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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

"ebener Gesellschafter war, dessen Anblick mich aber an jenem Tage nicht über¬
müßig erfreute. Zufällig oder, wie beide meinte", durch Gottes Fügung kam
gleichzeitig von der andern Seite mein Bruder, der Kaplan an, zum Besuch,
wie er der Mutter sagte, in Wirklichkeit aber nur, um mich zum Widerruf
meiner Unterschrift zu bestimmen. Während die Mutter in der Küche beschäf¬
tigt war, bearbeiteten mich beide und beschworen mich "vor dem Bilde des ge¬
kreuzigten Heilands." Ich blieb dabei, ich könnte dem Propst die protokolla¬
rische Erklärung, die er nur zu entlocken den Austrag hatte, nicht so ohne
weiteres geben, und versprach, sie ihm nächster Tage nach Zobten zu bringen.
Mein Bruder reiste am andern Tage wieder ab, und einen Tag darauf er¬
klärte ich der Mutter, ich hielte mich zu einem Gegenbesuch beim Propst ver¬
pflichtet, hätte eigentlich auch etwas amtliches mit ihm zu bespreche", worüber
sie sehr erfreut war, denn es verstand sich von selbst, daß sie anfuhr, und
das Wetter war wunderschön. Vor der Abfahrt schickte ich folgende Erklä¬
rung an die Schlesische Zeitung: "Hätte ich geahnt, daß die Beteiligung an
der viel besprochnen Adresse schlesischer Katholiken als Auflehnung gegen die
geistliche Obrigkeit, ja als Abfall von der Kirche aufgefaßt, und daß den geist¬
lichen Unterzeichnern der Adresse nur die Wahl gelassen werden würde zwischen
Widerruf einerseits und Bann nebst Absetzung andrerseits, so hätte ich meinen
Namen nicht beigefügt. Da nun in Wirklichkeit dieses Ungeahnte eingetreten
ist, ich aber durchaus nicht gewillt bin, aus dem Verbände der katholischen
Kirche auszuscheiden, so ziehe ich, unbeschadet der Seiner Majestät dem Kaiser
in jener Adresse angelobten Ergebenheit, meine Unterschrift hierdurch zurück."
In Zobten überließen wir meine Mutter zunächst der Gesellschaft der Schwestern
des Propstes und zogen uns in dessen Studirstube zurück. Das Geschäft ging
glatt von statten. Ich überreichte eine Abschrift meiner Erklärung, die, da sie
am andern Morgen gedruckt erscheine" mußte, eine vollendete Thatsache war,
an der sich nichts mehr ändern ließ, und er verfaßte ein Protokoll, das ihm
viel Kopfzerbrechen zu machen schien, denn er brauchte dazu so lange Zeit,
daß ich unterdessen einen auf dem Sofatische liegenden Roman von Bollanden
halb durchlesen konnte. Ich fand ihn übrigens abscheulich. Denn unter¬
schrieben wir und begaben uns zu den Frauen zum gemeinsamen Kaffee.
Meine Mutter fand die Partie ganz reizend. Da es mir gelungen war, ihr
auch alle gefährlichen Zeitungsblätter zu unterschlagen, so hatte sie keine
Ahnung; aber nachträglich erfuhr sie die Geschichte doch durch einen um mein
Seelenheil und um das Heil der Kirche sehr besorgten Amtsbruder, der durch
seine Unfähigkeit, etwas auf dem Herzen zu behalten, berüchtigt war (er war
imstande, binnen einer Stunde zehn verschiednen Personen beiderlei Geschlechts
ein Geheimnis sub siZillo anzuvertrauen); seitdem machte sie der Anblick der
Blechtasche nervös.

Mit der Erklärung, daß ich nicht gewillt sei, aus der Kirche auszuscheiden,


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

"ebener Gesellschafter war, dessen Anblick mich aber an jenem Tage nicht über¬
müßig erfreute. Zufällig oder, wie beide meinte», durch Gottes Fügung kam
gleichzeitig von der andern Seite mein Bruder, der Kaplan an, zum Besuch,
wie er der Mutter sagte, in Wirklichkeit aber nur, um mich zum Widerruf
meiner Unterschrift zu bestimmen. Während die Mutter in der Küche beschäf¬
tigt war, bearbeiteten mich beide und beschworen mich „vor dem Bilde des ge¬
kreuzigten Heilands." Ich blieb dabei, ich könnte dem Propst die protokolla¬
rische Erklärung, die er nur zu entlocken den Austrag hatte, nicht so ohne
weiteres geben, und versprach, sie ihm nächster Tage nach Zobten zu bringen.
Mein Bruder reiste am andern Tage wieder ab, und einen Tag darauf er¬
klärte ich der Mutter, ich hielte mich zu einem Gegenbesuch beim Propst ver¬
pflichtet, hätte eigentlich auch etwas amtliches mit ihm zu bespreche«, worüber
sie sehr erfreut war, denn es verstand sich von selbst, daß sie anfuhr, und
das Wetter war wunderschön. Vor der Abfahrt schickte ich folgende Erklä¬
rung an die Schlesische Zeitung: „Hätte ich geahnt, daß die Beteiligung an
der viel besprochnen Adresse schlesischer Katholiken als Auflehnung gegen die
geistliche Obrigkeit, ja als Abfall von der Kirche aufgefaßt, und daß den geist¬
lichen Unterzeichnern der Adresse nur die Wahl gelassen werden würde zwischen
Widerruf einerseits und Bann nebst Absetzung andrerseits, so hätte ich meinen
Namen nicht beigefügt. Da nun in Wirklichkeit dieses Ungeahnte eingetreten
ist, ich aber durchaus nicht gewillt bin, aus dem Verbände der katholischen
Kirche auszuscheiden, so ziehe ich, unbeschadet der Seiner Majestät dem Kaiser
in jener Adresse angelobten Ergebenheit, meine Unterschrift hierdurch zurück."
In Zobten überließen wir meine Mutter zunächst der Gesellschaft der Schwestern
des Propstes und zogen uns in dessen Studirstube zurück. Das Geschäft ging
glatt von statten. Ich überreichte eine Abschrift meiner Erklärung, die, da sie
am andern Morgen gedruckt erscheine« mußte, eine vollendete Thatsache war,
an der sich nichts mehr ändern ließ, und er verfaßte ein Protokoll, das ihm
viel Kopfzerbrechen zu machen schien, denn er brauchte dazu so lange Zeit,
daß ich unterdessen einen auf dem Sofatische liegenden Roman von Bollanden
halb durchlesen konnte. Ich fand ihn übrigens abscheulich. Denn unter¬
schrieben wir und begaben uns zu den Frauen zum gemeinsamen Kaffee.
Meine Mutter fand die Partie ganz reizend. Da es mir gelungen war, ihr
auch alle gefährlichen Zeitungsblätter zu unterschlagen, so hatte sie keine
Ahnung; aber nachträglich erfuhr sie die Geschichte doch durch einen um mein
Seelenheil und um das Heil der Kirche sehr besorgten Amtsbruder, der durch
seine Unfähigkeit, etwas auf dem Herzen zu behalten, berüchtigt war (er war
imstande, binnen einer Stunde zehn verschiednen Personen beiderlei Geschlechts
ein Geheimnis sub siZillo anzuvertrauen); seitdem machte sie der Anblick der
Blechtasche nervös.

Mit der Erklärung, daß ich nicht gewillt sei, aus der Kirche auszuscheiden,


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[0339] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome "ebener Gesellschafter war, dessen Anblick mich aber an jenem Tage nicht über¬ müßig erfreute. Zufällig oder, wie beide meinte», durch Gottes Fügung kam gleichzeitig von der andern Seite mein Bruder, der Kaplan an, zum Besuch, wie er der Mutter sagte, in Wirklichkeit aber nur, um mich zum Widerruf meiner Unterschrift zu bestimmen. Während die Mutter in der Küche beschäf¬ tigt war, bearbeiteten mich beide und beschworen mich „vor dem Bilde des ge¬ kreuzigten Heilands." Ich blieb dabei, ich könnte dem Propst die protokolla¬ rische Erklärung, die er nur zu entlocken den Austrag hatte, nicht so ohne weiteres geben, und versprach, sie ihm nächster Tage nach Zobten zu bringen. Mein Bruder reiste am andern Tage wieder ab, und einen Tag darauf er¬ klärte ich der Mutter, ich hielte mich zu einem Gegenbesuch beim Propst ver¬ pflichtet, hätte eigentlich auch etwas amtliches mit ihm zu bespreche«, worüber sie sehr erfreut war, denn es verstand sich von selbst, daß sie anfuhr, und das Wetter war wunderschön. Vor der Abfahrt schickte ich folgende Erklä¬ rung an die Schlesische Zeitung: „Hätte ich geahnt, daß die Beteiligung an der viel besprochnen Adresse schlesischer Katholiken als Auflehnung gegen die geistliche Obrigkeit, ja als Abfall von der Kirche aufgefaßt, und daß den geist¬ lichen Unterzeichnern der Adresse nur die Wahl gelassen werden würde zwischen Widerruf einerseits und Bann nebst Absetzung andrerseits, so hätte ich meinen Namen nicht beigefügt. Da nun in Wirklichkeit dieses Ungeahnte eingetreten ist, ich aber durchaus nicht gewillt bin, aus dem Verbände der katholischen Kirche auszuscheiden, so ziehe ich, unbeschadet der Seiner Majestät dem Kaiser in jener Adresse angelobten Ergebenheit, meine Unterschrift hierdurch zurück." In Zobten überließen wir meine Mutter zunächst der Gesellschaft der Schwestern des Propstes und zogen uns in dessen Studirstube zurück. Das Geschäft ging glatt von statten. Ich überreichte eine Abschrift meiner Erklärung, die, da sie am andern Morgen gedruckt erscheine« mußte, eine vollendete Thatsache war, an der sich nichts mehr ändern ließ, und er verfaßte ein Protokoll, das ihm viel Kopfzerbrechen zu machen schien, denn er brauchte dazu so lange Zeit, daß ich unterdessen einen auf dem Sofatische liegenden Roman von Bollanden halb durchlesen konnte. Ich fand ihn übrigens abscheulich. Denn unter¬ schrieben wir und begaben uns zu den Frauen zum gemeinsamen Kaffee. Meine Mutter fand die Partie ganz reizend. Da es mir gelungen war, ihr auch alle gefährlichen Zeitungsblätter zu unterschlagen, so hatte sie keine Ahnung; aber nachträglich erfuhr sie die Geschichte doch durch einen um mein Seelenheil und um das Heil der Kirche sehr besorgten Amtsbruder, der durch seine Unfähigkeit, etwas auf dem Herzen zu behalten, berüchtigt war (er war imstande, binnen einer Stunde zehn verschiednen Personen beiderlei Geschlechts ein Geheimnis sub siZillo anzuvertrauen); seitdem machte sie der Anblick der Blechtasche nervös. Mit der Erklärung, daß ich nicht gewillt sei, aus der Kirche auszuscheiden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/339>, abgerufen am 01.09.2024.