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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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bürg, bei tobenden Schlachtlärm, das Bangen und Zittern der sich um Gregor
drängenden Klerisei, ihre feige Flucht, als Heinrichs Sieg entschieden ist, der Tod
Gregors, bei dem nur ein junger Geistlicher als Zeuge verweilt -- das alles
steigert sich und baut sich zu einem großen tragischen Schlüsse auf.

Endlich noch ein außerhalb der Bühne liegender Grund für die Wirkung des
neuen Wildeubruchschen Dramas: das Publikum, das ihm einen lauten Erfolg be¬
reitete, war -- aus den im Eingange geschilderten Bestandteilen zusammengesetzt --
dasselbe, das dem an andrer Stelle in diesen Blättern besprochnen "Florian Geyer"
von Gerhart Hauptmann vor kurzem eine Niederlage oder doch einen sehr lauen
Empfang bereitet hatte. Je beabsichtigter aber der Herrn von Wildenbruch gezollte
Beifall erklang, um so mehr mußte sich dem Unbefangnen die Überzeugung auf¬
drängen, daß hier auch etwas wie Widerspruch gegen die Richtung der Herren
Hauptmann und Genossen im Spiele war. Man sah hier wieder einmal ein
glänzendes Beispiel des alten Bühnenmetiers, keine Stimmung, sondern Handlung,
und darüber freute man sich. Herr Hauptmann ist im "Florian Geyer" gewiß
viel "historischer" gewesen als Herr von Wildenbruch im "König Heinrich," das
Bauernkriegdrama weist eine große Fülle geschichtlicher Einzelheiten auf; aber der
Vorzug des einen ist der Fehler des andern: bei Hauptmann nicht jene wild hin¬
rauschende geschichtliche Handlung, bei Wildenbruch uicht jenes innige Bestreben,
den Geist der geschilderten Zeit zu erfasse" und zur Anschauung zu bringe". Der
eine erstickt im Detail, der andre verschmäht alles Detail und bleibt auf der Ober¬
fläche der äußern Ereignisse. Gelänge es, von jedem der beiden die Vorzüge auf¬
zunehmen und zu verbinden, dann wäre der Thon geknetet, aus dem ein Meister¬
werk geformt werden könnte.




Die Kunst Theodor Duimchen LrMstung von(Fortsetzung)

in Abend lustwandelten Tante Moller, Erika und Herr Albert
Biermcm im Waldpark. Es war Mondschein, aber Erika wunderte
sich, wie entsetzlich langweilig dieser Park und der weite Forst,
der sich jenseits der Schlucht hinzog, heute aussah.

Am nächsten Tage war Herr Biermcm von früh sechs Uhr
an bis abends um elf Uhr nicht abzuschütteln. Er wurde ganz
zur Familie gerechnet. Erika von Haltern stöhnte, aber sie fand erst des
Nachts Ruhe vor ihm.

Den nächsten Tag war er nach Dresden gefahren, und Erika atmete auf.
Hätte sie gewußt, was er in Dresden trieb, so würde sie immer noch lieber
seine Gesellschaft ertragen haben.

Am Spätnachmittag, schon gegen Abend, sah sie von der Veranda aus
einen Jungen in der Nähe des Hauses umherstreichen, barfuß, die Beine nackt


bürg, bei tobenden Schlachtlärm, das Bangen und Zittern der sich um Gregor
drängenden Klerisei, ihre feige Flucht, als Heinrichs Sieg entschieden ist, der Tod
Gregors, bei dem nur ein junger Geistlicher als Zeuge verweilt — das alles
steigert sich und baut sich zu einem großen tragischen Schlüsse auf.

Endlich noch ein außerhalb der Bühne liegender Grund für die Wirkung des
neuen Wildeubruchschen Dramas: das Publikum, das ihm einen lauten Erfolg be¬
reitete, war — aus den im Eingange geschilderten Bestandteilen zusammengesetzt —
dasselbe, das dem an andrer Stelle in diesen Blättern besprochnen „Florian Geyer"
von Gerhart Hauptmann vor kurzem eine Niederlage oder doch einen sehr lauen
Empfang bereitet hatte. Je beabsichtigter aber der Herrn von Wildenbruch gezollte
Beifall erklang, um so mehr mußte sich dem Unbefangnen die Überzeugung auf¬
drängen, daß hier auch etwas wie Widerspruch gegen die Richtung der Herren
Hauptmann und Genossen im Spiele war. Man sah hier wieder einmal ein
glänzendes Beispiel des alten Bühnenmetiers, keine Stimmung, sondern Handlung,
und darüber freute man sich. Herr Hauptmann ist im „Florian Geyer" gewiß
viel „historischer" gewesen als Herr von Wildenbruch im „König Heinrich," das
Bauernkriegdrama weist eine große Fülle geschichtlicher Einzelheiten auf; aber der
Vorzug des einen ist der Fehler des andern: bei Hauptmann nicht jene wild hin¬
rauschende geschichtliche Handlung, bei Wildenbruch uicht jenes innige Bestreben,
den Geist der geschilderten Zeit zu erfasse» und zur Anschauung zu bringe». Der
eine erstickt im Detail, der andre verschmäht alles Detail und bleibt auf der Ober¬
fläche der äußern Ereignisse. Gelänge es, von jedem der beiden die Vorzüge auf¬
zunehmen und zu verbinden, dann wäre der Thon geknetet, aus dem ein Meister¬
werk geformt werden könnte.




Die Kunst Theodor Duimchen LrMstung von(Fortsetzung)

in Abend lustwandelten Tante Moller, Erika und Herr Albert
Biermcm im Waldpark. Es war Mondschein, aber Erika wunderte
sich, wie entsetzlich langweilig dieser Park und der weite Forst,
der sich jenseits der Schlucht hinzog, heute aussah.

Am nächsten Tage war Herr Biermcm von früh sechs Uhr
an bis abends um elf Uhr nicht abzuschütteln. Er wurde ganz
zur Familie gerechnet. Erika von Haltern stöhnte, aber sie fand erst des
Nachts Ruhe vor ihm.

Den nächsten Tag war er nach Dresden gefahren, und Erika atmete auf.
Hätte sie gewußt, was er in Dresden trieb, so würde sie immer noch lieber
seine Gesellschaft ertragen haben.

Am Spätnachmittag, schon gegen Abend, sah sie von der Veranda aus
einen Jungen in der Nähe des Hauses umherstreichen, barfuß, die Beine nackt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/296>, abgerufen am 01.09.2024.