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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Kunst

Künstler mit seinem Besuche beehren wollte. Ja, beehren -- so stand darin.
Er, der Geheimrat, habe Anweisungen, die es ihm ermöglichten, ihm einige
Vorschläge zu machen, von denen sich hoffen ließe, daß Herr Vanrile Dresden
und der Akademie vielleicht dauernd erhalten bliebe.

Die beiden Herren fanden nur einen Plan, von dem sie sich dafür aber
auch unbedingt sichern Erfolg versprachen. Der Spaziergang war sehr lange
ausgedehnt worden, und als die Herren zurückkehrten, sahen sie einen hoch¬
gewachsenen Mann auf der Veranda auf- und abgehen und warten.

Onkel Moller musterte den Harrenden. Er sah gut aus, tadellos, wie
in seiner besten Zeit in Hamburg, als er ihn kennen gelernt und soviel Ge¬
fallen an ihm gefunden hatte. Merkwürdig! man sah ihm gar nichts an. Er
sah gar nicht aus wie einer, der so weit heruntergekommen war und so viel
Not gelitten hatte.

Ein kurzer Gruß Herrn Mollers, eine Handbewegung, die den andern
zum Platznehmen einlud, und sie saßen sich gegenüber. Der ältere übernahm
sofort die Führung. Er verstand Verhandlungen zu leiten: ruhig, vornehm
und wohlüberlegt fagte er das, was er sich schon zurechtgelegt hatte, während
der andre aus dem Stegreif auf die Sätze antworten mußte, die ihn sehr un¬
vorbereitet trafen:

Bemühen Sie sich nicht mit Auseinandersetzungen, Herr Vanrile, der
Zweck Ihres Kommens ist mir durch meine Nichte bekannt. Es wird das
richtige sein, wenn ich sofort erkläre, daß ich durchaus und unter allen Um¬
ständen gegen diese Ehe bin. Ich bin aber, was ich ebenfalls gleich von vorn¬
herein einräumen will, in einer weniger günstigen Stellung, als wenn ich der
Vater des jungen Mädchens wäre, das Ihnen verweigert wird. Sie können
mir antworten, daß Sie warten würden, und daß ich Ihnen meine Nichte
nur bis zu ihrer Volljährigkeit, nicht aber endgiltig vorenthalten könnte, nicht
wahr?

Unzweifelhaft, erwiderte Vanrile. Aber weshalb --

Es ist nicht nötig, Herr Vanrile, daß wir in Erörterungen über die
Gründe eintreten. Was für Sie spricht, ist reiflich erwogen worden, davon
dürfen Sie überzeugt sein, aber mein Entschluß steht sest. Da ich sie nicht
dauernd verhindern kann, bin ich bereit, die Verbindung jetzt schon zuzulassen,
wenn Sie darauf bestehen, aber -- es würde gesellschaftlich durch unsre Nicht-
beteiligung deutlich gemacht werden, daß diese Verbindung gegen den Willen
der Pflegeeltern erfolgt, ich würde meiner Nichte weder irgend welche Aus¬
stattung noch irgend welche Mitgift geben, und ich würde am Tage der Hochzeit
ein Testament machen, das sie vollständig enterbe. Beharren Sie trotzdem aus
Ihrem Vorsatze, Herr Vanrile?

Aber selbstverständlich, bester Herr! Ich habe doch nicht um Ihr Geld
angehalten. Es entspricht meinen Wünschen, daß ich Fräulein von Haltern
nicht als reiche Erbin empfange und Ihnen nicht für ein glänzendes Los ver¬
pflichtet bin; auch Erika wird ganz damit einverstanden sein. Wenn Sie er¬
lauben, werde ich sie in Ihrer Gegenwart fragen, ob sie es wagen will, sich
von mir, meinem Erfolg und meiner Arbeit abhängig zu wissen.

Damit erhob er sich, etwas wenig sormvvll, um anzudeuten, daß er die
Verhandlung mit Herrn Moller für beendigt betrachte. Und so, wie er die
Frage gestellt hatte, blieb Herrn Moller wirklich nichts andres übrig, als seine
Nichte zu rufen. Er hatte ja seine Einwilligung gegeben. Hätte er ahnen


Grenze, oder I 1896 43
Die Kunst

Künstler mit seinem Besuche beehren wollte. Ja, beehren — so stand darin.
Er, der Geheimrat, habe Anweisungen, die es ihm ermöglichten, ihm einige
Vorschläge zu machen, von denen sich hoffen ließe, daß Herr Vanrile Dresden
und der Akademie vielleicht dauernd erhalten bliebe.

Die beiden Herren fanden nur einen Plan, von dem sie sich dafür aber
auch unbedingt sichern Erfolg versprachen. Der Spaziergang war sehr lange
ausgedehnt worden, und als die Herren zurückkehrten, sahen sie einen hoch¬
gewachsenen Mann auf der Veranda auf- und abgehen und warten.

Onkel Moller musterte den Harrenden. Er sah gut aus, tadellos, wie
in seiner besten Zeit in Hamburg, als er ihn kennen gelernt und soviel Ge¬
fallen an ihm gefunden hatte. Merkwürdig! man sah ihm gar nichts an. Er
sah gar nicht aus wie einer, der so weit heruntergekommen war und so viel
Not gelitten hatte.

Ein kurzer Gruß Herrn Mollers, eine Handbewegung, die den andern
zum Platznehmen einlud, und sie saßen sich gegenüber. Der ältere übernahm
sofort die Führung. Er verstand Verhandlungen zu leiten: ruhig, vornehm
und wohlüberlegt fagte er das, was er sich schon zurechtgelegt hatte, während
der andre aus dem Stegreif auf die Sätze antworten mußte, die ihn sehr un¬
vorbereitet trafen:

Bemühen Sie sich nicht mit Auseinandersetzungen, Herr Vanrile, der
Zweck Ihres Kommens ist mir durch meine Nichte bekannt. Es wird das
richtige sein, wenn ich sofort erkläre, daß ich durchaus und unter allen Um¬
ständen gegen diese Ehe bin. Ich bin aber, was ich ebenfalls gleich von vorn¬
herein einräumen will, in einer weniger günstigen Stellung, als wenn ich der
Vater des jungen Mädchens wäre, das Ihnen verweigert wird. Sie können
mir antworten, daß Sie warten würden, und daß ich Ihnen meine Nichte
nur bis zu ihrer Volljährigkeit, nicht aber endgiltig vorenthalten könnte, nicht
wahr?

Unzweifelhaft, erwiderte Vanrile. Aber weshalb —

Es ist nicht nötig, Herr Vanrile, daß wir in Erörterungen über die
Gründe eintreten. Was für Sie spricht, ist reiflich erwogen worden, davon
dürfen Sie überzeugt sein, aber mein Entschluß steht sest. Da ich sie nicht
dauernd verhindern kann, bin ich bereit, die Verbindung jetzt schon zuzulassen,
wenn Sie darauf bestehen, aber — es würde gesellschaftlich durch unsre Nicht-
beteiligung deutlich gemacht werden, daß diese Verbindung gegen den Willen
der Pflegeeltern erfolgt, ich würde meiner Nichte weder irgend welche Aus¬
stattung noch irgend welche Mitgift geben, und ich würde am Tage der Hochzeit
ein Testament machen, das sie vollständig enterbe. Beharren Sie trotzdem aus
Ihrem Vorsatze, Herr Vanrile?

Aber selbstverständlich, bester Herr! Ich habe doch nicht um Ihr Geld
angehalten. Es entspricht meinen Wünschen, daß ich Fräulein von Haltern
nicht als reiche Erbin empfange und Ihnen nicht für ein glänzendes Los ver¬
pflichtet bin; auch Erika wird ganz damit einverstanden sein. Wenn Sie er¬
lauben, werde ich sie in Ihrer Gegenwart fragen, ob sie es wagen will, sich
von mir, meinem Erfolg und meiner Arbeit abhängig zu wissen.

Damit erhob er sich, etwas wenig sormvvll, um anzudeuten, daß er die
Verhandlung mit Herrn Moller für beendigt betrachte. Und so, wie er die
Frage gestellt hatte, blieb Herrn Moller wirklich nichts andres übrig, als seine
Nichte zu rufen. Er hatte ja seine Einwilligung gegeben. Hätte er ahnen


Grenze, oder I 1896 43
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[0345] Die Kunst Künstler mit seinem Besuche beehren wollte. Ja, beehren — so stand darin. Er, der Geheimrat, habe Anweisungen, die es ihm ermöglichten, ihm einige Vorschläge zu machen, von denen sich hoffen ließe, daß Herr Vanrile Dresden und der Akademie vielleicht dauernd erhalten bliebe. Die beiden Herren fanden nur einen Plan, von dem sie sich dafür aber auch unbedingt sichern Erfolg versprachen. Der Spaziergang war sehr lange ausgedehnt worden, und als die Herren zurückkehrten, sahen sie einen hoch¬ gewachsenen Mann auf der Veranda auf- und abgehen und warten. Onkel Moller musterte den Harrenden. Er sah gut aus, tadellos, wie in seiner besten Zeit in Hamburg, als er ihn kennen gelernt und soviel Ge¬ fallen an ihm gefunden hatte. Merkwürdig! man sah ihm gar nichts an. Er sah gar nicht aus wie einer, der so weit heruntergekommen war und so viel Not gelitten hatte. Ein kurzer Gruß Herrn Mollers, eine Handbewegung, die den andern zum Platznehmen einlud, und sie saßen sich gegenüber. Der ältere übernahm sofort die Führung. Er verstand Verhandlungen zu leiten: ruhig, vornehm und wohlüberlegt fagte er das, was er sich schon zurechtgelegt hatte, während der andre aus dem Stegreif auf die Sätze antworten mußte, die ihn sehr un¬ vorbereitet trafen: Bemühen Sie sich nicht mit Auseinandersetzungen, Herr Vanrile, der Zweck Ihres Kommens ist mir durch meine Nichte bekannt. Es wird das richtige sein, wenn ich sofort erkläre, daß ich durchaus und unter allen Um¬ ständen gegen diese Ehe bin. Ich bin aber, was ich ebenfalls gleich von vorn¬ herein einräumen will, in einer weniger günstigen Stellung, als wenn ich der Vater des jungen Mädchens wäre, das Ihnen verweigert wird. Sie können mir antworten, daß Sie warten würden, und daß ich Ihnen meine Nichte nur bis zu ihrer Volljährigkeit, nicht aber endgiltig vorenthalten könnte, nicht wahr? Unzweifelhaft, erwiderte Vanrile. Aber weshalb — Es ist nicht nötig, Herr Vanrile, daß wir in Erörterungen über die Gründe eintreten. Was für Sie spricht, ist reiflich erwogen worden, davon dürfen Sie überzeugt sein, aber mein Entschluß steht sest. Da ich sie nicht dauernd verhindern kann, bin ich bereit, die Verbindung jetzt schon zuzulassen, wenn Sie darauf bestehen, aber — es würde gesellschaftlich durch unsre Nicht- beteiligung deutlich gemacht werden, daß diese Verbindung gegen den Willen der Pflegeeltern erfolgt, ich würde meiner Nichte weder irgend welche Aus¬ stattung noch irgend welche Mitgift geben, und ich würde am Tage der Hochzeit ein Testament machen, das sie vollständig enterbe. Beharren Sie trotzdem aus Ihrem Vorsatze, Herr Vanrile? Aber selbstverständlich, bester Herr! Ich habe doch nicht um Ihr Geld angehalten. Es entspricht meinen Wünschen, daß ich Fräulein von Haltern nicht als reiche Erbin empfange und Ihnen nicht für ein glänzendes Los ver¬ pflichtet bin; auch Erika wird ganz damit einverstanden sein. Wenn Sie er¬ lauben, werde ich sie in Ihrer Gegenwart fragen, ob sie es wagen will, sich von mir, meinem Erfolg und meiner Arbeit abhängig zu wissen. Damit erhob er sich, etwas wenig sormvvll, um anzudeuten, daß er die Verhandlung mit Herrn Moller für beendigt betrachte. Und so, wie er die Frage gestellt hatte, blieb Herrn Moller wirklich nichts andres übrig, als seine Nichte zu rufen. Er hatte ja seine Einwilligung gegeben. Hätte er ahnen Grenze, oder I 1896 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/345>, abgerufen am 25.11.2024.