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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Nun hat sich aber in unsern gesellschaftlichen Verhältnissen eine gewisse
Versteinerung des Ehrbegriffs gebildet. Der Ehrbegriff ist für gewisse gesell¬
schaftliche Kreise, für bestimmte Stände, für einzelne Berufsarten subjektiv fest
bestimmt, wenn es auch unmöglich ist, mit Worten zu sagen, was diese be¬
sondre Ehre ist; man kann das nur fühlen. Die Adlichen und die Bürger¬
lichen, die Künstler und die Handwerker, die Männer und die Frauen, die
Redlichen und die Diebe haben ihre besondre Ehre für sich. Als die höchste,
empfindlichste, am vollkommensten ausgebildete Ehre gilt aber allgemein die
der Adlichen. Natürlich, denn die Adlichen sind der älteste und höchste Stand,
sie haben am längsten Zeit gehabt, sich einen Ehrbegriff zu bilden, und haben
unter den Verhältnissen, in denen sie lebten, auch ihre Feinfühligkeit für die
Ehre am vollkommensten entwickeln können. Sie haben daher auch ein ge¬
wisses Recht, ihren Ehrbegriff für den höchsten zu halten. Im Laufe unsers
Jahrhunderts haben sie aber dann die Gnade gehabt, anzuerkennen, daß auch
solche, die unter dem Baron stehen, schließlich doch Menschen sind, wenn sie
nämlich fähig sind, sich auf die Höhe -- des adlichen Ehrbegriffs emporzu¬
schwingen. So sind zunächst die Offiziere, überhaupt auch die bürgerlichen,
dann auch die Studenten und die Studirten in die Gemeinde derer, die an die
adliche Ehre glauben, aufgenommen und für -- satisfaktivnsfühig erklärt worden.
Man setzt nämlich voraus, daß jeder, der diesen Ehrbegriff hat, bereit und
gewillt sei, seine Ehre auf die Weise, die nach adlicher Auffassung allein dazu
geeignet ist, zu verteidigen und einem anderen, dessen Ehre man zu nahe ge¬
treten ist, ans dieselbe Weise Genugthuung zu geben, selbstverständlich nur,
wenn er denselben Begriff von Ehre hat oder haben muß.

Die Weise nun, auf die ursprünglich nur Adliche ihre Ehre unter ein¬
ander verteidigten und einander Genugthuung gaben, ist der Zweikampf. Der
Zweikampf aber ist -- und das ist der andre Punkt, über den ich mit dem
Verfasser des frühern Aufsatzes uicht einverstanden bin -- nicht ein unmittel¬
barer Abkömmling der mittelalterlichen Gottesurteile, wenn sie auch etwas in
die Entwicklung namentlich der Zeremonien des Zweikampfs hineingespielt haben
mögen. Sondern der Zweikampf ist ein Nest des Fehderechts der Adlichen.
Die Adlichen brauchten sich ursprünglich ihr Recht nicht vor irgend einem
Richter zu holen, mochte es sich handeln, um was es wollte. Sie konnten
es vielleicht gar nicht, weil es keinen Richter gab, der über ihnen stand; sie
waren souverän. So haben sie sich ihr Recht selbst geholt, sie haben dem
Gegner die Fehde angesagt, haben ihn mit ihrer Faust niedergezwungen und
sich so durch das Faustrecht, durch das Recht des Stärkern zu ihrem Rechte
verholfen. Mit dem Fortschreiten der Kultur, mit der vollkommnern Entwick¬
lung des Staatslebens ist das Faustrecht, das Recht auf Selbsthilfe immer
mehr eingeschränkt worden. Der Adel und die Kreise, die seinen Ehrbegriff
angenommen haben, beanspruchen selbst es nur noch für die Fülle, wo die


Nun hat sich aber in unsern gesellschaftlichen Verhältnissen eine gewisse
Versteinerung des Ehrbegriffs gebildet. Der Ehrbegriff ist für gewisse gesell¬
schaftliche Kreise, für bestimmte Stände, für einzelne Berufsarten subjektiv fest
bestimmt, wenn es auch unmöglich ist, mit Worten zu sagen, was diese be¬
sondre Ehre ist; man kann das nur fühlen. Die Adlichen und die Bürger¬
lichen, die Künstler und die Handwerker, die Männer und die Frauen, die
Redlichen und die Diebe haben ihre besondre Ehre für sich. Als die höchste,
empfindlichste, am vollkommensten ausgebildete Ehre gilt aber allgemein die
der Adlichen. Natürlich, denn die Adlichen sind der älteste und höchste Stand,
sie haben am längsten Zeit gehabt, sich einen Ehrbegriff zu bilden, und haben
unter den Verhältnissen, in denen sie lebten, auch ihre Feinfühligkeit für die
Ehre am vollkommensten entwickeln können. Sie haben daher auch ein ge¬
wisses Recht, ihren Ehrbegriff für den höchsten zu halten. Im Laufe unsers
Jahrhunderts haben sie aber dann die Gnade gehabt, anzuerkennen, daß auch
solche, die unter dem Baron stehen, schließlich doch Menschen sind, wenn sie
nämlich fähig sind, sich auf die Höhe — des adlichen Ehrbegriffs emporzu¬
schwingen. So sind zunächst die Offiziere, überhaupt auch die bürgerlichen,
dann auch die Studenten und die Studirten in die Gemeinde derer, die an die
adliche Ehre glauben, aufgenommen und für — satisfaktivnsfühig erklärt worden.
Man setzt nämlich voraus, daß jeder, der diesen Ehrbegriff hat, bereit und
gewillt sei, seine Ehre auf die Weise, die nach adlicher Auffassung allein dazu
geeignet ist, zu verteidigen und einem anderen, dessen Ehre man zu nahe ge¬
treten ist, ans dieselbe Weise Genugthuung zu geben, selbstverständlich nur,
wenn er denselben Begriff von Ehre hat oder haben muß.

Die Weise nun, auf die ursprünglich nur Adliche ihre Ehre unter ein¬
ander verteidigten und einander Genugthuung gaben, ist der Zweikampf. Der
Zweikampf aber ist — und das ist der andre Punkt, über den ich mit dem
Verfasser des frühern Aufsatzes uicht einverstanden bin — nicht ein unmittel¬
barer Abkömmling der mittelalterlichen Gottesurteile, wenn sie auch etwas in
die Entwicklung namentlich der Zeremonien des Zweikampfs hineingespielt haben
mögen. Sondern der Zweikampf ist ein Nest des Fehderechts der Adlichen.
Die Adlichen brauchten sich ursprünglich ihr Recht nicht vor irgend einem
Richter zu holen, mochte es sich handeln, um was es wollte. Sie konnten
es vielleicht gar nicht, weil es keinen Richter gab, der über ihnen stand; sie
waren souverän. So haben sie sich ihr Recht selbst geholt, sie haben dem
Gegner die Fehde angesagt, haben ihn mit ihrer Faust niedergezwungen und
sich so durch das Faustrecht, durch das Recht des Stärkern zu ihrem Rechte
verholfen. Mit dem Fortschreiten der Kultur, mit der vollkommnern Entwick¬
lung des Staatslebens ist das Faustrecht, das Recht auf Selbsthilfe immer
mehr eingeschränkt worden. Der Adel und die Kreise, die seinen Ehrbegriff
angenommen haben, beanspruchen selbst es nur noch für die Fülle, wo die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/320>, abgerufen am 01.09.2024.