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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Englische Bliildnisbestrebungen

ständen aber sollten wir den sinnlosen Plan hegen, Hand in Hand mit Deutsch¬
land zu gehen." In derselben Rundschau schließt sich Canon Mac Coll der
Anklage gegen Deutschland an und verlangt ein unumwundnes und bestimmtes
Einverständnis mit Rußland.

Mr. Arnold Forster, der sich im MnetssiM Qonwr^ vernehmen läßt,
gehört wie Mr. Greenwood der liberal-unionistischen Partei an; aber ungleich
seinem politischen Waffengeführteu, ist er nicht russenfeindlich gesinnt. Ohne
Furcht wirft er den alten Jiugvgrundsatz über Bord, daß Nußland unter allen
Umständen die Besetzung von Konstantinopel verwehrt werden müsse. Ru߬
land, im Besitze von Konstantinopel, sagt er, wird uns keinen Schaden thun;
im Gegenteil, es wird zur Vermehrung unsers Handels beitragen. Was das
Mittelländische Meer betrifft, so ist die Stellung Englands dort bereits un¬
haltbar geworden. Wenn in unsrer fast verbrecherisch zu nennenden Gewohn¬
heit, unsre unbeschützte Flotte in diesem europäischen ont at sg,o der Ver¬
nichtung auszusetzen, endlich einmal eine Änderung eintritt, so wird man
hierzulande wenig Grund haben, sich zu beklagen. Als Bedingung zu einem
guten Einverständnis mit Frankreich betrachtet Mr. Forster die Räumung
Ägyptens: "Verlassen wir Ägypten, wie es uns die Ehre gebietet. Wir haben
kein Recht, dort zu bleiben, und unsre Gegenwart vermöge bewaffneter
Okkupation ist eine militärische Schwäche, die gar nicht überboten werden
kann." Und weiter: "Ziehen wir unsre Mittelmeerflotte aus der gefährlichen
Lage zurück, in der sie sich befindet. Es ist sicherlich eine Thorheit, die zwei
stärksten Abteilungen 3000 Seemeilen von einander entfernt zu halten und
dreißig Schiffe ohne eine Operationsbasis, ohne einen Schutzhafen, ohne eine
Werft für Reparaturen, kurz ohne alle Hilfsmittel, die von der neuern Wissen¬
schaft für ihre Unterhaltung als unentbehrlich bezeichnet werden, dort zu lassen."
Zieht aber England, so heißt es am Schluß, seiue Schiffe in seineu eignen
Gewässern zusammen, so wird es über eine Flotte verfügen, stark genng, das
Meer zu beherrschen.

Der talentvolle Mitarbeiter des Pariser lomxs, M. de Pressenss, kommt
Mr. Forster in derselben Rundschau zu Hilfe, indem er in einem mit vieler
Wärme abgefaßten Essay den neuen Dreibund -- Frankreich, Nußland und
England -- empfiehlt. Nachdem er dein "bevorzugten Lande parlamentarischer
Einrichtungen" nud seiner "ruhmreichen Litteratur" in glänzenden Perioden
gehuldigt hat, kommt er zu der Versicherung, daß nichts für England fo nutz¬
bringend sein könne, als eine gründliche und gleichzeitige Auseinandersetzung
mit Frankreich in Afrika, mit Rußland in Asien und mit beiden überall, wo
Grund zu Reibungen vorliegt. "Welche Aussichten, ruft er aus, würde dies
für die letzten Jahre des Jahrhunderts eröffnen, wenn die zwei großen liberalen
Völker des Westens, indem sie das große russische Reich in ihre Bahn hinein¬
ziehen, den Dreibund des Friedens und des Wohlwollens bildeten! Freude


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ständen aber sollten wir den sinnlosen Plan hegen, Hand in Hand mit Deutsch¬
land zu gehen." In derselben Rundschau schließt sich Canon Mac Coll der
Anklage gegen Deutschland an und verlangt ein unumwundnes und bestimmtes
Einverständnis mit Rußland.

Mr. Arnold Forster, der sich im MnetssiM Qonwr^ vernehmen läßt,
gehört wie Mr. Greenwood der liberal-unionistischen Partei an; aber ungleich
seinem politischen Waffengeführteu, ist er nicht russenfeindlich gesinnt. Ohne
Furcht wirft er den alten Jiugvgrundsatz über Bord, daß Nußland unter allen
Umständen die Besetzung von Konstantinopel verwehrt werden müsse. Ru߬
land, im Besitze von Konstantinopel, sagt er, wird uns keinen Schaden thun;
im Gegenteil, es wird zur Vermehrung unsers Handels beitragen. Was das
Mittelländische Meer betrifft, so ist die Stellung Englands dort bereits un¬
haltbar geworden. Wenn in unsrer fast verbrecherisch zu nennenden Gewohn¬
heit, unsre unbeschützte Flotte in diesem europäischen ont at sg,o der Ver¬
nichtung auszusetzen, endlich einmal eine Änderung eintritt, so wird man
hierzulande wenig Grund haben, sich zu beklagen. Als Bedingung zu einem
guten Einverständnis mit Frankreich betrachtet Mr. Forster die Räumung
Ägyptens: „Verlassen wir Ägypten, wie es uns die Ehre gebietet. Wir haben
kein Recht, dort zu bleiben, und unsre Gegenwart vermöge bewaffneter
Okkupation ist eine militärische Schwäche, die gar nicht überboten werden
kann." Und weiter: „Ziehen wir unsre Mittelmeerflotte aus der gefährlichen
Lage zurück, in der sie sich befindet. Es ist sicherlich eine Thorheit, die zwei
stärksten Abteilungen 3000 Seemeilen von einander entfernt zu halten und
dreißig Schiffe ohne eine Operationsbasis, ohne einen Schutzhafen, ohne eine
Werft für Reparaturen, kurz ohne alle Hilfsmittel, die von der neuern Wissen¬
schaft für ihre Unterhaltung als unentbehrlich bezeichnet werden, dort zu lassen."
Zieht aber England, so heißt es am Schluß, seiue Schiffe in seineu eignen
Gewässern zusammen, so wird es über eine Flotte verfügen, stark genng, das
Meer zu beherrschen.

Der talentvolle Mitarbeiter des Pariser lomxs, M. de Pressenss, kommt
Mr. Forster in derselben Rundschau zu Hilfe, indem er in einem mit vieler
Wärme abgefaßten Essay den neuen Dreibund — Frankreich, Nußland und
England — empfiehlt. Nachdem er dein „bevorzugten Lande parlamentarischer
Einrichtungen" nud seiner „ruhmreichen Litteratur" in glänzenden Perioden
gehuldigt hat, kommt er zu der Versicherung, daß nichts für England fo nutz¬
bringend sein könne, als eine gründliche und gleichzeitige Auseinandersetzung
mit Frankreich in Afrika, mit Rußland in Asien und mit beiden überall, wo
Grund zu Reibungen vorliegt. „Welche Aussichten, ruft er aus, würde dies
für die letzten Jahre des Jahrhunderts eröffnen, wenn die zwei großen liberalen
Völker des Westens, indem sie das große russische Reich in ihre Bahn hinein¬
ziehen, den Dreibund des Friedens und des Wohlwollens bildeten! Freude


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[0363] Englische Bliildnisbestrebungen ständen aber sollten wir den sinnlosen Plan hegen, Hand in Hand mit Deutsch¬ land zu gehen." In derselben Rundschau schließt sich Canon Mac Coll der Anklage gegen Deutschland an und verlangt ein unumwundnes und bestimmtes Einverständnis mit Rußland. Mr. Arnold Forster, der sich im MnetssiM Qonwr^ vernehmen läßt, gehört wie Mr. Greenwood der liberal-unionistischen Partei an; aber ungleich seinem politischen Waffengeführteu, ist er nicht russenfeindlich gesinnt. Ohne Furcht wirft er den alten Jiugvgrundsatz über Bord, daß Nußland unter allen Umständen die Besetzung von Konstantinopel verwehrt werden müsse. Ru߬ land, im Besitze von Konstantinopel, sagt er, wird uns keinen Schaden thun; im Gegenteil, es wird zur Vermehrung unsers Handels beitragen. Was das Mittelländische Meer betrifft, so ist die Stellung Englands dort bereits un¬ haltbar geworden. Wenn in unsrer fast verbrecherisch zu nennenden Gewohn¬ heit, unsre unbeschützte Flotte in diesem europäischen ont at sg,o der Ver¬ nichtung auszusetzen, endlich einmal eine Änderung eintritt, so wird man hierzulande wenig Grund haben, sich zu beklagen. Als Bedingung zu einem guten Einverständnis mit Frankreich betrachtet Mr. Forster die Räumung Ägyptens: „Verlassen wir Ägypten, wie es uns die Ehre gebietet. Wir haben kein Recht, dort zu bleiben, und unsre Gegenwart vermöge bewaffneter Okkupation ist eine militärische Schwäche, die gar nicht überboten werden kann." Und weiter: „Ziehen wir unsre Mittelmeerflotte aus der gefährlichen Lage zurück, in der sie sich befindet. Es ist sicherlich eine Thorheit, die zwei stärksten Abteilungen 3000 Seemeilen von einander entfernt zu halten und dreißig Schiffe ohne eine Operationsbasis, ohne einen Schutzhafen, ohne eine Werft für Reparaturen, kurz ohne alle Hilfsmittel, die von der neuern Wissen¬ schaft für ihre Unterhaltung als unentbehrlich bezeichnet werden, dort zu lassen." Zieht aber England, so heißt es am Schluß, seiue Schiffe in seineu eignen Gewässern zusammen, so wird es über eine Flotte verfügen, stark genng, das Meer zu beherrschen. Der talentvolle Mitarbeiter des Pariser lomxs, M. de Pressenss, kommt Mr. Forster in derselben Rundschau zu Hilfe, indem er in einem mit vieler Wärme abgefaßten Essay den neuen Dreibund — Frankreich, Nußland und England — empfiehlt. Nachdem er dein „bevorzugten Lande parlamentarischer Einrichtungen" nud seiner „ruhmreichen Litteratur" in glänzenden Perioden gehuldigt hat, kommt er zu der Versicherung, daß nichts für England fo nutz¬ bringend sein könne, als eine gründliche und gleichzeitige Auseinandersetzung mit Frankreich in Afrika, mit Rußland in Asien und mit beiden überall, wo Grund zu Reibungen vorliegt. „Welche Aussichten, ruft er aus, würde dies für die letzten Jahre des Jahrhunderts eröffnen, wenn die zwei großen liberalen Völker des Westens, indem sie das große russische Reich in ihre Bahn hinein¬ ziehen, den Dreibund des Friedens und des Wohlwollens bildeten! Freude

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/363>, abgerufen am 01.09.2024.