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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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War Dürer ein Papist?

Man hat wohl schon oft davon gehört, daß Leute, die keine Ketzer sind,
von katholischer Seite als solche bezeichnet werden. Aber der Fall, daß jemand,
der sich selbst (natürlich im Sinne der katholischen Kirche) als Ketzer bezeichnet,
von einem katholischen Schriftsteller feierlich von dem Vorwurf der Ketzerei
entbunden wird, ist wohl noch nicht dagewesen. Das bringt Herr Weber in
diesem Falle fertig. "In religiös aufgeregten Zeiten werden oft nur des
Abfalls Verdächtige Ketzer geheißen, ja streitende geben sich selbst gegenseitig
diesen Namen. Da aber Dürer sich gegen die Bezeichnung "Ketzer" wahrt,
will er kein Abtrünniger, sondern ein Sohn der Kirche sein." Wundervoll!

Zu den Beweisen für Dürers lutherische Gesinnung haben wir in unsrer
Dürerausgabe noch einen weitern, sehr interessanten hinzugefügt, den schon
Conway mitgeteilt hatte, nämlich ein Verzeichnis von sechzehn lutherischen
Schriften, das sich Dürer zu Ende des Jahres 1520 oder spätestens zu Anfang
des Jahres 1521 angefertigt haben muß. Es ist vielleicht das Verzeichnis
der Schriften, die ihm vom Kurfürsten Friedrich dem Weisen zugesendet worden
waren, und die er dann durch eifrige Ankäufe während der niederländischen
Reise ergänzte. Sie stammen alle aus den Jahren 1518, 1519 und 1520.
Hie und da kann man wohl im Zweifel sein, welche Ausgabe gemeint ist, die
lateinische oder die deutsche, die erste oder die zweite. Aber im ganzen wissen
wir aus dieser Notiz genau, welche Schriften Luthers Dürer im Jahre 1520/21
besessen hat. Ihre Zahl ist groß genug, das starke Interesse zu bekunden,
das Dürer an der schriftstellerischen Thätigkeit Luthers nahm. Zu diesem
Verzeichnis hatten wir nun die bescheidne Bemerkung gemacht: "Diese Notiz
muß als eins der wichtigsten Zeugnisse für Dürers lutherische Gesinnung den
von Zucker gesammelten Zeugnissen hinzugefügt werden." Diese Bemerkung
hat den höchsten Zorn des Herrn Weber erregt. Von der Höhe seines wissen¬
schaftlichen Standpunkts aus läßt er sich also vernehmen: "Übrigens ist jedem
Denker (sie) unerfindlich, was ein Bücherkatalog(!) zu dem Glauben eines Mannes
beweisen soll. Dr. Eck, der bei der Leipziger Disputation siegreiche Gegner
Luthers, hatte nicht nur ein Verzeichnis, sondern auch lutherische Schriften
selbst. Und jede Klosterbibliothek, jeder katholische Apologet besaß litterarische
Erzeugnisse des Neuerers. Man sieht, auf welch schwachen Füßen das angeb¬
liche Luthertum Dürers steht, und wie sogar verdiente protestantische Gelehrte
aus Voreingenommenheit sich über die einfachsten Denkgesetze, die gewöhnlichsten
Regeln der Logik hinwegsetzen." Und in einer Anmerkung fügt er hinzu:
"Der falsche Syllogismus würde laute": Wer lutherische Schriften verzeichnet,
ist Lutheraner. Nun schrieb Dürer einzelne Schriftchen (man beachte das ab¬
schwächende Diminutivum) Luthers auf, also war er Lutheraner."

Ich danke Herrn Weber zunächst auch im Namen meines Freundes Fusse
für das schmückende Beiwort, mit dem er unsre geringen Verdienste um die
Dürerforschung anerkannt hat. Aber ich muß dieses Lob aus seinem Munde


War Dürer ein Papist?

Man hat wohl schon oft davon gehört, daß Leute, die keine Ketzer sind,
von katholischer Seite als solche bezeichnet werden. Aber der Fall, daß jemand,
der sich selbst (natürlich im Sinne der katholischen Kirche) als Ketzer bezeichnet,
von einem katholischen Schriftsteller feierlich von dem Vorwurf der Ketzerei
entbunden wird, ist wohl noch nicht dagewesen. Das bringt Herr Weber in
diesem Falle fertig. „In religiös aufgeregten Zeiten werden oft nur des
Abfalls Verdächtige Ketzer geheißen, ja streitende geben sich selbst gegenseitig
diesen Namen. Da aber Dürer sich gegen die Bezeichnung »Ketzer« wahrt,
will er kein Abtrünniger, sondern ein Sohn der Kirche sein." Wundervoll!

Zu den Beweisen für Dürers lutherische Gesinnung haben wir in unsrer
Dürerausgabe noch einen weitern, sehr interessanten hinzugefügt, den schon
Conway mitgeteilt hatte, nämlich ein Verzeichnis von sechzehn lutherischen
Schriften, das sich Dürer zu Ende des Jahres 1520 oder spätestens zu Anfang
des Jahres 1521 angefertigt haben muß. Es ist vielleicht das Verzeichnis
der Schriften, die ihm vom Kurfürsten Friedrich dem Weisen zugesendet worden
waren, und die er dann durch eifrige Ankäufe während der niederländischen
Reise ergänzte. Sie stammen alle aus den Jahren 1518, 1519 und 1520.
Hie und da kann man wohl im Zweifel sein, welche Ausgabe gemeint ist, die
lateinische oder die deutsche, die erste oder die zweite. Aber im ganzen wissen
wir aus dieser Notiz genau, welche Schriften Luthers Dürer im Jahre 1520/21
besessen hat. Ihre Zahl ist groß genug, das starke Interesse zu bekunden,
das Dürer an der schriftstellerischen Thätigkeit Luthers nahm. Zu diesem
Verzeichnis hatten wir nun die bescheidne Bemerkung gemacht: „Diese Notiz
muß als eins der wichtigsten Zeugnisse für Dürers lutherische Gesinnung den
von Zucker gesammelten Zeugnissen hinzugefügt werden." Diese Bemerkung
hat den höchsten Zorn des Herrn Weber erregt. Von der Höhe seines wissen¬
schaftlichen Standpunkts aus läßt er sich also vernehmen: „Übrigens ist jedem
Denker (sie) unerfindlich, was ein Bücherkatalog(!) zu dem Glauben eines Mannes
beweisen soll. Dr. Eck, der bei der Leipziger Disputation siegreiche Gegner
Luthers, hatte nicht nur ein Verzeichnis, sondern auch lutherische Schriften
selbst. Und jede Klosterbibliothek, jeder katholische Apologet besaß litterarische
Erzeugnisse des Neuerers. Man sieht, auf welch schwachen Füßen das angeb¬
liche Luthertum Dürers steht, und wie sogar verdiente protestantische Gelehrte
aus Voreingenommenheit sich über die einfachsten Denkgesetze, die gewöhnlichsten
Regeln der Logik hinwegsetzen." Und in einer Anmerkung fügt er hinzu:
„Der falsche Syllogismus würde laute»: Wer lutherische Schriften verzeichnet,
ist Lutheraner. Nun schrieb Dürer einzelne Schriftchen (man beachte das ab¬
schwächende Diminutivum) Luthers auf, also war er Lutheraner."

Ich danke Herrn Weber zunächst auch im Namen meines Freundes Fusse
für das schmückende Beiwort, mit dem er unsre geringen Verdienste um die
Dürerforschung anerkannt hat. Aber ich muß dieses Lob aus seinem Munde


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[0283] War Dürer ein Papist? Man hat wohl schon oft davon gehört, daß Leute, die keine Ketzer sind, von katholischer Seite als solche bezeichnet werden. Aber der Fall, daß jemand, der sich selbst (natürlich im Sinne der katholischen Kirche) als Ketzer bezeichnet, von einem katholischen Schriftsteller feierlich von dem Vorwurf der Ketzerei entbunden wird, ist wohl noch nicht dagewesen. Das bringt Herr Weber in diesem Falle fertig. „In religiös aufgeregten Zeiten werden oft nur des Abfalls Verdächtige Ketzer geheißen, ja streitende geben sich selbst gegenseitig diesen Namen. Da aber Dürer sich gegen die Bezeichnung »Ketzer« wahrt, will er kein Abtrünniger, sondern ein Sohn der Kirche sein." Wundervoll! Zu den Beweisen für Dürers lutherische Gesinnung haben wir in unsrer Dürerausgabe noch einen weitern, sehr interessanten hinzugefügt, den schon Conway mitgeteilt hatte, nämlich ein Verzeichnis von sechzehn lutherischen Schriften, das sich Dürer zu Ende des Jahres 1520 oder spätestens zu Anfang des Jahres 1521 angefertigt haben muß. Es ist vielleicht das Verzeichnis der Schriften, die ihm vom Kurfürsten Friedrich dem Weisen zugesendet worden waren, und die er dann durch eifrige Ankäufe während der niederländischen Reise ergänzte. Sie stammen alle aus den Jahren 1518, 1519 und 1520. Hie und da kann man wohl im Zweifel sein, welche Ausgabe gemeint ist, die lateinische oder die deutsche, die erste oder die zweite. Aber im ganzen wissen wir aus dieser Notiz genau, welche Schriften Luthers Dürer im Jahre 1520/21 besessen hat. Ihre Zahl ist groß genug, das starke Interesse zu bekunden, das Dürer an der schriftstellerischen Thätigkeit Luthers nahm. Zu diesem Verzeichnis hatten wir nun die bescheidne Bemerkung gemacht: „Diese Notiz muß als eins der wichtigsten Zeugnisse für Dürers lutherische Gesinnung den von Zucker gesammelten Zeugnissen hinzugefügt werden." Diese Bemerkung hat den höchsten Zorn des Herrn Weber erregt. Von der Höhe seines wissen¬ schaftlichen Standpunkts aus läßt er sich also vernehmen: „Übrigens ist jedem Denker (sie) unerfindlich, was ein Bücherkatalog(!) zu dem Glauben eines Mannes beweisen soll. Dr. Eck, der bei der Leipziger Disputation siegreiche Gegner Luthers, hatte nicht nur ein Verzeichnis, sondern auch lutherische Schriften selbst. Und jede Klosterbibliothek, jeder katholische Apologet besaß litterarische Erzeugnisse des Neuerers. Man sieht, auf welch schwachen Füßen das angeb¬ liche Luthertum Dürers steht, und wie sogar verdiente protestantische Gelehrte aus Voreingenommenheit sich über die einfachsten Denkgesetze, die gewöhnlichsten Regeln der Logik hinwegsetzen." Und in einer Anmerkung fügt er hinzu: „Der falsche Syllogismus würde laute»: Wer lutherische Schriften verzeichnet, ist Lutheraner. Nun schrieb Dürer einzelne Schriftchen (man beachte das ab¬ schwächende Diminutivum) Luthers auf, also war er Lutheraner." Ich danke Herrn Weber zunächst auch im Namen meines Freundes Fusse für das schmückende Beiwort, mit dem er unsre geringen Verdienste um die Dürerforschung anerkannt hat. Aber ich muß dieses Lob aus seinem Munde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/283>, abgerufen am 01.09.2024.