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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Freiwillige Flotteiisteuer

beißen wollte, der ihr in der Türkei vorgehalten wird. "Aktuell" ist das
Interesse Rußlands in Ostasien und in Indien, und hier wird ihm aus den
besten Gründen England nicht entgegen kommen.

Bange machen gilt nicht. Wenn einer der Bündnisse wegen Grund zur
Sorge hat, so ist es England, nicht Deutschland. Dies ist in der letzten Zeit
von den deutschen Blättern so oft gesagt worden, daß man eigentlich nicht
nötig hatte, es zu wiederholen. Aber vielleicht lohnt es sich, gerade dem
britischen Stolze gegenüber noch einmal an die Grüude zu erinnern, ans die
wir uns glücklicherweise beziehen können.

Die deutsche Diplomatie hat, Gott sei Dank, ihre Tradition, und noch ver¬
steht sie es, das Material zu handhaben, das ihr zur Verfügung steht. Um von
der bekannten alten Wahrheit zu schweigen, daß deutsche Interessen nirgends mit
den russischen zusammenstoßen, daß wir vorläufig überall ruhig zusehen können,
wo Nußland seinen Vorteil wahrnimmt, so "hängen" wir auf der andern Seite
mit Frankreich ernstlich nur an einer Stelle. Aber ist es denn notwendig, daß
gerade hier, wie man zu sagen pflegt, der Fuchs zum Loch herauskommen
muß? Fünfundzwanzig Jahre hat die deutsche Staatskunst den sow8 aus auf¬
recht erhalten, und mögen Franzosen darüber denken und sagen, was sie wollen,
es ist doch Thatsache, daß nur der Mäßigung der deutschen Politik die Re¬
publik jenseits des Rheins ihr Bestehen zu verdanken hat. Die Geschichte
dieser Politik wird erst noch geschrieben werden; wenn es aber geschehen ist,
dann wird man staunen, welchen Zwang sich die von Berlin aus geleitete
Diplomatie in weiser Voraussicht auferlegt hat. So etwas trägt seine Früchte,
und wenn es nur so viel wäre, daß sich die französische Regierung daran hat
gewöhnen müssen, die elsässisch-lothringische Frage in Europa uicht als den
Angelpunkt betrachtet zu sehen, an dem die Welt hängt. Straßburg und Metz
sind noch immer Nägel im Fleische der Franzosen, aber sie schmerzen weniger
als im Anfang, und es läßt sich auch über andre Dinge mit unsern Nachbarn
reden. Die Engländer haben selber mit dafür gesorgt, daß dem so ist, und
wenn, ohne sich selber im Lichte zu stehen, an vielen Punkten im Auslande
die deutsche Politik die französische unterstützen kaun, so ist das ein Vorteil,
den die englische nur mit den schwersten Opfern würde wieder einbringen
können. Aber nicht bloß in den überseeischen Beziehungen und den Kolonien
finden sich für Deutschland und Frankreich solche Punkte zur Annäherung, wie
sie England erst nach Wegräumung einer Welt von Selbstsucht für sich gewinnen
könnte, sonder" in Europa selbst braucht Deutschlands Staatskunst den Plänen
Frankreichs, wenn sie nur nicht gegen die Sicherheit seiner Verbündeten ge¬
richtet sind, nicht in der Weise im Wege zu stehen, daß sie eine Macht¬
ausdehnung des Nachbars schon an der Schwelle zurückweist. Im deutschen
Volke herrscht eine so hohe Achtung vor Verträgen, wie in keiner Nation,
aber wenn England ihre Heiligkeit so wenig schätzen wollte, daß es die Monroe-


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beißen wollte, der ihr in der Türkei vorgehalten wird. „Aktuell" ist das
Interesse Rußlands in Ostasien und in Indien, und hier wird ihm aus den
besten Gründen England nicht entgegen kommen.

Bange machen gilt nicht. Wenn einer der Bündnisse wegen Grund zur
Sorge hat, so ist es England, nicht Deutschland. Dies ist in der letzten Zeit
von den deutschen Blättern so oft gesagt worden, daß man eigentlich nicht
nötig hatte, es zu wiederholen. Aber vielleicht lohnt es sich, gerade dem
britischen Stolze gegenüber noch einmal an die Grüude zu erinnern, ans die
wir uns glücklicherweise beziehen können.

Die deutsche Diplomatie hat, Gott sei Dank, ihre Tradition, und noch ver¬
steht sie es, das Material zu handhaben, das ihr zur Verfügung steht. Um von
der bekannten alten Wahrheit zu schweigen, daß deutsche Interessen nirgends mit
den russischen zusammenstoßen, daß wir vorläufig überall ruhig zusehen können,
wo Nußland seinen Vorteil wahrnimmt, so „hängen" wir auf der andern Seite
mit Frankreich ernstlich nur an einer Stelle. Aber ist es denn notwendig, daß
gerade hier, wie man zu sagen pflegt, der Fuchs zum Loch herauskommen
muß? Fünfundzwanzig Jahre hat die deutsche Staatskunst den sow8 aus auf¬
recht erhalten, und mögen Franzosen darüber denken und sagen, was sie wollen,
es ist doch Thatsache, daß nur der Mäßigung der deutschen Politik die Re¬
publik jenseits des Rheins ihr Bestehen zu verdanken hat. Die Geschichte
dieser Politik wird erst noch geschrieben werden; wenn es aber geschehen ist,
dann wird man staunen, welchen Zwang sich die von Berlin aus geleitete
Diplomatie in weiser Voraussicht auferlegt hat. So etwas trägt seine Früchte,
und wenn es nur so viel wäre, daß sich die französische Regierung daran hat
gewöhnen müssen, die elsässisch-lothringische Frage in Europa uicht als den
Angelpunkt betrachtet zu sehen, an dem die Welt hängt. Straßburg und Metz
sind noch immer Nägel im Fleische der Franzosen, aber sie schmerzen weniger
als im Anfang, und es läßt sich auch über andre Dinge mit unsern Nachbarn
reden. Die Engländer haben selber mit dafür gesorgt, daß dem so ist, und
wenn, ohne sich selber im Lichte zu stehen, an vielen Punkten im Auslande
die deutsche Politik die französische unterstützen kaun, so ist das ein Vorteil,
den die englische nur mit den schwersten Opfern würde wieder einbringen
können. Aber nicht bloß in den überseeischen Beziehungen und den Kolonien
finden sich für Deutschland und Frankreich solche Punkte zur Annäherung, wie
sie England erst nach Wegräumung einer Welt von Selbstsucht für sich gewinnen
könnte, sonder» in Europa selbst braucht Deutschlands Staatskunst den Plänen
Frankreichs, wenn sie nur nicht gegen die Sicherheit seiner Verbündeten ge¬
richtet sind, nicht in der Weise im Wege zu stehen, daß sie eine Macht¬
ausdehnung des Nachbars schon an der Schwelle zurückweist. Im deutschen
Volke herrscht eine so hohe Achtung vor Verträgen, wie in keiner Nation,
aber wenn England ihre Heiligkeit so wenig schätzen wollte, daß es die Monroe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/269>, abgerufen am 27.11.2024.