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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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N)ar Dürer ein Papist?

dürfen, in seinen Äußerungen aus dieser Zeit irgend eine Anspielung auf die
neue Bewegung zu finden. Und da muß ich doch noch einmal auf Herr"
Weber zurückkommen.

Dürer hat unter anderen auch eine Anzahl Reime gemacht, die wir in
unsrer Düreransgabe zum erstenmale vollständig veröffentlicht haben. Darunter
sind mehrere Anrufungen an Heilige und Gebete von ganz katholischem Inhalt,
mit Betonung der guten Werke, der Buße, der Sterbesakramente usw. Ich
habe schon vor Jahren im Deutschen Wochenblatt auf den katholischen Cha¬
rakter dieser Reime hingewiesen. Diese Verse fügt nun Weber in seine Be¬
handlung der niederländischen Reise Dürers ein, die im Jahre 1520/21 statt¬
fand, und zwar in einer Form, daß der unbefangne Leser denken muß, Dürer
habe sie ungefähr in diesen Jahren geschrieben. Dann werden diesen katho¬
lischen Äußerungen die Anschauungen Luthers aus derselben Zeit gegenüber¬
gestellt und kalt lächelnd die Folgerung gezogen: "Es wäre daher ein sehr kühner
Schluß, aus einer damaligen (1521) Verehrung des Pater Martin auch auf
Übereinstimmung mit dem spätern Leben und Wirken des abgefallnen Mönchs
schließen zu wollen" (S. 98). Der unbefangne Leser wird freilich sehr erstaunt
sein, wenn ich ihm mitteile, daß die Verse Dürers nicht aus dem Jahre 1521,
sondern aus den Jahren 1509 und 1510 stammen, also sieben Jahre vor dem
Auftreten Luthers geschrieben worden sind! Daß Dürer sieben Jahre vor dem
Auftreten Luthers nicht Lutheraner war, das braucht uns allerdings nicht erst
Herr Weber zu sagen. Wie nennt man aber ein Verfahren, wonach ein Datum
wissentlich verschwiegen wird, das für die in Frage stehende Untersuchung von
entscheidender Wichtigkeit war? Wir Protestanten nennen das Geschichtsfül-
schung. Herr Weber hat recht gut gewußt, daß diese Verse aus den Jahren
1509 und 1510 stammten, denn er konnte es in unsrer Dttrerausgabe, die er
sonst so tapfer ausgeschrieben hat, nachlesen. Er hat aber vorgezogen, ohne
ausdrücklich zu sagen, daß sie von 1521 stammten, doch so zu thun, als ob
sie damals geschrieben worden wären. Warum wußte er denn (S. 76), daß
die Kupferstiche "Ritter Tod und Teufel," die "Melancholie" und der "heilige
Hieronymus" schon 1513 und 1514 entstanden sind? Natürlich, die sind ja
von den Protestanten in ihrem Sinne gedeutet worden, und da mußte man
doch darauf hinweisen, daß damals "Pater Martin noch nicht an einen Angriff
auf die katholische Kirche dachte"!

Noch ein zweites Beispiel dieser Art. Im Jahre 1524 hat Dürer "ach
Aufzeichnungen seines Vaters eine Familienchronik zusammengestellt, in der
er unter anderm berichtet, daß sein Vater im Jahre 1502 nach Empfang der
" heiligen Sakramente" christlich verschieden sei, und in einem besondern Gedenk¬
buch, von dem sich nur ein Fragment erhalten hat, beschreibt er den Tod des
ältern Dürer ganz genau, wobei er zum Gebet sür deu Abgestorbnen auf¬
fordert, die Leser bittet, ein Vaterunser und ein Ave Maria für sein Seelen-


N)ar Dürer ein Papist?

dürfen, in seinen Äußerungen aus dieser Zeit irgend eine Anspielung auf die
neue Bewegung zu finden. Und da muß ich doch noch einmal auf Herr»
Weber zurückkommen.

Dürer hat unter anderen auch eine Anzahl Reime gemacht, die wir in
unsrer Düreransgabe zum erstenmale vollständig veröffentlicht haben. Darunter
sind mehrere Anrufungen an Heilige und Gebete von ganz katholischem Inhalt,
mit Betonung der guten Werke, der Buße, der Sterbesakramente usw. Ich
habe schon vor Jahren im Deutschen Wochenblatt auf den katholischen Cha¬
rakter dieser Reime hingewiesen. Diese Verse fügt nun Weber in seine Be¬
handlung der niederländischen Reise Dürers ein, die im Jahre 1520/21 statt¬
fand, und zwar in einer Form, daß der unbefangne Leser denken muß, Dürer
habe sie ungefähr in diesen Jahren geschrieben. Dann werden diesen katho¬
lischen Äußerungen die Anschauungen Luthers aus derselben Zeit gegenüber¬
gestellt und kalt lächelnd die Folgerung gezogen: „Es wäre daher ein sehr kühner
Schluß, aus einer damaligen (1521) Verehrung des Pater Martin auch auf
Übereinstimmung mit dem spätern Leben und Wirken des abgefallnen Mönchs
schließen zu wollen" (S. 98). Der unbefangne Leser wird freilich sehr erstaunt
sein, wenn ich ihm mitteile, daß die Verse Dürers nicht aus dem Jahre 1521,
sondern aus den Jahren 1509 und 1510 stammen, also sieben Jahre vor dem
Auftreten Luthers geschrieben worden sind! Daß Dürer sieben Jahre vor dem
Auftreten Luthers nicht Lutheraner war, das braucht uns allerdings nicht erst
Herr Weber zu sagen. Wie nennt man aber ein Verfahren, wonach ein Datum
wissentlich verschwiegen wird, das für die in Frage stehende Untersuchung von
entscheidender Wichtigkeit war? Wir Protestanten nennen das Geschichtsfül-
schung. Herr Weber hat recht gut gewußt, daß diese Verse aus den Jahren
1509 und 1510 stammten, denn er konnte es in unsrer Dttrerausgabe, die er
sonst so tapfer ausgeschrieben hat, nachlesen. Er hat aber vorgezogen, ohne
ausdrücklich zu sagen, daß sie von 1521 stammten, doch so zu thun, als ob
sie damals geschrieben worden wären. Warum wußte er denn (S. 76), daß
die Kupferstiche „Ritter Tod und Teufel," die „Melancholie" und der „heilige
Hieronymus" schon 1513 und 1514 entstanden sind? Natürlich, die sind ja
von den Protestanten in ihrem Sinne gedeutet worden, und da mußte man
doch darauf hinweisen, daß damals „Pater Martin noch nicht an einen Angriff
auf die katholische Kirche dachte"!

Noch ein zweites Beispiel dieser Art. Im Jahre 1524 hat Dürer »ach
Aufzeichnungen seines Vaters eine Familienchronik zusammengestellt, in der
er unter anderm berichtet, daß sein Vater im Jahre 1502 nach Empfang der
„ heiligen Sakramente" christlich verschieden sei, und in einem besondern Gedenk¬
buch, von dem sich nur ein Fragment erhalten hat, beschreibt er den Tod des
ältern Dürer ganz genau, wobei er zum Gebet sür deu Abgestorbnen auf¬
fordert, die Leser bittet, ein Vaterunser und ein Ave Maria für sein Seelen-


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[0286] N)ar Dürer ein Papist? dürfen, in seinen Äußerungen aus dieser Zeit irgend eine Anspielung auf die neue Bewegung zu finden. Und da muß ich doch noch einmal auf Herr» Weber zurückkommen. Dürer hat unter anderen auch eine Anzahl Reime gemacht, die wir in unsrer Düreransgabe zum erstenmale vollständig veröffentlicht haben. Darunter sind mehrere Anrufungen an Heilige und Gebete von ganz katholischem Inhalt, mit Betonung der guten Werke, der Buße, der Sterbesakramente usw. Ich habe schon vor Jahren im Deutschen Wochenblatt auf den katholischen Cha¬ rakter dieser Reime hingewiesen. Diese Verse fügt nun Weber in seine Be¬ handlung der niederländischen Reise Dürers ein, die im Jahre 1520/21 statt¬ fand, und zwar in einer Form, daß der unbefangne Leser denken muß, Dürer habe sie ungefähr in diesen Jahren geschrieben. Dann werden diesen katho¬ lischen Äußerungen die Anschauungen Luthers aus derselben Zeit gegenüber¬ gestellt und kalt lächelnd die Folgerung gezogen: „Es wäre daher ein sehr kühner Schluß, aus einer damaligen (1521) Verehrung des Pater Martin auch auf Übereinstimmung mit dem spätern Leben und Wirken des abgefallnen Mönchs schließen zu wollen" (S. 98). Der unbefangne Leser wird freilich sehr erstaunt sein, wenn ich ihm mitteile, daß die Verse Dürers nicht aus dem Jahre 1521, sondern aus den Jahren 1509 und 1510 stammen, also sieben Jahre vor dem Auftreten Luthers geschrieben worden sind! Daß Dürer sieben Jahre vor dem Auftreten Luthers nicht Lutheraner war, das braucht uns allerdings nicht erst Herr Weber zu sagen. Wie nennt man aber ein Verfahren, wonach ein Datum wissentlich verschwiegen wird, das für die in Frage stehende Untersuchung von entscheidender Wichtigkeit war? Wir Protestanten nennen das Geschichtsfül- schung. Herr Weber hat recht gut gewußt, daß diese Verse aus den Jahren 1509 und 1510 stammten, denn er konnte es in unsrer Dttrerausgabe, die er sonst so tapfer ausgeschrieben hat, nachlesen. Er hat aber vorgezogen, ohne ausdrücklich zu sagen, daß sie von 1521 stammten, doch so zu thun, als ob sie damals geschrieben worden wären. Warum wußte er denn (S. 76), daß die Kupferstiche „Ritter Tod und Teufel," die „Melancholie" und der „heilige Hieronymus" schon 1513 und 1514 entstanden sind? Natürlich, die sind ja von den Protestanten in ihrem Sinne gedeutet worden, und da mußte man doch darauf hinweisen, daß damals „Pater Martin noch nicht an einen Angriff auf die katholische Kirche dachte"! Noch ein zweites Beispiel dieser Art. Im Jahre 1524 hat Dürer »ach Aufzeichnungen seines Vaters eine Familienchronik zusammengestellt, in der er unter anderm berichtet, daß sein Vater im Jahre 1502 nach Empfang der „ heiligen Sakramente" christlich verschieden sei, und in einem besondern Gedenk¬ buch, von dem sich nur ein Fragment erhalten hat, beschreibt er den Tod des ältern Dürer ganz genau, wobei er zum Gebet sür deu Abgestorbnen auf¬ fordert, die Leser bittet, ein Vaterunser und ein Ave Maria für sein Seelen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/286>, abgerufen am 01.09.2024.