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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Infektionskrankheiten

Als unschädlich bezeichnet wurde das Mittel von den behandelnden Ärzten
4544mal, d. h. in 68,6 Prozent aller Fülle, als schädlich 60mal, d. h. in
0,88 Prozent; unentschieden gelassen wurde die Frage 82mal, d. h, in 1,2 Pro¬
zent; ohne Beurteilung blieb sie 1940mal, d.h. in 28,8 Prozent.

Über den Heilwert urteilten günstig 55,6 Prozent der Ärzte, wahrschein¬
lich günstig 30,8 Prozent, kein Urteil gaben ab 13,6 Prozent, ungünstig ur¬
teilten 0,88 Prozent der Ärzte.

Als nachteilige Folgen der Behandlung wurden angegeben: 1. Hautaus¬
schläge 548 mal ------ 8,2 Prozent, 2. Gelenkschmerzen 144mal ----- 2 Prozent,
3. Lähmungen 177mal ----- 2,2 Prozent, 4. Herzaffektionen 102 mal -----1,5 Pro¬
zent, 5. Eiweißharu 132 mal-------1,9 Prozent.

Von den so erkrankten starben 18, und zwar 3 an zunehmendem Eiwei߬
harnen, 5 an Herzstörnngen und 3 an allgemeiner Schwäche, d. h. an Folgen
der Diphtherie, die bei jeder Behandlungsart häufig sind, also dem Heilserum
nicht zugeschrieben werden dürfen.

Bei 1822 Kranken war der Kehlkopf befallen, doch wurde bei diesen der
Kehlkopfschnitt nur 886 mal, d. h. in 43 Prozent notwendig. Bei den
ursprünglich mit Rachendiphtherie behafteten Kranken stieg der Krankheits¬
prozeß nach Beginn der Serumbehandlung nur ein einziges mal zum Kehl¬
kopf herab.

Diese Zahlen des gesamten Materials sind sehr günstig. Die Einzelberichte
kommen bald zu einem sehr guten, bald zu einem schlechtern Ergebnis; so
schwanken z. B. die Heilungsprozeute in den Krankenhäusern zwischen 50 und
100, in der Privatpraxis zwischen 79 und 100.

Die ungünstigsten Zahlen für die Krankenhansbehandlung giebt Brom¬
berg: 50 Prozent; doch beträgt die der Statistik zu Grunde liegende Kranken-
zisfer mir 2, sodaß sie als Einzelgröße uicht berücksichtigt werden darf, nament¬
lich wenn man bedenkt, daß in vielen Gegenden die Krankenhäuser nur als
Zufluchtsstätten der Sterbenden benutzt werden. Ganz besonders geschieht dies
bei der Diphtherie, aus Furcht vor der Operation des Kehlkopfschnitts. In
der Privatpraxis betrug die Sterblichkeit in Bromberg bei 27 erkrankten
Kindern nur 11,1 Prozent. Ähnlich liegen die Verhältnisse in Liegnitz mit
66 Prozent Heilungen bei 12 Kranken im Krankenhause und 91 Prozent Hei¬
lungen bei 175 Kranken in der Privatpraxis. Recht günstige Ergebnisse
liefern Potsdam und Stralsund: dort betrug in den Krankenhäusern die Zahl
der Genesenen bei 52 Kranken 86 Prozent, in der Privatpraxis bei 196
Kranken 95,5 Prozent; in Stralsund lauten dieselben Zahlen 91,4 Prozent
bei 93 und 98,1 Prozent bei 52 Kranken. Verhältnismäßig ungünstig steht
Berlin da: es hatte eine Genesungsziffer von 76,4 Prozent bei 605 Kranken
in den Krankenhäusern; aus der Privatpraxis fehlen die Augciben.

Ohne Zweifel können aus diesen Zahlen nur günstige Schlüsse über die
neue Behandlungsmethode gezogen werden. Dennoch begnügt sich die Unter-


Die Infektionskrankheiten

Als unschädlich bezeichnet wurde das Mittel von den behandelnden Ärzten
4544mal, d. h. in 68,6 Prozent aller Fülle, als schädlich 60mal, d. h. in
0,88 Prozent; unentschieden gelassen wurde die Frage 82mal, d. h, in 1,2 Pro¬
zent; ohne Beurteilung blieb sie 1940mal, d.h. in 28,8 Prozent.

Über den Heilwert urteilten günstig 55,6 Prozent der Ärzte, wahrschein¬
lich günstig 30,8 Prozent, kein Urteil gaben ab 13,6 Prozent, ungünstig ur¬
teilten 0,88 Prozent der Ärzte.

Als nachteilige Folgen der Behandlung wurden angegeben: 1. Hautaus¬
schläge 548 mal ------ 8,2 Prozent, 2. Gelenkschmerzen 144mal ----- 2 Prozent,
3. Lähmungen 177mal ----- 2,2 Prozent, 4. Herzaffektionen 102 mal -----1,5 Pro¬
zent, 5. Eiweißharu 132 mal-------1,9 Prozent.

Von den so erkrankten starben 18, und zwar 3 an zunehmendem Eiwei߬
harnen, 5 an Herzstörnngen und 3 an allgemeiner Schwäche, d. h. an Folgen
der Diphtherie, die bei jeder Behandlungsart häufig sind, also dem Heilserum
nicht zugeschrieben werden dürfen.

Bei 1822 Kranken war der Kehlkopf befallen, doch wurde bei diesen der
Kehlkopfschnitt nur 886 mal, d. h. in 43 Prozent notwendig. Bei den
ursprünglich mit Rachendiphtherie behafteten Kranken stieg der Krankheits¬
prozeß nach Beginn der Serumbehandlung nur ein einziges mal zum Kehl¬
kopf herab.

Diese Zahlen des gesamten Materials sind sehr günstig. Die Einzelberichte
kommen bald zu einem sehr guten, bald zu einem schlechtern Ergebnis; so
schwanken z. B. die Heilungsprozeute in den Krankenhäusern zwischen 50 und
100, in der Privatpraxis zwischen 79 und 100.

Die ungünstigsten Zahlen für die Krankenhansbehandlung giebt Brom¬
berg: 50 Prozent; doch beträgt die der Statistik zu Grunde liegende Kranken-
zisfer mir 2, sodaß sie als Einzelgröße uicht berücksichtigt werden darf, nament¬
lich wenn man bedenkt, daß in vielen Gegenden die Krankenhäuser nur als
Zufluchtsstätten der Sterbenden benutzt werden. Ganz besonders geschieht dies
bei der Diphtherie, aus Furcht vor der Operation des Kehlkopfschnitts. In
der Privatpraxis betrug die Sterblichkeit in Bromberg bei 27 erkrankten
Kindern nur 11,1 Prozent. Ähnlich liegen die Verhältnisse in Liegnitz mit
66 Prozent Heilungen bei 12 Kranken im Krankenhause und 91 Prozent Hei¬
lungen bei 175 Kranken in der Privatpraxis. Recht günstige Ergebnisse
liefern Potsdam und Stralsund: dort betrug in den Krankenhäusern die Zahl
der Genesenen bei 52 Kranken 86 Prozent, in der Privatpraxis bei 196
Kranken 95,5 Prozent; in Stralsund lauten dieselben Zahlen 91,4 Prozent
bei 93 und 98,1 Prozent bei 52 Kranken. Verhältnismäßig ungünstig steht
Berlin da: es hatte eine Genesungsziffer von 76,4 Prozent bei 605 Kranken
in den Krankenhäusern; aus der Privatpraxis fehlen die Augciben.

Ohne Zweifel können aus diesen Zahlen nur günstige Schlüsse über die
neue Behandlungsmethode gezogen werden. Dennoch begnügt sich die Unter-


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[0028] Die Infektionskrankheiten Als unschädlich bezeichnet wurde das Mittel von den behandelnden Ärzten 4544mal, d. h. in 68,6 Prozent aller Fülle, als schädlich 60mal, d. h. in 0,88 Prozent; unentschieden gelassen wurde die Frage 82mal, d. h, in 1,2 Pro¬ zent; ohne Beurteilung blieb sie 1940mal, d.h. in 28,8 Prozent. Über den Heilwert urteilten günstig 55,6 Prozent der Ärzte, wahrschein¬ lich günstig 30,8 Prozent, kein Urteil gaben ab 13,6 Prozent, ungünstig ur¬ teilten 0,88 Prozent der Ärzte. Als nachteilige Folgen der Behandlung wurden angegeben: 1. Hautaus¬ schläge 548 mal ------ 8,2 Prozent, 2. Gelenkschmerzen 144mal ----- 2 Prozent, 3. Lähmungen 177mal ----- 2,2 Prozent, 4. Herzaffektionen 102 mal -----1,5 Pro¬ zent, 5. Eiweißharu 132 mal-------1,9 Prozent. Von den so erkrankten starben 18, und zwar 3 an zunehmendem Eiwei߬ harnen, 5 an Herzstörnngen und 3 an allgemeiner Schwäche, d. h. an Folgen der Diphtherie, die bei jeder Behandlungsart häufig sind, also dem Heilserum nicht zugeschrieben werden dürfen. Bei 1822 Kranken war der Kehlkopf befallen, doch wurde bei diesen der Kehlkopfschnitt nur 886 mal, d. h. in 43 Prozent notwendig. Bei den ursprünglich mit Rachendiphtherie behafteten Kranken stieg der Krankheits¬ prozeß nach Beginn der Serumbehandlung nur ein einziges mal zum Kehl¬ kopf herab. Diese Zahlen des gesamten Materials sind sehr günstig. Die Einzelberichte kommen bald zu einem sehr guten, bald zu einem schlechtern Ergebnis; so schwanken z. B. die Heilungsprozeute in den Krankenhäusern zwischen 50 und 100, in der Privatpraxis zwischen 79 und 100. Die ungünstigsten Zahlen für die Krankenhansbehandlung giebt Brom¬ berg: 50 Prozent; doch beträgt die der Statistik zu Grunde liegende Kranken- zisfer mir 2, sodaß sie als Einzelgröße uicht berücksichtigt werden darf, nament¬ lich wenn man bedenkt, daß in vielen Gegenden die Krankenhäuser nur als Zufluchtsstätten der Sterbenden benutzt werden. Ganz besonders geschieht dies bei der Diphtherie, aus Furcht vor der Operation des Kehlkopfschnitts. In der Privatpraxis betrug die Sterblichkeit in Bromberg bei 27 erkrankten Kindern nur 11,1 Prozent. Ähnlich liegen die Verhältnisse in Liegnitz mit 66 Prozent Heilungen bei 12 Kranken im Krankenhause und 91 Prozent Hei¬ lungen bei 175 Kranken in der Privatpraxis. Recht günstige Ergebnisse liefern Potsdam und Stralsund: dort betrug in den Krankenhäusern die Zahl der Genesenen bei 52 Kranken 86 Prozent, in der Privatpraxis bei 196 Kranken 95,5 Prozent; in Stralsund lauten dieselben Zahlen 91,4 Prozent bei 93 und 98,1 Prozent bei 52 Kranken. Verhältnismäßig ungünstig steht Berlin da: es hatte eine Genesungsziffer von 76,4 Prozent bei 605 Kranken in den Krankenhäusern; aus der Privatpraxis fehlen die Augciben. Ohne Zweifel können aus diesen Zahlen nur günstige Schlüsse über die neue Behandlungsmethode gezogen werden. Dennoch begnügt sich die Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/28>, abgerufen am 01.09.2024.