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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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stände sei. Mr. Dicey in der ^ortniZIrtl^ Nsvisv ist der einzige Schriftsteller,
der diese Jsolirung einfach als unangenehme Thatsache behandelt, die nun
einmal nicht zu ändern sei. Der einzige, der seinen frühern Grundsätzen getreu,
in der Oontsirixoriu^ Rsvisv zum Anschluß Englands an den Dreibund rut
und diesen für das einzige Bollwerk des britischen Reichs erklärt, ist Frederick
Greenwood. Hätte sich England -- so führt er aus -- dem Dreibund an¬
geschlossen, so wäre alles jetzt im schönsten Fahrwasser; was aber können wir
von einem Abkommen mit Nußland und Frankreich erwarten? Wir würden
keinen wesentlichen Vorteil daraus ziehen und wären zugleich endlosen In¬
triguen ausgesetzt. Ein Bündnis mit Deutschland würde in Afrika all der
Eifersucht und Feindschaft ein Ende machen, die in der berühmten Kaiser¬
depesche so plötzlich aufflammte; ein russisch-französisches Bündnis dagegen
würde nach allen Seiten hin zu unserm Nachteil ausgenutzt werden. Und
"haben die eifrigsten Geister, fragt Greenwood, die zum Abschluß eines solchen
Bündnisses hindrängen, wohl bedacht, daß dieses uns der Notwendigkeit be¬
deutend vermehrter Rüstungen nicht entheben würde, oder daß es ein ent¬
schieden aggressives Bündnis wäre, das nicht auf die Erhaltung des Friedens
auf der Grundlage des staws <zuo gerichtet Ware? oder daß es eine niedrige
Handlung sein würde, uns gegen die Mitglieder des Dreibunds zu kehren,
nachdem wir jahrelang unter seinem Schutze Sicherheit genossen haben? Aber
das sind Fragen, die jeder in seiner Weise aufwerfen und beantworten mag.
Das allerunwahrscheinlichste Ding in der gesamten politischen Spekulation ist
jedenfalls ein englisch-französisch-russisches Bündnis."

In scharfem Gegensatz zu diesen Ansichten stehen die Ausführungen eines
sich als "Genosse Ägir"(!) bezeichnenden Verfassers in der ^orwiMI^ Rsvisv.
Er beschreibt den Dreibund als einen "deutscheu Verdauungsklub" und ist der
Meinung, daß England unter allen Umständen vertrauliche Beziehungen zu
einer Macht vermeiden solle, deren Motto ist: "Laß Freund und Feind zu
Grunde gehen, wenn nur Deutschland genug zum Leben zusammenscharrt."
Österreich wird gedrückt und Italien zu Grunde gerichtet, damit sie Deutsch-
land helfen, die von Frankreich abgerissenen Provinzen zu assimiliren. Die
Unterstützung der englische" Flotte wird gewünscht, um dieses schöne Ver¬
fahren auf noch sicherer Grundlage durchführen zu können, und da wir diese
Unterstützung vorenthalten, so verliert Deutschland keine Gelegenheit, uns
Schaden zuzufügen. "Und selbst wenn es möglich wäre, heißt es dann wörtlich,
daß Deutschland in Zukunft Selbstentsagung genug aufböte, einen Kreuzzug
gegen den Vater alles Übels zu organisiren, so kann man es doch a, priori
als wahrscheinlich annehmen, daß der Sache der wahren Religion und den
Interessen des britischen Reichs am besten gedient sein würde, wenn wir auf
der entgegengesetzten Seite Stellung nähmen, womöglich im Verein mit Frank¬
reich und Nußland, und wenn das nicht geht, dann allein; unter keinen Um-


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stände sei. Mr. Dicey in der ^ortniZIrtl^ Nsvisv ist der einzige Schriftsteller,
der diese Jsolirung einfach als unangenehme Thatsache behandelt, die nun
einmal nicht zu ändern sei. Der einzige, der seinen frühern Grundsätzen getreu,
in der Oontsirixoriu^ Rsvisv zum Anschluß Englands an den Dreibund rut
und diesen für das einzige Bollwerk des britischen Reichs erklärt, ist Frederick
Greenwood. Hätte sich England — so führt er aus — dem Dreibund an¬
geschlossen, so wäre alles jetzt im schönsten Fahrwasser; was aber können wir
von einem Abkommen mit Nußland und Frankreich erwarten? Wir würden
keinen wesentlichen Vorteil daraus ziehen und wären zugleich endlosen In¬
triguen ausgesetzt. Ein Bündnis mit Deutschland würde in Afrika all der
Eifersucht und Feindschaft ein Ende machen, die in der berühmten Kaiser¬
depesche so plötzlich aufflammte; ein russisch-französisches Bündnis dagegen
würde nach allen Seiten hin zu unserm Nachteil ausgenutzt werden. Und
„haben die eifrigsten Geister, fragt Greenwood, die zum Abschluß eines solchen
Bündnisses hindrängen, wohl bedacht, daß dieses uns der Notwendigkeit be¬
deutend vermehrter Rüstungen nicht entheben würde, oder daß es ein ent¬
schieden aggressives Bündnis wäre, das nicht auf die Erhaltung des Friedens
auf der Grundlage des staws <zuo gerichtet Ware? oder daß es eine niedrige
Handlung sein würde, uns gegen die Mitglieder des Dreibunds zu kehren,
nachdem wir jahrelang unter seinem Schutze Sicherheit genossen haben? Aber
das sind Fragen, die jeder in seiner Weise aufwerfen und beantworten mag.
Das allerunwahrscheinlichste Ding in der gesamten politischen Spekulation ist
jedenfalls ein englisch-französisch-russisches Bündnis."

In scharfem Gegensatz zu diesen Ansichten stehen die Ausführungen eines
sich als „Genosse Ägir"(!) bezeichnenden Verfassers in der ^orwiMI^ Rsvisv.
Er beschreibt den Dreibund als einen „deutscheu Verdauungsklub" und ist der
Meinung, daß England unter allen Umständen vertrauliche Beziehungen zu
einer Macht vermeiden solle, deren Motto ist: „Laß Freund und Feind zu
Grunde gehen, wenn nur Deutschland genug zum Leben zusammenscharrt."
Österreich wird gedrückt und Italien zu Grunde gerichtet, damit sie Deutsch-
land helfen, die von Frankreich abgerissenen Provinzen zu assimiliren. Die
Unterstützung der englische» Flotte wird gewünscht, um dieses schöne Ver¬
fahren auf noch sicherer Grundlage durchführen zu können, und da wir diese
Unterstützung vorenthalten, so verliert Deutschland keine Gelegenheit, uns
Schaden zuzufügen. „Und selbst wenn es möglich wäre, heißt es dann wörtlich,
daß Deutschland in Zukunft Selbstentsagung genug aufböte, einen Kreuzzug
gegen den Vater alles Übels zu organisiren, so kann man es doch a, priori
als wahrscheinlich annehmen, daß der Sache der wahren Religion und den
Interessen des britischen Reichs am besten gedient sein würde, wenn wir auf
der entgegengesetzten Seite Stellung nähmen, womöglich im Verein mit Frank¬
reich und Nußland, und wenn das nicht geht, dann allein; unter keinen Um-


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[0362] Lnglische Biindnisbestreinmgen stände sei. Mr. Dicey in der ^ortniZIrtl^ Nsvisv ist der einzige Schriftsteller, der diese Jsolirung einfach als unangenehme Thatsache behandelt, die nun einmal nicht zu ändern sei. Der einzige, der seinen frühern Grundsätzen getreu, in der Oontsirixoriu^ Rsvisv zum Anschluß Englands an den Dreibund rut und diesen für das einzige Bollwerk des britischen Reichs erklärt, ist Frederick Greenwood. Hätte sich England — so führt er aus — dem Dreibund an¬ geschlossen, so wäre alles jetzt im schönsten Fahrwasser; was aber können wir von einem Abkommen mit Nußland und Frankreich erwarten? Wir würden keinen wesentlichen Vorteil daraus ziehen und wären zugleich endlosen In¬ triguen ausgesetzt. Ein Bündnis mit Deutschland würde in Afrika all der Eifersucht und Feindschaft ein Ende machen, die in der berühmten Kaiser¬ depesche so plötzlich aufflammte; ein russisch-französisches Bündnis dagegen würde nach allen Seiten hin zu unserm Nachteil ausgenutzt werden. Und „haben die eifrigsten Geister, fragt Greenwood, die zum Abschluß eines solchen Bündnisses hindrängen, wohl bedacht, daß dieses uns der Notwendigkeit be¬ deutend vermehrter Rüstungen nicht entheben würde, oder daß es ein ent¬ schieden aggressives Bündnis wäre, das nicht auf die Erhaltung des Friedens auf der Grundlage des staws <zuo gerichtet Ware? oder daß es eine niedrige Handlung sein würde, uns gegen die Mitglieder des Dreibunds zu kehren, nachdem wir jahrelang unter seinem Schutze Sicherheit genossen haben? Aber das sind Fragen, die jeder in seiner Weise aufwerfen und beantworten mag. Das allerunwahrscheinlichste Ding in der gesamten politischen Spekulation ist jedenfalls ein englisch-französisch-russisches Bündnis." In scharfem Gegensatz zu diesen Ansichten stehen die Ausführungen eines sich als „Genosse Ägir"(!) bezeichnenden Verfassers in der ^orwiMI^ Rsvisv. Er beschreibt den Dreibund als einen „deutscheu Verdauungsklub" und ist der Meinung, daß England unter allen Umständen vertrauliche Beziehungen zu einer Macht vermeiden solle, deren Motto ist: „Laß Freund und Feind zu Grunde gehen, wenn nur Deutschland genug zum Leben zusammenscharrt." Österreich wird gedrückt und Italien zu Grunde gerichtet, damit sie Deutsch- land helfen, die von Frankreich abgerissenen Provinzen zu assimiliren. Die Unterstützung der englische» Flotte wird gewünscht, um dieses schöne Ver¬ fahren auf noch sicherer Grundlage durchführen zu können, und da wir diese Unterstützung vorenthalten, so verliert Deutschland keine Gelegenheit, uns Schaden zuzufügen. „Und selbst wenn es möglich wäre, heißt es dann wörtlich, daß Deutschland in Zukunft Selbstentsagung genug aufböte, einen Kreuzzug gegen den Vater alles Übels zu organisiren, so kann man es doch a, priori als wahrscheinlich annehmen, daß der Sache der wahren Religion und den Interessen des britischen Reichs am besten gedient sein würde, wenn wir auf der entgegengesetzten Seite Stellung nähmen, womöglich im Verein mit Frank¬ reich und Nußland, und wenn das nicht geht, dann allein; unter keinen Um-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/362>, abgerufen am 01.09.2024.