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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Infektionskrankheiten

Gebiete, der Bekämpfung der großen Vvlksseuchen mit großen Mitteln, ge¬
arbeitet haben, und es ist eine der interessantesten und lehrreichsten Ausgaben,
diesen Männern auf den vielfach verschlungnen und schwer zugänglichen Pfaden
zu folgen, auf denen sie endlich des Volkes alten Weisheitsspruch bestätigt
haben, daß sich die Natur in der That selber hilft.

Ein ganz moderner medizinischer Begriff ist der der Infektionskrankheiten,
d- h. der Krankheiten, die dadurch entstehen, daß aus der Außenwelt stammende
Körper in den menschlichen oder tierischen Organismus eindringen und in ihm
Krankheiten erzeugen. Diese Körper heißen Jnfektionsstvffe und werden ein¬
geteilt in belebte und unbelebte. Die belebten Jnfektionsstvffe sind für viele
Krankheiten genau studirt und bekannt, z. V. für die Cholera, den Milzbrand,
die Tuberkulose u.v.a.; es sind mikroskopisch kleine, pflanzliche Organismen,
die sich isoliren. züchten und künstlich von einem Organismus auf den andern
übertragen lassen, die, mit einem Worte, ihre besondre Lebensgeschichte haben
wie jede andre Pflanze; die unbelebten Jnfektionsstoffe dagegen sind Gifte, die
ihre Entstehung der Wechselwirkung zwischen den belebten Jnfcktionsstoffen
und dem Organismus verdanken, es sind Stoffwechselprvdukte, und sie ver¬
ursachen, wenn sie isolirt und einem Tierkörper einverleibt werden, ebenfalls
heftige Krankheiten. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden ergiebt sich
aus dieser ihrer Herkunft und Natur; die belebten Jnfektionsstoffe keimen,
entwickeln und vermehren sich und vermögen deshalb eine größere Zahl von
Menschen gleichzeitig oder kurz nacheinander zu befallen: sie sind die Erreger
der epidemischen Krankheiten, der Seuchen; die unbelebten Jnfektionsstoffe ver¬
mehren sich nicht aus sich heraus, demnach erlischt ihre Wirksamkeit in der
Regel mit der Einzelkrankheit, die sie erzeugt haben, mag das Opfer dieser
Krankheit genesen oder zu Grunde gehen. Häufig aber werden beide Krank¬
heitsursachen an ein und demselben Organismus zusammen wirksam. Ein
einfaches, leicht verständliches Beispiel dafür bietet die Lungentuberkulose. Hat
sich ihr Erreger, der Tuberkelbazillus, auf der Lungenschleimhaut angesiedelt,
und findet er dort den zu seiner Entwicklung geeigneten Nährboden, so sind
die Folgen für den befallnen Organismus anfangs oft sehr geringfügig und kaum
wahrnehmbar. Das subjektive Wohlbefinden wird kaum gestört, und höchstens
mahnt ein leichtes Hüsteln an den Feind, der droht. Das kann jahrelang
dauern, und es dauert oft so lange, weil sich die Bazillenkolonien manchmal
nur sehr langsam entwickeln, sich nach der Fläche und Tiefe ausbreiten und
nur ganz unbedeutende, oberflächliche, rein örtliche Veränderungen an der er¬
griffnen Schleimhaltt hervorbringen. Endlich aber stellt sich Abnahme des
Appetits, leichte Ermüdbarkeit und häufigeres Husten ein. mit dem dann plötz¬
lich einmal blutig gefärbter Schleim oder reines flüssiges Vink entleert wird.
Gleichzeitig mit diesen beunruhigenden Symptomen treten in der Regel noch
andre Krankheitserscheinungen auf: Frösteln, Fieber. Schwäche. Schweiße u. ".,
und die anfangs harmlose Erkrankung hat mit einem Schlage einen bedroh-


Grenzboten I ILW 4
Die Infektionskrankheiten

Gebiete, der Bekämpfung der großen Vvlksseuchen mit großen Mitteln, ge¬
arbeitet haben, und es ist eine der interessantesten und lehrreichsten Ausgaben,
diesen Männern auf den vielfach verschlungnen und schwer zugänglichen Pfaden
zu folgen, auf denen sie endlich des Volkes alten Weisheitsspruch bestätigt
haben, daß sich die Natur in der That selber hilft.

Ein ganz moderner medizinischer Begriff ist der der Infektionskrankheiten,
d- h. der Krankheiten, die dadurch entstehen, daß aus der Außenwelt stammende
Körper in den menschlichen oder tierischen Organismus eindringen und in ihm
Krankheiten erzeugen. Diese Körper heißen Jnfektionsstvffe und werden ein¬
geteilt in belebte und unbelebte. Die belebten Jnfektionsstvffe sind für viele
Krankheiten genau studirt und bekannt, z. V. für die Cholera, den Milzbrand,
die Tuberkulose u.v.a.; es sind mikroskopisch kleine, pflanzliche Organismen,
die sich isoliren. züchten und künstlich von einem Organismus auf den andern
übertragen lassen, die, mit einem Worte, ihre besondre Lebensgeschichte haben
wie jede andre Pflanze; die unbelebten Jnfektionsstoffe dagegen sind Gifte, die
ihre Entstehung der Wechselwirkung zwischen den belebten Jnfcktionsstoffen
und dem Organismus verdanken, es sind Stoffwechselprvdukte, und sie ver¬
ursachen, wenn sie isolirt und einem Tierkörper einverleibt werden, ebenfalls
heftige Krankheiten. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden ergiebt sich
aus dieser ihrer Herkunft und Natur; die belebten Jnfektionsstoffe keimen,
entwickeln und vermehren sich und vermögen deshalb eine größere Zahl von
Menschen gleichzeitig oder kurz nacheinander zu befallen: sie sind die Erreger
der epidemischen Krankheiten, der Seuchen; die unbelebten Jnfektionsstoffe ver¬
mehren sich nicht aus sich heraus, demnach erlischt ihre Wirksamkeit in der
Regel mit der Einzelkrankheit, die sie erzeugt haben, mag das Opfer dieser
Krankheit genesen oder zu Grunde gehen. Häufig aber werden beide Krank¬
heitsursachen an ein und demselben Organismus zusammen wirksam. Ein
einfaches, leicht verständliches Beispiel dafür bietet die Lungentuberkulose. Hat
sich ihr Erreger, der Tuberkelbazillus, auf der Lungenschleimhaut angesiedelt,
und findet er dort den zu seiner Entwicklung geeigneten Nährboden, so sind
die Folgen für den befallnen Organismus anfangs oft sehr geringfügig und kaum
wahrnehmbar. Das subjektive Wohlbefinden wird kaum gestört, und höchstens
mahnt ein leichtes Hüsteln an den Feind, der droht. Das kann jahrelang
dauern, und es dauert oft so lange, weil sich die Bazillenkolonien manchmal
nur sehr langsam entwickeln, sich nach der Fläche und Tiefe ausbreiten und
nur ganz unbedeutende, oberflächliche, rein örtliche Veränderungen an der er¬
griffnen Schleimhaltt hervorbringen. Endlich aber stellt sich Abnahme des
Appetits, leichte Ermüdbarkeit und häufigeres Husten ein. mit dem dann plötz¬
lich einmal blutig gefärbter Schleim oder reines flüssiges Vink entleert wird.
Gleichzeitig mit diesen beunruhigenden Symptomen treten in der Regel noch
andre Krankheitserscheinungen auf: Frösteln, Fieber. Schwäche. Schweiße u. «.,
und die anfangs harmlose Erkrankung hat mit einem Schlage einen bedroh-


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[0033] Die Infektionskrankheiten Gebiete, der Bekämpfung der großen Vvlksseuchen mit großen Mitteln, ge¬ arbeitet haben, und es ist eine der interessantesten und lehrreichsten Ausgaben, diesen Männern auf den vielfach verschlungnen und schwer zugänglichen Pfaden zu folgen, auf denen sie endlich des Volkes alten Weisheitsspruch bestätigt haben, daß sich die Natur in der That selber hilft. Ein ganz moderner medizinischer Begriff ist der der Infektionskrankheiten, d- h. der Krankheiten, die dadurch entstehen, daß aus der Außenwelt stammende Körper in den menschlichen oder tierischen Organismus eindringen und in ihm Krankheiten erzeugen. Diese Körper heißen Jnfektionsstvffe und werden ein¬ geteilt in belebte und unbelebte. Die belebten Jnfektionsstvffe sind für viele Krankheiten genau studirt und bekannt, z. V. für die Cholera, den Milzbrand, die Tuberkulose u.v.a.; es sind mikroskopisch kleine, pflanzliche Organismen, die sich isoliren. züchten und künstlich von einem Organismus auf den andern übertragen lassen, die, mit einem Worte, ihre besondre Lebensgeschichte haben wie jede andre Pflanze; die unbelebten Jnfektionsstoffe dagegen sind Gifte, die ihre Entstehung der Wechselwirkung zwischen den belebten Jnfcktionsstoffen und dem Organismus verdanken, es sind Stoffwechselprvdukte, und sie ver¬ ursachen, wenn sie isolirt und einem Tierkörper einverleibt werden, ebenfalls heftige Krankheiten. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden ergiebt sich aus dieser ihrer Herkunft und Natur; die belebten Jnfektionsstoffe keimen, entwickeln und vermehren sich und vermögen deshalb eine größere Zahl von Menschen gleichzeitig oder kurz nacheinander zu befallen: sie sind die Erreger der epidemischen Krankheiten, der Seuchen; die unbelebten Jnfektionsstoffe ver¬ mehren sich nicht aus sich heraus, demnach erlischt ihre Wirksamkeit in der Regel mit der Einzelkrankheit, die sie erzeugt haben, mag das Opfer dieser Krankheit genesen oder zu Grunde gehen. Häufig aber werden beide Krank¬ heitsursachen an ein und demselben Organismus zusammen wirksam. Ein einfaches, leicht verständliches Beispiel dafür bietet die Lungentuberkulose. Hat sich ihr Erreger, der Tuberkelbazillus, auf der Lungenschleimhaut angesiedelt, und findet er dort den zu seiner Entwicklung geeigneten Nährboden, so sind die Folgen für den befallnen Organismus anfangs oft sehr geringfügig und kaum wahrnehmbar. Das subjektive Wohlbefinden wird kaum gestört, und höchstens mahnt ein leichtes Hüsteln an den Feind, der droht. Das kann jahrelang dauern, und es dauert oft so lange, weil sich die Bazillenkolonien manchmal nur sehr langsam entwickeln, sich nach der Fläche und Tiefe ausbreiten und nur ganz unbedeutende, oberflächliche, rein örtliche Veränderungen an der er¬ griffnen Schleimhaltt hervorbringen. Endlich aber stellt sich Abnahme des Appetits, leichte Ermüdbarkeit und häufigeres Husten ein. mit dem dann plötz¬ lich einmal blutig gefärbter Schleim oder reines flüssiges Vink entleert wird. Gleichzeitig mit diesen beunruhigenden Symptomen treten in der Regel noch andre Krankheitserscheinungen auf: Frösteln, Fieber. Schwäche. Schweiße u. «., und die anfangs harmlose Erkrankung hat mit einem Schlage einen bedroh- Grenzboten I ILW 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/33>, abgerufen am 01.09.2024.