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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Freiwillige Flottensteuer

Schopenhanerschen Sinne den Willen verneint, um abseits von dem Drängen
der Zeit einen Ruheplatz zum Sterben zu gewinnen, sondern die den Willen
werkthätig in den Dienst des Ganzen stellt, Thaten eines "aristokratischen Radi¬
kalismus," der, wenn es not thut, die Selbstsucht mit der Wurzel aus¬
reißt, und der das Herzblut strömen läßt, um den Boden des Vaterlands
damit zu düngen.

Die Geschichte, die keinen Augenblick lässig wird, den warnenden Finger
zu erheben, hat gerade vor unsrer letzten Festfeier dem deutschen Volke ein
deutliches Memento an die Wand geschrieben. Wesenlos zwar, aber doch in
klaren Umrissen huschte vor unsern Augen das Schreckgespenst eines Krieges
mit England vorüber. Mau halte mir nicht vor, daß ich zu schwarz sähe
oder gar bange sei. Wegen der Depesche unsers Kaisers wird John Bull
keinen Krieg mit uns beginnen. Wer mag wissen, wozu der Lärm in den
Zeitungen nötig war: vielleicht haben die politischen Macher an der Themse
die schöne Gelegenheit nur benutzen wollen, um der gepreßten Stimmung im
Volke, die wegen der vielen Demütigungen Englands in der letzten Zeit stickig
und muffig genug sein mag, uach einer Seite hin Luft zu verschaffen, wo
man zur Zeit noch ungestraft so viel drohen darf, wie man Lust hat. Frank¬
reich gegenüber mit dem Säbel zu rasseln oder Nußland mit der Orlogflagge
zu bedrohen, hütet man sich mit gutem Recht, aber dem zur See ohnmächtigen
Deutschland darf der englische Vetter ziemlich nahe vor der Nase die Faust
schütteln, ohne gleich das ärgste befürchten zu müssen.

Nein, die englische Dogge knurrt bloß und fletscht die Zähne; zum beißen
braucht es deshalb nicht zu kommen. Geradezu lächerlich war die Drohung
mit dem Anschluß an den Zweibnud, freilich auch beleidigend. Denn englische
Zeitungsschreiber müssen uns für verteufelt naiv in politischen Dingen halten,
wenn sie zu glauben wagten, denkende Deutsche, den" nur auf solche kommt
es an, mit ihrem Spuk gruseln zu macheu. Auf den ruhig zusehenden Mann
macht nur die Löwenhaut Eindruck, die um die wirklichen lebendigen Glieder
des starken Raubtiers gehüllt ist. Um Frankreich zu gewinnen, muß sich
England mit andern Zugeständnissen nahen, als in einer unbedeutenden Grcnz-
regulirung am Mekong liegt. Ja, wenn es Ägypten räumen wollte, dann
könnte man es erleben, daß die Trikolore neben der Flagge Großbritanniens
wehte. Aber wenn es England um der französischen Freundschaft willen wirk¬
lich über sich gewinnen könnte, sogar diesen Schnitt ins Fleisch nahe am Sitze
des Lebens zu machen, was würde es Nußland bieten können, um ohne Vor¬
behalt als dritter im Bunde willkommen zu sein? In Armenien könnte Eng¬
land Zugeständnisse machen, aber Nußland ist klug genug, nicht von schein¬
barer englischer Großmut zu nehmen, was ihm mit der Zeit von selbst in
den Schoß fallen muß. Die russische Diplomatie müßte nicht das sein, wofür
sie in aller Welt mit Recht gehalten wird, wenn sie sich in den Köder ver-


Freiwillige Flottensteuer

Schopenhanerschen Sinne den Willen verneint, um abseits von dem Drängen
der Zeit einen Ruheplatz zum Sterben zu gewinnen, sondern die den Willen
werkthätig in den Dienst des Ganzen stellt, Thaten eines „aristokratischen Radi¬
kalismus," der, wenn es not thut, die Selbstsucht mit der Wurzel aus¬
reißt, und der das Herzblut strömen läßt, um den Boden des Vaterlands
damit zu düngen.

Die Geschichte, die keinen Augenblick lässig wird, den warnenden Finger
zu erheben, hat gerade vor unsrer letzten Festfeier dem deutschen Volke ein
deutliches Memento an die Wand geschrieben. Wesenlos zwar, aber doch in
klaren Umrissen huschte vor unsern Augen das Schreckgespenst eines Krieges
mit England vorüber. Mau halte mir nicht vor, daß ich zu schwarz sähe
oder gar bange sei. Wegen der Depesche unsers Kaisers wird John Bull
keinen Krieg mit uns beginnen. Wer mag wissen, wozu der Lärm in den
Zeitungen nötig war: vielleicht haben die politischen Macher an der Themse
die schöne Gelegenheit nur benutzen wollen, um der gepreßten Stimmung im
Volke, die wegen der vielen Demütigungen Englands in der letzten Zeit stickig
und muffig genug sein mag, uach einer Seite hin Luft zu verschaffen, wo
man zur Zeit noch ungestraft so viel drohen darf, wie man Lust hat. Frank¬
reich gegenüber mit dem Säbel zu rasseln oder Nußland mit der Orlogflagge
zu bedrohen, hütet man sich mit gutem Recht, aber dem zur See ohnmächtigen
Deutschland darf der englische Vetter ziemlich nahe vor der Nase die Faust
schütteln, ohne gleich das ärgste befürchten zu müssen.

Nein, die englische Dogge knurrt bloß und fletscht die Zähne; zum beißen
braucht es deshalb nicht zu kommen. Geradezu lächerlich war die Drohung
mit dem Anschluß an den Zweibnud, freilich auch beleidigend. Denn englische
Zeitungsschreiber müssen uns für verteufelt naiv in politischen Dingen halten,
wenn sie zu glauben wagten, denkende Deutsche, den» nur auf solche kommt
es an, mit ihrem Spuk gruseln zu macheu. Auf den ruhig zusehenden Mann
macht nur die Löwenhaut Eindruck, die um die wirklichen lebendigen Glieder
des starken Raubtiers gehüllt ist. Um Frankreich zu gewinnen, muß sich
England mit andern Zugeständnissen nahen, als in einer unbedeutenden Grcnz-
regulirung am Mekong liegt. Ja, wenn es Ägypten räumen wollte, dann
könnte man es erleben, daß die Trikolore neben der Flagge Großbritanniens
wehte. Aber wenn es England um der französischen Freundschaft willen wirk¬
lich über sich gewinnen könnte, sogar diesen Schnitt ins Fleisch nahe am Sitze
des Lebens zu machen, was würde es Nußland bieten können, um ohne Vor¬
behalt als dritter im Bunde willkommen zu sein? In Armenien könnte Eng¬
land Zugeständnisse machen, aber Nußland ist klug genug, nicht von schein¬
barer englischer Großmut zu nehmen, was ihm mit der Zeit von selbst in
den Schoß fallen muß. Die russische Diplomatie müßte nicht das sein, wofür
sie in aller Welt mit Recht gehalten wird, wenn sie sich in den Köder ver-


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[0268] Freiwillige Flottensteuer Schopenhanerschen Sinne den Willen verneint, um abseits von dem Drängen der Zeit einen Ruheplatz zum Sterben zu gewinnen, sondern die den Willen werkthätig in den Dienst des Ganzen stellt, Thaten eines „aristokratischen Radi¬ kalismus," der, wenn es not thut, die Selbstsucht mit der Wurzel aus¬ reißt, und der das Herzblut strömen läßt, um den Boden des Vaterlands damit zu düngen. Die Geschichte, die keinen Augenblick lässig wird, den warnenden Finger zu erheben, hat gerade vor unsrer letzten Festfeier dem deutschen Volke ein deutliches Memento an die Wand geschrieben. Wesenlos zwar, aber doch in klaren Umrissen huschte vor unsern Augen das Schreckgespenst eines Krieges mit England vorüber. Mau halte mir nicht vor, daß ich zu schwarz sähe oder gar bange sei. Wegen der Depesche unsers Kaisers wird John Bull keinen Krieg mit uns beginnen. Wer mag wissen, wozu der Lärm in den Zeitungen nötig war: vielleicht haben die politischen Macher an der Themse die schöne Gelegenheit nur benutzen wollen, um der gepreßten Stimmung im Volke, die wegen der vielen Demütigungen Englands in der letzten Zeit stickig und muffig genug sein mag, uach einer Seite hin Luft zu verschaffen, wo man zur Zeit noch ungestraft so viel drohen darf, wie man Lust hat. Frank¬ reich gegenüber mit dem Säbel zu rasseln oder Nußland mit der Orlogflagge zu bedrohen, hütet man sich mit gutem Recht, aber dem zur See ohnmächtigen Deutschland darf der englische Vetter ziemlich nahe vor der Nase die Faust schütteln, ohne gleich das ärgste befürchten zu müssen. Nein, die englische Dogge knurrt bloß und fletscht die Zähne; zum beißen braucht es deshalb nicht zu kommen. Geradezu lächerlich war die Drohung mit dem Anschluß an den Zweibnud, freilich auch beleidigend. Denn englische Zeitungsschreiber müssen uns für verteufelt naiv in politischen Dingen halten, wenn sie zu glauben wagten, denkende Deutsche, den» nur auf solche kommt es an, mit ihrem Spuk gruseln zu macheu. Auf den ruhig zusehenden Mann macht nur die Löwenhaut Eindruck, die um die wirklichen lebendigen Glieder des starken Raubtiers gehüllt ist. Um Frankreich zu gewinnen, muß sich England mit andern Zugeständnissen nahen, als in einer unbedeutenden Grcnz- regulirung am Mekong liegt. Ja, wenn es Ägypten räumen wollte, dann könnte man es erleben, daß die Trikolore neben der Flagge Großbritanniens wehte. Aber wenn es England um der französischen Freundschaft willen wirk¬ lich über sich gewinnen könnte, sogar diesen Schnitt ins Fleisch nahe am Sitze des Lebens zu machen, was würde es Nußland bieten können, um ohne Vor¬ behalt als dritter im Bunde willkommen zu sein? In Armenien könnte Eng¬ land Zugeständnisse machen, aber Nußland ist klug genug, nicht von schein¬ barer englischer Großmut zu nehmen, was ihm mit der Zeit von selbst in den Schoß fallen muß. Die russische Diplomatie müßte nicht das sein, wofür sie in aller Welt mit Recht gehalten wird, wenn sie sich in den Köder ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/268>, abgerufen am 27.11.2024.