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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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War Dürer ein Papist?

heil zu beten und am Schluß "den Vater, den Sun und den heiligen Geist"
anruft, wozu Weber die sinnige Bemerkung macht: "Dürer machte dabei sicher¬
lich das Kreuzeszeichen." Dem wird dann in wirkungsvoller Weise gegenüber¬
gestellt, daß Luther schon (!) 1520 und 1521 das Fasten und Beichten, die
Sakramente usw. verworfen habe. Der unbefangne Leser muß nun glauben,
daß die Aufforderung Dürers, ein Paternoster und ein Ave Maria zu beten,
und die Erwähnung der heiligen Dreieinigkeit aus dem Jahre 1524 stammten.
Das ist aber keineswegs der Fall. Sie sind vielmehr unmittelbar nach dem
Tode des Vaters, d. h. 1502, niedergeschrieben worden, wie Herr Weber aus
unsrer Dürerausgabe hätte sehen könne". Und ebenso steht es mit den Be¬
merkungen über den Tod der Mutter Dürers, von der es heißt, daß sie "durch
päpstliche Gewalt von Pein und Schuld absolvirt" gestorben sei. Hierzu setzt
Weber triumphirend die Worte: "Dürer sieht hier im Papste deu Stellvertreter
Christi und erkennt ihm die Macht zu, von den Sündenstrafen durch Ablässe
zu befreien. Luther dagegen hatte schon seit sieben Jahren die Ablässe be¬
kämpft" usw. Wiederum muß der Leser denken, Dürer habe jene Worte im
Jahre 1524, d. h. sieben Jahre nach Luthers erstem Auftreten, geschrieben.
Thatsächlich aber stammt die Notiz, wie schon ein Blick ans das veröffentlichte
Faksimilie zeigt, aus dem Todesjahre der Mutter selbst, 1514! Wenn Dürer
in jener Zeit noch vollkommen an der päpstlichen Autorität festhielt, so kann
uns das wahrhaftig nicht Wundern, im Gegenteil, es ist uns nur ein neuer
Beweis für die längst anerkannte und besonders von uns Protestanten längst
anerkannte Thatsache, daß Luther selbst und nicht die sogenannten "Refor¬
matoren vor der Reformation" den Bruch mit der Kirche herbeigeführt haben.
Luther war es eben, der mit seinem gewaltigen Worte das traf, was die
andern bisher nur dunkel geahnt, aber nicht offen ausgesprochen hatten, und
er hat durch dieses Wort nicht nur Dürer, sondern auch manchem andern
unter den Besten unsers Volks "aus großen Ängsten" geholfen.

Der Kenner der Dürerlitterntur wird sich vielleicht wundern, daß ich
zahllose weitere Argumente, die in der bisherigen Litteratur teils sür, teils
gegen Dürers lutherische Gesinnung ins Feld geführt worden sind, und die
auch Herr Weber wieder mit ermüdender Ausführlichkeit herbetet, mit Still¬
schweigen übergehe. Das hat seinen guten Grund. Ich habe kein Interesse
daran, die Wucht der zitirten Hauptbeweise durch allerlei kleine Beweischen ab¬
zuschwächen, die man oft nach Belieben so oder auch anders zu deuten das
Recht hat. Wenn man einen mit Keulenschlügen totschlagen kann, so sticht
man ihn nicht außerdem noch mit Nadeln tot. Auch ist es ja nicht mein Vor¬
teil, durch langes Hin- und Herreden über gleichgiltige Kleinigkeiten die Auf¬
merksamkeit von der Hauptsache abzulenken. Ist der Leser nicht schon jetzt
überzeugt, daß Dürer ein guter Lutheraner war, so wird er es nie werden.
Ist er aber überzeugt, so genügen diese Beweise aus Dürers eignem Munde


War Dürer ein Papist?

heil zu beten und am Schluß „den Vater, den Sun und den heiligen Geist"
anruft, wozu Weber die sinnige Bemerkung macht: „Dürer machte dabei sicher¬
lich das Kreuzeszeichen." Dem wird dann in wirkungsvoller Weise gegenüber¬
gestellt, daß Luther schon (!) 1520 und 1521 das Fasten und Beichten, die
Sakramente usw. verworfen habe. Der unbefangne Leser muß nun glauben,
daß die Aufforderung Dürers, ein Paternoster und ein Ave Maria zu beten,
und die Erwähnung der heiligen Dreieinigkeit aus dem Jahre 1524 stammten.
Das ist aber keineswegs der Fall. Sie sind vielmehr unmittelbar nach dem
Tode des Vaters, d. h. 1502, niedergeschrieben worden, wie Herr Weber aus
unsrer Dürerausgabe hätte sehen könne». Und ebenso steht es mit den Be¬
merkungen über den Tod der Mutter Dürers, von der es heißt, daß sie „durch
päpstliche Gewalt von Pein und Schuld absolvirt" gestorben sei. Hierzu setzt
Weber triumphirend die Worte: „Dürer sieht hier im Papste deu Stellvertreter
Christi und erkennt ihm die Macht zu, von den Sündenstrafen durch Ablässe
zu befreien. Luther dagegen hatte schon seit sieben Jahren die Ablässe be¬
kämpft" usw. Wiederum muß der Leser denken, Dürer habe jene Worte im
Jahre 1524, d. h. sieben Jahre nach Luthers erstem Auftreten, geschrieben.
Thatsächlich aber stammt die Notiz, wie schon ein Blick ans das veröffentlichte
Faksimilie zeigt, aus dem Todesjahre der Mutter selbst, 1514! Wenn Dürer
in jener Zeit noch vollkommen an der päpstlichen Autorität festhielt, so kann
uns das wahrhaftig nicht Wundern, im Gegenteil, es ist uns nur ein neuer
Beweis für die längst anerkannte und besonders von uns Protestanten längst
anerkannte Thatsache, daß Luther selbst und nicht die sogenannten „Refor¬
matoren vor der Reformation" den Bruch mit der Kirche herbeigeführt haben.
Luther war es eben, der mit seinem gewaltigen Worte das traf, was die
andern bisher nur dunkel geahnt, aber nicht offen ausgesprochen hatten, und
er hat durch dieses Wort nicht nur Dürer, sondern auch manchem andern
unter den Besten unsers Volks „aus großen Ängsten" geholfen.

Der Kenner der Dürerlitterntur wird sich vielleicht wundern, daß ich
zahllose weitere Argumente, die in der bisherigen Litteratur teils sür, teils
gegen Dürers lutherische Gesinnung ins Feld geführt worden sind, und die
auch Herr Weber wieder mit ermüdender Ausführlichkeit herbetet, mit Still¬
schweigen übergehe. Das hat seinen guten Grund. Ich habe kein Interesse
daran, die Wucht der zitirten Hauptbeweise durch allerlei kleine Beweischen ab¬
zuschwächen, die man oft nach Belieben so oder auch anders zu deuten das
Recht hat. Wenn man einen mit Keulenschlügen totschlagen kann, so sticht
man ihn nicht außerdem noch mit Nadeln tot. Auch ist es ja nicht mein Vor¬
teil, durch langes Hin- und Herreden über gleichgiltige Kleinigkeiten die Auf¬
merksamkeit von der Hauptsache abzulenken. Ist der Leser nicht schon jetzt
überzeugt, daß Dürer ein guter Lutheraner war, so wird er es nie werden.
Ist er aber überzeugt, so genügen diese Beweise aus Dürers eignem Munde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/287>, abgerufen am 01.09.2024.