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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Lhre und der Zweikampf

Ehre verletzt ist. Denn, so sagen sie, unser Ehrbegriff ist so fein und em¬
pfindlich, daß unsre Ehre mit den Mitteln, die uns der Staat heute dafür
bietet, nicht gewahrt werden kann. Wir können in Ehrensachen beim Staate
nicht unser Recht finden, folglich nehmen wir es uns selbst; wir nehmen es
uns durch den Zweikampf.

Wie stellt sich nun der Staat zu dieser Behauptung derer, die den Ehr¬
begriff des Adels haben? Zunächst: es giebt wohl kein Land, wo die Ehre
nicht als etwas Wirkliches dadurch staatlich anerkannt wäre, daß Gesetze vor¬
handen sind, die die Verletzung der Ehre eines andern, die Beleidigung, mit
Strafen bedrohen. Auch die Verschiedenheit der Ehrbegriffe wird dadurch an¬
erkannt, daß nicht objektiv bestimmt wird, was eine Beleidigung sei, sondern
dem Ermessen des Richters überlassen bleibt, in jedem einzelnen Falle festzu¬
stellen, ob das Wort oder die That Beleidigung sei oder nicht. Der Richter
aber kann das nur nach dem Ehrbegriffe ermessen, den er bei dem Beleidigten
findet oder voraussetzen muß, oder nach dem, den der Beleidiger bei dem Be¬
leidigten vorausgesetzt hat oder voraussetzen mußte; denn nur, um darüber
Klarheit zu gewinnen, erwägt der Richter die Umstünde, unter denen die Be¬
leidigung geschehen ist, und die Frage, ob die Absicht der Beleidigung vor¬
handen gewesen sei.

Erkennt nun der Staat zunächst die Ehre als etwas wirkliches und die
Unterschiede im Ehrbegriff als vorhanden an, so ist die weitere Frage, ob er
zugiebt, daß es einen Ehrbegriff von solcher Feinheit und Empfindlichkeit gebe,
daß er ihn mit seinen Mitteln nicht genügend schützen könne. Giebt er das
zu, so ist die notwendige Folge davon, daß er bei Verletzungen dieser höchsten
Ehre die Selbsthilfe, also den Zweikampf, als berechtigt anerkennt.

Soviel ich weiß, giebt es nach englischem Gesetz keinen Ehrbegriff, der
nicht gesetzlich genügend geschützt wäre. Die Selbsthilfe ist darnach unberechtigt.
Wer einen andern im Zweikampf umbringt, wird als Mörder bestraft. Vor
fünfzig Jahren hat in England das letzte Duell stattgefunden.

In Frankreich dagegen wird jedem das Recht zugestanden, einen Ehr¬
begriff zu haben, der so fein ist, daß der Staat mit seinen Strafen seine Ver¬
letzung nicht ausreichend ahnden kann. Folglich ist die Selbsthilfe unter
bestimmten äußerlichen Bedingungen, d. h. der Zweikampf, uneingeschränkt ge¬
stattet, er ist straflos.

Und in Deutschland? Nun, wir erkennen das Vorhandensein einer über
dem gesetzlichen Schutze schwebenden Ehre an. Es giebt sogar einen -- freilich
ungeschriebnen -- Ehrenkodex, wonach sich jeder "Mann von Ehre," d. h. jeder
Anhänger jenes adlichen Ehrbegriffs, unweigerlich zu richten hat; der Zwei¬
kampf ist z. V. für Offiziere unter gewissen Umständen eine dienstliche Pflicht.
Aber wir bestrafen die Duellanten, ihre Sekundanten, ihre Kartellträger usw.
Wir bestrafen sie jedoch uicht wie andre gewöhnliche Staatsbürger, die einen


Grenzboten I 1896 40
Die Lhre und der Zweikampf

Ehre verletzt ist. Denn, so sagen sie, unser Ehrbegriff ist so fein und em¬
pfindlich, daß unsre Ehre mit den Mitteln, die uns der Staat heute dafür
bietet, nicht gewahrt werden kann. Wir können in Ehrensachen beim Staate
nicht unser Recht finden, folglich nehmen wir es uns selbst; wir nehmen es
uns durch den Zweikampf.

Wie stellt sich nun der Staat zu dieser Behauptung derer, die den Ehr¬
begriff des Adels haben? Zunächst: es giebt wohl kein Land, wo die Ehre
nicht als etwas Wirkliches dadurch staatlich anerkannt wäre, daß Gesetze vor¬
handen sind, die die Verletzung der Ehre eines andern, die Beleidigung, mit
Strafen bedrohen. Auch die Verschiedenheit der Ehrbegriffe wird dadurch an¬
erkannt, daß nicht objektiv bestimmt wird, was eine Beleidigung sei, sondern
dem Ermessen des Richters überlassen bleibt, in jedem einzelnen Falle festzu¬
stellen, ob das Wort oder die That Beleidigung sei oder nicht. Der Richter
aber kann das nur nach dem Ehrbegriffe ermessen, den er bei dem Beleidigten
findet oder voraussetzen muß, oder nach dem, den der Beleidiger bei dem Be¬
leidigten vorausgesetzt hat oder voraussetzen mußte; denn nur, um darüber
Klarheit zu gewinnen, erwägt der Richter die Umstünde, unter denen die Be¬
leidigung geschehen ist, und die Frage, ob die Absicht der Beleidigung vor¬
handen gewesen sei.

Erkennt nun der Staat zunächst die Ehre als etwas wirkliches und die
Unterschiede im Ehrbegriff als vorhanden an, so ist die weitere Frage, ob er
zugiebt, daß es einen Ehrbegriff von solcher Feinheit und Empfindlichkeit gebe,
daß er ihn mit seinen Mitteln nicht genügend schützen könne. Giebt er das
zu, so ist die notwendige Folge davon, daß er bei Verletzungen dieser höchsten
Ehre die Selbsthilfe, also den Zweikampf, als berechtigt anerkennt.

Soviel ich weiß, giebt es nach englischem Gesetz keinen Ehrbegriff, der
nicht gesetzlich genügend geschützt wäre. Die Selbsthilfe ist darnach unberechtigt.
Wer einen andern im Zweikampf umbringt, wird als Mörder bestraft. Vor
fünfzig Jahren hat in England das letzte Duell stattgefunden.

In Frankreich dagegen wird jedem das Recht zugestanden, einen Ehr¬
begriff zu haben, der so fein ist, daß der Staat mit seinen Strafen seine Ver¬
letzung nicht ausreichend ahnden kann. Folglich ist die Selbsthilfe unter
bestimmten äußerlichen Bedingungen, d. h. der Zweikampf, uneingeschränkt ge¬
stattet, er ist straflos.

Und in Deutschland? Nun, wir erkennen das Vorhandensein einer über
dem gesetzlichen Schutze schwebenden Ehre an. Es giebt sogar einen — freilich
ungeschriebnen — Ehrenkodex, wonach sich jeder „Mann von Ehre," d. h. jeder
Anhänger jenes adlichen Ehrbegriffs, unweigerlich zu richten hat; der Zwei¬
kampf ist z. V. für Offiziere unter gewissen Umständen eine dienstliche Pflicht.
Aber wir bestrafen die Duellanten, ihre Sekundanten, ihre Kartellträger usw.
Wir bestrafen sie jedoch uicht wie andre gewöhnliche Staatsbürger, die einen


Grenzboten I 1896 40
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[0321] Die Lhre und der Zweikampf Ehre verletzt ist. Denn, so sagen sie, unser Ehrbegriff ist so fein und em¬ pfindlich, daß unsre Ehre mit den Mitteln, die uns der Staat heute dafür bietet, nicht gewahrt werden kann. Wir können in Ehrensachen beim Staate nicht unser Recht finden, folglich nehmen wir es uns selbst; wir nehmen es uns durch den Zweikampf. Wie stellt sich nun der Staat zu dieser Behauptung derer, die den Ehr¬ begriff des Adels haben? Zunächst: es giebt wohl kein Land, wo die Ehre nicht als etwas Wirkliches dadurch staatlich anerkannt wäre, daß Gesetze vor¬ handen sind, die die Verletzung der Ehre eines andern, die Beleidigung, mit Strafen bedrohen. Auch die Verschiedenheit der Ehrbegriffe wird dadurch an¬ erkannt, daß nicht objektiv bestimmt wird, was eine Beleidigung sei, sondern dem Ermessen des Richters überlassen bleibt, in jedem einzelnen Falle festzu¬ stellen, ob das Wort oder die That Beleidigung sei oder nicht. Der Richter aber kann das nur nach dem Ehrbegriffe ermessen, den er bei dem Beleidigten findet oder voraussetzen muß, oder nach dem, den der Beleidiger bei dem Be¬ leidigten vorausgesetzt hat oder voraussetzen mußte; denn nur, um darüber Klarheit zu gewinnen, erwägt der Richter die Umstünde, unter denen die Be¬ leidigung geschehen ist, und die Frage, ob die Absicht der Beleidigung vor¬ handen gewesen sei. Erkennt nun der Staat zunächst die Ehre als etwas wirkliches und die Unterschiede im Ehrbegriff als vorhanden an, so ist die weitere Frage, ob er zugiebt, daß es einen Ehrbegriff von solcher Feinheit und Empfindlichkeit gebe, daß er ihn mit seinen Mitteln nicht genügend schützen könne. Giebt er das zu, so ist die notwendige Folge davon, daß er bei Verletzungen dieser höchsten Ehre die Selbsthilfe, also den Zweikampf, als berechtigt anerkennt. Soviel ich weiß, giebt es nach englischem Gesetz keinen Ehrbegriff, der nicht gesetzlich genügend geschützt wäre. Die Selbsthilfe ist darnach unberechtigt. Wer einen andern im Zweikampf umbringt, wird als Mörder bestraft. Vor fünfzig Jahren hat in England das letzte Duell stattgefunden. In Frankreich dagegen wird jedem das Recht zugestanden, einen Ehr¬ begriff zu haben, der so fein ist, daß der Staat mit seinen Strafen seine Ver¬ letzung nicht ausreichend ahnden kann. Folglich ist die Selbsthilfe unter bestimmten äußerlichen Bedingungen, d. h. der Zweikampf, uneingeschränkt ge¬ stattet, er ist straflos. Und in Deutschland? Nun, wir erkennen das Vorhandensein einer über dem gesetzlichen Schutze schwebenden Ehre an. Es giebt sogar einen — freilich ungeschriebnen — Ehrenkodex, wonach sich jeder „Mann von Ehre," d. h. jeder Anhänger jenes adlichen Ehrbegriffs, unweigerlich zu richten hat; der Zwei¬ kampf ist z. V. für Offiziere unter gewissen Umständen eine dienstliche Pflicht. Aber wir bestrafen die Duellanten, ihre Sekundanten, ihre Kartellträger usw. Wir bestrafen sie jedoch uicht wie andre gewöhnliche Staatsbürger, die einen Grenzboten I 1896 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/321>, abgerufen am 26.11.2024.