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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Aunst

würde die Kommission eher mit einer gewissen Scheu herantreten, sich nicht
etwa von einem klangvollen Namen mit Unrecht beeinflussen zu lassen. Aber,
aber! Wenn er nun wirklich in Betracht gekommen wäre neben einem von
denen, die schon ganz groß waren, wär es dann nicht ganz erklärlich gewesen,
daß sich die Herren durch den Biermanschen Klatsch doch beeinflussen ließen,
ohne es auch nur zu merken? Und was wurde dann aus ihm, wenn er zurück¬
gewiesen wurde? Wann bot sich wieder eine Gelegenheit zum Verkauf? Er
bekam vielleicht sein Geld niemals wieder, und er hatte ein kleines, für
ihn aber sehr wichtiges, sein letztes Kapital dafür ausgegeben! Der Mut
wollte ihm sinken. Er machte sich Vorwürfe über seineu sträflichen Leichtsinn,
sich in diese Gefahr begeben zu haben. Und wie lange, sagte er sich, würde er
dann kämpfen, ehe er daran denken durfte, seine kleine Erika zu verlangen, von
diesen Verwandten zu verlangen. Er würde zunächst für den täglichen Groschen
arbeiten, kleine Aufträge annehmen müssen, würde vielleicht niemals wieder die
nvtuge Ruhe und Sammlung zu einem größern Werke finden, das ihn empor¬
trug über die Menge und ihm zu Einnahmen verhalf, mit denen er als Be¬
werber um die Hand eines Mädchens wie Erika auftreten durfte. Wer weiß,
ob er seine Muse, die da im Thon vor ihm stand, jemals in Marmor würde
schaffen können!

Er wurde mißtrauisch gegen sich und sah seine Arbeit mit kritischen
Augen an; er fand dies nicht richtig und fand jenes verkehrt und begriff nicht,
wie er neulich so entzückt über sein Werk hatte sein können.

Er wollte sich durch die Arbeit von seiner Sorge ablenken. Er war
neulich in Dresden gewesen; dn waren ihm im großen Garten die beiden
traurigen Löwen aufgefallen, die vor den Karolaseen auf der Brücke Wacht
halten, die nach Strehlen führt. Er hatte Skizzen und Studien aus frühern
Jahren hervorgesucht, Zeichnungen nach alten Skulpturen, namentlich assyrischen,
Zeichnungen nach der Natur, Augeublicksphotographien aus verschiednen zoolo¬
gischen Gurten und andres mehr, und hatte begonnen, einen Löwen zu mo-
delliren. Er stellte sich einen wirklichen Löwen vor, jeden Muskel gespannt,
den steifen Nacken fast wagerecht vorgestreckt, fertig zum Sprunge, um ihn in
der nächsten Sekunde auszuführen. Aber es wurde heute nichts; rücksichtslose,
siegessichere, gewaltige Kraft künstlerisch zu gestalten, war ihm heute unmög¬
lich, der ganze Gedanke lag ihm heute zu fern, die alte Katze kam ihm gesucht,
anspruchsvoll, unwahr vor. Er sah ein, daß er hente nichts schaffen würde,
und er ergab sich schließlich drein.

Gerade nun, als er im Begriff war auszugehen und sich im Walde Ruhe
zu erkaufen, da kam ihr Brief. Das war ihm ein großer Trost, es war ihm,
als wenn sich seine Hoffnung wiederfände, die er doch haben mußte, wenn er
Erika heute Abend sah.

Am Abend trafen sie sich, und jeder sprach dem andern Mut ein, und
jeder that, als ob er fest von dem Erfolg überzeugt wäre. Aber beide
gingen auseinander mit demselben schweren Druck auf der Seele: was soll
nur werden, wenn das Werk nicht siegt? Und wie unwahrscheinlich war es,
daß es siegte, wie thöricht war es, aus einer so schwachen Möglichkeit eine
Wahrscheinlichkeit zu machen, eine Wahrscheinlichkeit, mit der man rechnete,
wie vollkommen thöricht! War es nicht, als ob sie sich vorgenommen hätten,
sich zu heiraten und eine Villa zu kaufen, weil sie ein Lotterielos hatten und
also auf das große Los rechnen konnten?


Die Aunst

würde die Kommission eher mit einer gewissen Scheu herantreten, sich nicht
etwa von einem klangvollen Namen mit Unrecht beeinflussen zu lassen. Aber,
aber! Wenn er nun wirklich in Betracht gekommen wäre neben einem von
denen, die schon ganz groß waren, wär es dann nicht ganz erklärlich gewesen,
daß sich die Herren durch den Biermanschen Klatsch doch beeinflussen ließen,
ohne es auch nur zu merken? Und was wurde dann aus ihm, wenn er zurück¬
gewiesen wurde? Wann bot sich wieder eine Gelegenheit zum Verkauf? Er
bekam vielleicht sein Geld niemals wieder, und er hatte ein kleines, für
ihn aber sehr wichtiges, sein letztes Kapital dafür ausgegeben! Der Mut
wollte ihm sinken. Er machte sich Vorwürfe über seineu sträflichen Leichtsinn,
sich in diese Gefahr begeben zu haben. Und wie lange, sagte er sich, würde er
dann kämpfen, ehe er daran denken durfte, seine kleine Erika zu verlangen, von
diesen Verwandten zu verlangen. Er würde zunächst für den täglichen Groschen
arbeiten, kleine Aufträge annehmen müssen, würde vielleicht niemals wieder die
nvtuge Ruhe und Sammlung zu einem größern Werke finden, das ihn empor¬
trug über die Menge und ihm zu Einnahmen verhalf, mit denen er als Be¬
werber um die Hand eines Mädchens wie Erika auftreten durfte. Wer weiß,
ob er seine Muse, die da im Thon vor ihm stand, jemals in Marmor würde
schaffen können!

Er wurde mißtrauisch gegen sich und sah seine Arbeit mit kritischen
Augen an; er fand dies nicht richtig und fand jenes verkehrt und begriff nicht,
wie er neulich so entzückt über sein Werk hatte sein können.

Er wollte sich durch die Arbeit von seiner Sorge ablenken. Er war
neulich in Dresden gewesen; dn waren ihm im großen Garten die beiden
traurigen Löwen aufgefallen, die vor den Karolaseen auf der Brücke Wacht
halten, die nach Strehlen führt. Er hatte Skizzen und Studien aus frühern
Jahren hervorgesucht, Zeichnungen nach alten Skulpturen, namentlich assyrischen,
Zeichnungen nach der Natur, Augeublicksphotographien aus verschiednen zoolo¬
gischen Gurten und andres mehr, und hatte begonnen, einen Löwen zu mo-
delliren. Er stellte sich einen wirklichen Löwen vor, jeden Muskel gespannt,
den steifen Nacken fast wagerecht vorgestreckt, fertig zum Sprunge, um ihn in
der nächsten Sekunde auszuführen. Aber es wurde heute nichts; rücksichtslose,
siegessichere, gewaltige Kraft künstlerisch zu gestalten, war ihm heute unmög¬
lich, der ganze Gedanke lag ihm heute zu fern, die alte Katze kam ihm gesucht,
anspruchsvoll, unwahr vor. Er sah ein, daß er hente nichts schaffen würde,
und er ergab sich schließlich drein.

Gerade nun, als er im Begriff war auszugehen und sich im Walde Ruhe
zu erkaufen, da kam ihr Brief. Das war ihm ein großer Trost, es war ihm,
als wenn sich seine Hoffnung wiederfände, die er doch haben mußte, wenn er
Erika heute Abend sah.

Am Abend trafen sie sich, und jeder sprach dem andern Mut ein, und
jeder that, als ob er fest von dem Erfolg überzeugt wäre. Aber beide
gingen auseinander mit demselben schweren Druck auf der Seele: was soll
nur werden, wenn das Werk nicht siegt? Und wie unwahrscheinlich war es,
daß es siegte, wie thöricht war es, aus einer so schwachen Möglichkeit eine
Wahrscheinlichkeit zu machen, eine Wahrscheinlichkeit, mit der man rechnete,
wie vollkommen thöricht! War es nicht, als ob sie sich vorgenommen hätten,
sich zu heiraten und eine Villa zu kaufen, weil sie ein Lotterielos hatten und
also auf das große Los rechnen konnten?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/298>, abgerufen am 25.11.2024.