzsche war Persönlichkeit ein durchaus harmloses Wort, sogar ein wenig farblos, sodaß man es meist mit Adjektiven, eine „interessante, be¬ deutende, sreie, große, kuriose Persönlichkeit," verband und nur selten einmal, wie z. B. Goethe in dem bekannten Spruch vom „Glück der Erdenkinder," prägnant gebrauchte. In vielen Fällen verwendete man lieber das gute deutsche Wort „Mann"; „er ist ein Mann," bezeichnete so ungefähr das höchste in dieser Richtung. Aber da jetzt auch die Frauen, und natürlich mit Recht, beanspruchen, Persönlichkeiten zu sein, so können wir das nicht mehr sagen und müssen den Ausdruck „verweiblichen" oder doch mindestens „versächlichen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/368>, abgerufen am 01.09.2024.