Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

negativer Art. Er besteht nämlich darin, daß man der Eigenschaften nicht er¬
mangle, die man haben mich, teils um ein brauchbares Mitglied der bürger¬
lichen Gesellschaft im allgemeinen zu sein,, teils um eine besondre Stellung
darin auszufüllen." Aber die Ehre gehört in der That gar nicht in das Ge¬
biet, über das der Verstand herrscht, und in dem er nach den Gesetzen der
Vernunft entscheidet, ob etwas wirklich berechtigt richtig sei oder nicht. Der
Verstand wird immer wieder zu dem Ergebnis kommen, daß es keine Ehre
giebt, daß das, was man als Ehre bezeichnet, ein Wahngebilde, ein Gespenst
ist, das nur in der Einbildung, in der Phantasie der Leute besteht. Und man
sollte sich in der That damit begnügen, festzustellen, daß es im Gebiete des
Verstandes den Begriff Ehre nicht giebt, daß die Ehre vor dem Richterstuhle
der Vernunft in ein wesenloses Nichts zerfließt, daß sie objektiv nicht bestimmt
werden kann, und man wird darauf verzichten müssen, einem mit Vernunft-
gründen seiue Ehre auszureden oder einem andern, der aller Ehre bar ist, ver¬
standesmäßig die Ehre beizubringen.

Aber ist denn nur das wirklich, was verstandesmäßig begriffen, was ob¬
jektiv festgestellt werden kaun? Will man das behaupten, dann wird freilich
vieles, von dessen Wirklichkeit unzählige Menschen überzeugt sind, in den Orkus
der NichtWirklichkeit verschwinden müssen. Dann ist, um gleich das wichtigste
zu nennen, Gott nicht wirklich. Denn auch, wenn man zu den schon vor-
handnen sogenannten Gottesbeweisen noch eine Anzahl nicht minder scharf¬
sinniger neuer Gottesbeweise hinzubrnchte, würde man doch niemals verstandes¬
mäßig, objektiv feststellen können, daß es einen Gott giebt. Aber giebt es denn
nicht neben der objektiven Wirklichkeit der Vernunft noch eine subjektive Wirk¬
lichkeit des Glaubens? Wer glaubt, daß es einen Gott giebt, der wird doch
nur lächeln über den, der ihm logisch das Dasein Gottes als eine Unmöglich¬
keit hinstellt; und umgekehrt: wer nicht an Gott glaubt, wird ihn auf dem
Wege des Verstandes niemals erkennen. Nun wohl, auch die Ehre gehört zu
den Begriffen, die nur eine subjektive Wirklichkeit haben, zu den Dingen, von
denen man glauben muß, daß sie sind. Wie aber, im Gebiete der Natur-
religion wenigstens, die Vorstellung von Gott in innerm, notwendigen Zu¬
sammenhange mit der Stufe des Seelenlebens steht, die el" Volk erreicht hat,
und wie sich daraus die Verschiedenheit der Religionen ergiebt, so ist die Ver¬
schiedenheit des Ehrbegriffs eine Folge der stufenweise sich vollziehenden Ent¬
wicklung der seelischen Beziehungen zur Menschenwürde. Bekanntlich hat jeder
Mensch seine Ehre. Zu mir kam einmal ein Mann, der eben aus dem Zucht¬
hause entlassen war. Er hatte sich dort eine kleine Summe erspart, die ich
ihm auszuzahlen hatte. Als ich ihn nun ermahnte, nicht wieder rückfällig zu
werden und besonders das Geld gut anzuwenden, erwiderte er mir tief gekränkt:
Ja glauben Sie denn, daß ich nicht auch meine Ehre habe? Der Mann hatte
ganz Recht. ES giebt überhaupt wenig Menschen, die nicht ihre Ehre Hütten.


negativer Art. Er besteht nämlich darin, daß man der Eigenschaften nicht er¬
mangle, die man haben mich, teils um ein brauchbares Mitglied der bürger¬
lichen Gesellschaft im allgemeinen zu sein,, teils um eine besondre Stellung
darin auszufüllen." Aber die Ehre gehört in der That gar nicht in das Ge¬
biet, über das der Verstand herrscht, und in dem er nach den Gesetzen der
Vernunft entscheidet, ob etwas wirklich berechtigt richtig sei oder nicht. Der
Verstand wird immer wieder zu dem Ergebnis kommen, daß es keine Ehre
giebt, daß das, was man als Ehre bezeichnet, ein Wahngebilde, ein Gespenst
ist, das nur in der Einbildung, in der Phantasie der Leute besteht. Und man
sollte sich in der That damit begnügen, festzustellen, daß es im Gebiete des
Verstandes den Begriff Ehre nicht giebt, daß die Ehre vor dem Richterstuhle
der Vernunft in ein wesenloses Nichts zerfließt, daß sie objektiv nicht bestimmt
werden kann, und man wird darauf verzichten müssen, einem mit Vernunft-
gründen seiue Ehre auszureden oder einem andern, der aller Ehre bar ist, ver¬
standesmäßig die Ehre beizubringen.

Aber ist denn nur das wirklich, was verstandesmäßig begriffen, was ob¬
jektiv festgestellt werden kaun? Will man das behaupten, dann wird freilich
vieles, von dessen Wirklichkeit unzählige Menschen überzeugt sind, in den Orkus
der NichtWirklichkeit verschwinden müssen. Dann ist, um gleich das wichtigste
zu nennen, Gott nicht wirklich. Denn auch, wenn man zu den schon vor-
handnen sogenannten Gottesbeweisen noch eine Anzahl nicht minder scharf¬
sinniger neuer Gottesbeweise hinzubrnchte, würde man doch niemals verstandes¬
mäßig, objektiv feststellen können, daß es einen Gott giebt. Aber giebt es denn
nicht neben der objektiven Wirklichkeit der Vernunft noch eine subjektive Wirk¬
lichkeit des Glaubens? Wer glaubt, daß es einen Gott giebt, der wird doch
nur lächeln über den, der ihm logisch das Dasein Gottes als eine Unmöglich¬
keit hinstellt; und umgekehrt: wer nicht an Gott glaubt, wird ihn auf dem
Wege des Verstandes niemals erkennen. Nun wohl, auch die Ehre gehört zu
den Begriffen, die nur eine subjektive Wirklichkeit haben, zu den Dingen, von
denen man glauben muß, daß sie sind. Wie aber, im Gebiete der Natur-
religion wenigstens, die Vorstellung von Gott in innerm, notwendigen Zu¬
sammenhange mit der Stufe des Seelenlebens steht, die el» Volk erreicht hat,
und wie sich daraus die Verschiedenheit der Religionen ergiebt, so ist die Ver¬
schiedenheit des Ehrbegriffs eine Folge der stufenweise sich vollziehenden Ent¬
wicklung der seelischen Beziehungen zur Menschenwürde. Bekanntlich hat jeder
Mensch seine Ehre. Zu mir kam einmal ein Mann, der eben aus dem Zucht¬
hause entlassen war. Er hatte sich dort eine kleine Summe erspart, die ich
ihm auszuzahlen hatte. Als ich ihn nun ermahnte, nicht wieder rückfällig zu
werden und besonders das Geld gut anzuwenden, erwiderte er mir tief gekränkt:
Ja glauben Sie denn, daß ich nicht auch meine Ehre habe? Der Mann hatte
ganz Recht. ES giebt überhaupt wenig Menschen, die nicht ihre Ehre Hütten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221965"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1036" prev="#ID_1035"> negativer Art. Er besteht nämlich darin, daß man der Eigenschaften nicht er¬<lb/>
mangle, die man haben mich, teils um ein brauchbares Mitglied der bürger¬<lb/>
lichen Gesellschaft im allgemeinen zu sein,, teils um eine besondre Stellung<lb/>
darin auszufüllen." Aber die Ehre gehört in der That gar nicht in das Ge¬<lb/>
biet, über das der Verstand herrscht, und in dem er nach den Gesetzen der<lb/>
Vernunft entscheidet, ob etwas wirklich berechtigt richtig sei oder nicht. Der<lb/>
Verstand wird immer wieder zu dem Ergebnis kommen, daß es keine Ehre<lb/>
giebt, daß das, was man als Ehre bezeichnet, ein Wahngebilde, ein Gespenst<lb/>
ist, das nur in der Einbildung, in der Phantasie der Leute besteht. Und man<lb/>
sollte sich in der That damit begnügen, festzustellen, daß es im Gebiete des<lb/>
Verstandes den Begriff Ehre nicht giebt, daß die Ehre vor dem Richterstuhle<lb/>
der Vernunft in ein wesenloses Nichts zerfließt, daß sie objektiv nicht bestimmt<lb/>
werden kann, und man wird darauf verzichten müssen, einem mit Vernunft-<lb/>
gründen seiue Ehre auszureden oder einem andern, der aller Ehre bar ist, ver¬<lb/>
standesmäßig die Ehre beizubringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1037"> Aber ist denn nur das wirklich, was verstandesmäßig begriffen, was ob¬<lb/>
jektiv festgestellt werden kaun? Will man das behaupten, dann wird freilich<lb/>
vieles, von dessen Wirklichkeit unzählige Menschen überzeugt sind, in den Orkus<lb/>
der NichtWirklichkeit verschwinden müssen. Dann ist, um gleich das wichtigste<lb/>
zu nennen, Gott nicht wirklich. Denn auch, wenn man zu den schon vor-<lb/>
handnen sogenannten Gottesbeweisen noch eine Anzahl nicht minder scharf¬<lb/>
sinniger neuer Gottesbeweise hinzubrnchte, würde man doch niemals verstandes¬<lb/>
mäßig, objektiv feststellen können, daß es einen Gott giebt. Aber giebt es denn<lb/>
nicht neben der objektiven Wirklichkeit der Vernunft noch eine subjektive Wirk¬<lb/>
lichkeit des Glaubens? Wer glaubt, daß es einen Gott giebt, der wird doch<lb/>
nur lächeln über den, der ihm logisch das Dasein Gottes als eine Unmöglich¬<lb/>
keit hinstellt; und umgekehrt: wer nicht an Gott glaubt, wird ihn auf dem<lb/>
Wege des Verstandes niemals erkennen. Nun wohl, auch die Ehre gehört zu<lb/>
den Begriffen, die nur eine subjektive Wirklichkeit haben, zu den Dingen, von<lb/>
denen man glauben muß, daß sie sind. Wie aber, im Gebiete der Natur-<lb/>
religion wenigstens, die Vorstellung von Gott in innerm, notwendigen Zu¬<lb/>
sammenhange mit der Stufe des Seelenlebens steht, die el» Volk erreicht hat,<lb/>
und wie sich daraus die Verschiedenheit der Religionen ergiebt, so ist die Ver¬<lb/>
schiedenheit des Ehrbegriffs eine Folge der stufenweise sich vollziehenden Ent¬<lb/>
wicklung der seelischen Beziehungen zur Menschenwürde. Bekanntlich hat jeder<lb/>
Mensch seine Ehre. Zu mir kam einmal ein Mann, der eben aus dem Zucht¬<lb/>
hause entlassen war. Er hatte sich dort eine kleine Summe erspart, die ich<lb/>
ihm auszuzahlen hatte. Als ich ihn nun ermahnte, nicht wieder rückfällig zu<lb/>
werden und besonders das Geld gut anzuwenden, erwiderte er mir tief gekränkt:<lb/>
Ja glauben Sie denn, daß ich nicht auch meine Ehre habe? Der Mann hatte<lb/>
ganz Recht. ES giebt überhaupt wenig Menschen, die nicht ihre Ehre Hütten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0319] negativer Art. Er besteht nämlich darin, daß man der Eigenschaften nicht er¬ mangle, die man haben mich, teils um ein brauchbares Mitglied der bürger¬ lichen Gesellschaft im allgemeinen zu sein,, teils um eine besondre Stellung darin auszufüllen." Aber die Ehre gehört in der That gar nicht in das Ge¬ biet, über das der Verstand herrscht, und in dem er nach den Gesetzen der Vernunft entscheidet, ob etwas wirklich berechtigt richtig sei oder nicht. Der Verstand wird immer wieder zu dem Ergebnis kommen, daß es keine Ehre giebt, daß das, was man als Ehre bezeichnet, ein Wahngebilde, ein Gespenst ist, das nur in der Einbildung, in der Phantasie der Leute besteht. Und man sollte sich in der That damit begnügen, festzustellen, daß es im Gebiete des Verstandes den Begriff Ehre nicht giebt, daß die Ehre vor dem Richterstuhle der Vernunft in ein wesenloses Nichts zerfließt, daß sie objektiv nicht bestimmt werden kann, und man wird darauf verzichten müssen, einem mit Vernunft- gründen seiue Ehre auszureden oder einem andern, der aller Ehre bar ist, ver¬ standesmäßig die Ehre beizubringen. Aber ist denn nur das wirklich, was verstandesmäßig begriffen, was ob¬ jektiv festgestellt werden kaun? Will man das behaupten, dann wird freilich vieles, von dessen Wirklichkeit unzählige Menschen überzeugt sind, in den Orkus der NichtWirklichkeit verschwinden müssen. Dann ist, um gleich das wichtigste zu nennen, Gott nicht wirklich. Denn auch, wenn man zu den schon vor- handnen sogenannten Gottesbeweisen noch eine Anzahl nicht minder scharf¬ sinniger neuer Gottesbeweise hinzubrnchte, würde man doch niemals verstandes¬ mäßig, objektiv feststellen können, daß es einen Gott giebt. Aber giebt es denn nicht neben der objektiven Wirklichkeit der Vernunft noch eine subjektive Wirk¬ lichkeit des Glaubens? Wer glaubt, daß es einen Gott giebt, der wird doch nur lächeln über den, der ihm logisch das Dasein Gottes als eine Unmöglich¬ keit hinstellt; und umgekehrt: wer nicht an Gott glaubt, wird ihn auf dem Wege des Verstandes niemals erkennen. Nun wohl, auch die Ehre gehört zu den Begriffen, die nur eine subjektive Wirklichkeit haben, zu den Dingen, von denen man glauben muß, daß sie sind. Wie aber, im Gebiete der Natur- religion wenigstens, die Vorstellung von Gott in innerm, notwendigen Zu¬ sammenhange mit der Stufe des Seelenlebens steht, die el» Volk erreicht hat, und wie sich daraus die Verschiedenheit der Religionen ergiebt, so ist die Ver¬ schiedenheit des Ehrbegriffs eine Folge der stufenweise sich vollziehenden Ent¬ wicklung der seelischen Beziehungen zur Menschenwürde. Bekanntlich hat jeder Mensch seine Ehre. Zu mir kam einmal ein Mann, der eben aus dem Zucht¬ hause entlassen war. Er hatte sich dort eine kleine Summe erspart, die ich ihm auszuzahlen hatte. Als ich ihn nun ermahnte, nicht wieder rückfällig zu werden und besonders das Geld gut anzuwenden, erwiderte er mir tief gekränkt: Ja glauben Sie denn, daß ich nicht auch meine Ehre habe? Der Mann hatte ganz Recht. ES giebt überhaupt wenig Menschen, die nicht ihre Ehre Hütten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/319
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/319>, abgerufen am 22.11.2024.