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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Ghre und der Zweikampf

andern Hingebracht haben oder haben umbringen wollen, sondern viel leichter,
und in den meisten Fällen begnadigt der Landesherr, der in diesem Falle ohne
Zweifel als höchster Vertreter des Staates handelt, die Verurteilten, nachdem
sie kaum ihre leichte Strafe angetreten haben. Also: der Staat erkennt erst die
Notwendigkeit des Zweikampfs an, dann bestraft er die Duellanten, und schließlich
schenkt er ihnen die an sich schon unverhältnismäßig leichte Strafe. Diese
Inkonsequenz ist die Folge davon, daß mir, das Volk der Denker, der adlichen
Ehre auf der einen Seite zugestehen, daß sie nur mit Hilfe der Selbsthilfe
durch den Zweikampf ausreichend gesichert werden könne, auf der andern Seite
die Gleichheit aller vor dem Gesetze durchführen möchten. So haben wir
einen Mittelweg gesucht und sind doch nur auf eiuen schauerlichen Holzweg
geraten.

Nun dämmert aber doch allmählich die Erkenntnis ans, daß wir den ver-
fahrnen Karren wieder herausarbeiten müssen. Wir müssen die bestehende Halb¬
heit beseitigen, wir müssen uns entweder nach englischem oder nach französischem
Vorbild einrichten. Daß das französische Vorbild für uus irgendwie in Frage
kommen könne, bezweifle ich; ich glaube, auch der stolzeste Adliche wird das
nicht mehr zu hoffen wagen. Ich bin dagegen fest überzeugt, daß wir sehr
gut fahren würden, wenn wir in die englischen Fußstapfen träten; wenn wir
den Zweikampf mit tötlichen Ausgange dem Morde, den Zweikampf mit oder
ohne Körperverletzung dem Mordversuche gleich bestraften. Das Rechtsbewußt-
sein des Volkes wird es nie begreifen, welcher Unterschied zwischen einem Mord
und der Tötung eines Menschen im Zweikampf ist, und wenn durchaus ein
Unterschied gemacht werden soll, so kann es doch höchstens der sein, daß die
Tötung im Zweikampf schlimmer ist als der Mord. Denn im Zweikampf
stehen sich Männer der obersten Gesellschaftsschicht, Männer von der höchsten
Bildung gegenüber, und durch die Wahl der Waffen wie durch die Formalitäten,
unter denen der Kampf stattfindet, ist von vornherein erwiesen, daß die Tötung
vorsätzlich und mit Überlegung geschieht.

Selbstverständlich müßte jede Form des Zweikampfs unterdrückt werden,
also auch die studentischen Schlügermensuren. Denn sind sie auch nicht so
lebensgefährlich wie die Pistolen- und Sübelduelle, so fallen sie doch jeden¬
falls unter den Begriff der -- in einem Rechtsstaate -- unerlaubten Selbst¬
hilfe. Das Pistolenschießen und das Fechten brauchte ja damit nicht auf-
zuhören; es könnte ruhig weiter betrieben werden als Sport zur Übung von
Auge und Hand, wie es heute schon mit der elegantesten Art des Fechtens,
mit dem Florettfechten, der Fall ist.

Selbstverständlich ist ferner, daß der Staat, sobald er den Zweikampf mit
so hohen Strafen (Todes- und Zuchthausstrafe) bedroht, daß er dadurch un¬
möglich wird, auch dafür sorgen muß, daß die Verletzung auch der empfind¬
lichsten Ehre ausreichend geahndet wird; daß also die Strafen für die wort-


Die Ghre und der Zweikampf

andern Hingebracht haben oder haben umbringen wollen, sondern viel leichter,
und in den meisten Fällen begnadigt der Landesherr, der in diesem Falle ohne
Zweifel als höchster Vertreter des Staates handelt, die Verurteilten, nachdem
sie kaum ihre leichte Strafe angetreten haben. Also: der Staat erkennt erst die
Notwendigkeit des Zweikampfs an, dann bestraft er die Duellanten, und schließlich
schenkt er ihnen die an sich schon unverhältnismäßig leichte Strafe. Diese
Inkonsequenz ist die Folge davon, daß mir, das Volk der Denker, der adlichen
Ehre auf der einen Seite zugestehen, daß sie nur mit Hilfe der Selbsthilfe
durch den Zweikampf ausreichend gesichert werden könne, auf der andern Seite
die Gleichheit aller vor dem Gesetze durchführen möchten. So haben wir
einen Mittelweg gesucht und sind doch nur auf eiuen schauerlichen Holzweg
geraten.

Nun dämmert aber doch allmählich die Erkenntnis ans, daß wir den ver-
fahrnen Karren wieder herausarbeiten müssen. Wir müssen die bestehende Halb¬
heit beseitigen, wir müssen uns entweder nach englischem oder nach französischem
Vorbild einrichten. Daß das französische Vorbild für uus irgendwie in Frage
kommen könne, bezweifle ich; ich glaube, auch der stolzeste Adliche wird das
nicht mehr zu hoffen wagen. Ich bin dagegen fest überzeugt, daß wir sehr
gut fahren würden, wenn wir in die englischen Fußstapfen träten; wenn wir
den Zweikampf mit tötlichen Ausgange dem Morde, den Zweikampf mit oder
ohne Körperverletzung dem Mordversuche gleich bestraften. Das Rechtsbewußt-
sein des Volkes wird es nie begreifen, welcher Unterschied zwischen einem Mord
und der Tötung eines Menschen im Zweikampf ist, und wenn durchaus ein
Unterschied gemacht werden soll, so kann es doch höchstens der sein, daß die
Tötung im Zweikampf schlimmer ist als der Mord. Denn im Zweikampf
stehen sich Männer der obersten Gesellschaftsschicht, Männer von der höchsten
Bildung gegenüber, und durch die Wahl der Waffen wie durch die Formalitäten,
unter denen der Kampf stattfindet, ist von vornherein erwiesen, daß die Tötung
vorsätzlich und mit Überlegung geschieht.

Selbstverständlich müßte jede Form des Zweikampfs unterdrückt werden,
also auch die studentischen Schlügermensuren. Denn sind sie auch nicht so
lebensgefährlich wie die Pistolen- und Sübelduelle, so fallen sie doch jeden¬
falls unter den Begriff der — in einem Rechtsstaate — unerlaubten Selbst¬
hilfe. Das Pistolenschießen und das Fechten brauchte ja damit nicht auf-
zuhören; es könnte ruhig weiter betrieben werden als Sport zur Übung von
Auge und Hand, wie es heute schon mit der elegantesten Art des Fechtens,
mit dem Florettfechten, der Fall ist.

Selbstverständlich ist ferner, daß der Staat, sobald er den Zweikampf mit
so hohen Strafen (Todes- und Zuchthausstrafe) bedroht, daß er dadurch un¬
möglich wird, auch dafür sorgen muß, daß die Verletzung auch der empfind¬
lichsten Ehre ausreichend geahndet wird; daß also die Strafen für die wort-


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[0322] Die Ghre und der Zweikampf andern Hingebracht haben oder haben umbringen wollen, sondern viel leichter, und in den meisten Fällen begnadigt der Landesherr, der in diesem Falle ohne Zweifel als höchster Vertreter des Staates handelt, die Verurteilten, nachdem sie kaum ihre leichte Strafe angetreten haben. Also: der Staat erkennt erst die Notwendigkeit des Zweikampfs an, dann bestraft er die Duellanten, und schließlich schenkt er ihnen die an sich schon unverhältnismäßig leichte Strafe. Diese Inkonsequenz ist die Folge davon, daß mir, das Volk der Denker, der adlichen Ehre auf der einen Seite zugestehen, daß sie nur mit Hilfe der Selbsthilfe durch den Zweikampf ausreichend gesichert werden könne, auf der andern Seite die Gleichheit aller vor dem Gesetze durchführen möchten. So haben wir einen Mittelweg gesucht und sind doch nur auf eiuen schauerlichen Holzweg geraten. Nun dämmert aber doch allmählich die Erkenntnis ans, daß wir den ver- fahrnen Karren wieder herausarbeiten müssen. Wir müssen die bestehende Halb¬ heit beseitigen, wir müssen uns entweder nach englischem oder nach französischem Vorbild einrichten. Daß das französische Vorbild für uus irgendwie in Frage kommen könne, bezweifle ich; ich glaube, auch der stolzeste Adliche wird das nicht mehr zu hoffen wagen. Ich bin dagegen fest überzeugt, daß wir sehr gut fahren würden, wenn wir in die englischen Fußstapfen träten; wenn wir den Zweikampf mit tötlichen Ausgange dem Morde, den Zweikampf mit oder ohne Körperverletzung dem Mordversuche gleich bestraften. Das Rechtsbewußt- sein des Volkes wird es nie begreifen, welcher Unterschied zwischen einem Mord und der Tötung eines Menschen im Zweikampf ist, und wenn durchaus ein Unterschied gemacht werden soll, so kann es doch höchstens der sein, daß die Tötung im Zweikampf schlimmer ist als der Mord. Denn im Zweikampf stehen sich Männer der obersten Gesellschaftsschicht, Männer von der höchsten Bildung gegenüber, und durch die Wahl der Waffen wie durch die Formalitäten, unter denen der Kampf stattfindet, ist von vornherein erwiesen, daß die Tötung vorsätzlich und mit Überlegung geschieht. Selbstverständlich müßte jede Form des Zweikampfs unterdrückt werden, also auch die studentischen Schlügermensuren. Denn sind sie auch nicht so lebensgefährlich wie die Pistolen- und Sübelduelle, so fallen sie doch jeden¬ falls unter den Begriff der — in einem Rechtsstaate — unerlaubten Selbst¬ hilfe. Das Pistolenschießen und das Fechten brauchte ja damit nicht auf- zuhören; es könnte ruhig weiter betrieben werden als Sport zur Übung von Auge und Hand, wie es heute schon mit der elegantesten Art des Fechtens, mit dem Florettfechten, der Fall ist. Selbstverständlich ist ferner, daß der Staat, sobald er den Zweikampf mit so hohen Strafen (Todes- und Zuchthausstrafe) bedroht, daß er dadurch un¬ möglich wird, auch dafür sorgen muß, daß die Verletzung auch der empfind¬ lichsten Ehre ausreichend geahndet wird; daß also die Strafen für die wort-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/322>, abgerufen am 01.09.2024.