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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Weltpolitik

seine Pflicht als Oberhaupt der deutschen Nation erklärt, ihre Angehörigen
und ihre Güter überall zu schütze", wo sie auch sein mögen, und sie fester mit
dem Mutterlands zu verbinden, als es bisher der Fall gewesen ist. Das ist
deutsche Interessenpolitik der Gegenwart, nichts mehr und nichts weniger. Je
weiter deutsche Interessen reichen, desto weiter hat die deutsche Politik ihre
Kreise zu ziehen und ihre Aufgabe" zu erstrecken. Das ist ein ganz selbst¬
verständlicher Gedanke, und nichts ist neu daran, als der allerdings sehr wich¬
tige und erfreuliche Umstand, daß er an dieser Stelle offen ausgesprochen
worden ist. Gewiß, die Rede vom 18. Januar 1896 war eine Programm¬
rede, bei aller Kürze ebenbürtig der vom 18. Januar 1871; beide entsprechen
vollständig der Zeitlage. Die eine zeichnete die Aufgabe des eben geeinten
Deutschlands, das sich seine Stellung unter den Völkern Europas erst zu
sichern hatte und sie daran gewöhnen mußte, mit ihm, als mit einer waffen-
ftarken, aber keineswegs eroberungssüchtigen Macht zu rechnen. Die andre
betont, nachdem diese Aufgabe so glänzend gelöst ist, daß bei der Jubelfeier
der Reichsgründung selbst Russen und Franzosen das anerkannt habe", die Zeit
sei gekommen, wo Deutschland seine Stellung auch als außereuropäische Macht
einzunehmen habe. Dank dir, wackrer Jameson! Deinem Namen ist ein Platz
auch in der deutscheu Geschichte gesichert! Schon ist es sonnenklar, daß das
Unternehmen, eine der gemeinsten und ruchlosesten Spekulationen der britischen
Geschichte, von langer Hand vorbereitet war, und daß nicht die Chartered
Company und nicht Cecil Rhodes, sondern der handfeste, brutale Egoismus
des englischen Volkes dahinter gestanden hat und noch dahinter steht, denn die
Sache ist nicht beendet, sondern erst begonnen. Das beweisen die meisten eng¬
lischen Zeitungen, das die rührend offenherzigen Tischreden englischer Minister,
die nach dem hübschen Satze des wackern Jsolani: "Der Wein erfindet nichts,
er schwatzts nur ans," bei Tafel thatsächlich alles zugestehen, was sie amtlich
mit Entrüstung abgeleugnet haben. Überall in der Welt stoßen sehr reale
deutsche und englische Interessen aufeinander, und überall, wo es mit und ohne
Anstand geht, sucht uns der ehrliche John Bull den Wind aus den Segeln
zu nehmen. Und da nennen gewisse höchst "patriotische," höchst "staatserhal¬
tende," höchst "loyale" Leute die, die für eine deutsche Weltpolitik eintreten,
"Schwärmer" und warnen vor "Abenteuern"! Nun, auch das Strebe" nach
der deutsche" Einheit hat einmal als Schwärmerei gegolten und ist sogar
polizeilich und gerichtlich bestraft worden. Das ist nun leider mit der neuen
"Schwärmerei" für deutsche Weltpvlitik nicht gut möglich, dasür steht ihr erster
Vertreter zu hoch. Die sind nicht Schwärmer, die das notwendige erkenne"
und gethan wissen wolle", aber die sind kurzsichtige, kleimnütige Thore", die
das nicht erkennen. Sie dürfe" es nicht wagen, den sonst oft gering geschätzten
Italienern ins Auge zu sehen, die trotz ihrer knappen Mittel ein Heer und
eine Flotte ersten Ranges unterhalten, und die jetzt Bataillon auf Bataillon


Deutsche Weltpolitik

seine Pflicht als Oberhaupt der deutschen Nation erklärt, ihre Angehörigen
und ihre Güter überall zu schütze», wo sie auch sein mögen, und sie fester mit
dem Mutterlands zu verbinden, als es bisher der Fall gewesen ist. Das ist
deutsche Interessenpolitik der Gegenwart, nichts mehr und nichts weniger. Je
weiter deutsche Interessen reichen, desto weiter hat die deutsche Politik ihre
Kreise zu ziehen und ihre Aufgabe» zu erstrecken. Das ist ein ganz selbst¬
verständlicher Gedanke, und nichts ist neu daran, als der allerdings sehr wich¬
tige und erfreuliche Umstand, daß er an dieser Stelle offen ausgesprochen
worden ist. Gewiß, die Rede vom 18. Januar 1896 war eine Programm¬
rede, bei aller Kürze ebenbürtig der vom 18. Januar 1871; beide entsprechen
vollständig der Zeitlage. Die eine zeichnete die Aufgabe des eben geeinten
Deutschlands, das sich seine Stellung unter den Völkern Europas erst zu
sichern hatte und sie daran gewöhnen mußte, mit ihm, als mit einer waffen-
ftarken, aber keineswegs eroberungssüchtigen Macht zu rechnen. Die andre
betont, nachdem diese Aufgabe so glänzend gelöst ist, daß bei der Jubelfeier
der Reichsgründung selbst Russen und Franzosen das anerkannt habe», die Zeit
sei gekommen, wo Deutschland seine Stellung auch als außereuropäische Macht
einzunehmen habe. Dank dir, wackrer Jameson! Deinem Namen ist ein Platz
auch in der deutscheu Geschichte gesichert! Schon ist es sonnenklar, daß das
Unternehmen, eine der gemeinsten und ruchlosesten Spekulationen der britischen
Geschichte, von langer Hand vorbereitet war, und daß nicht die Chartered
Company und nicht Cecil Rhodes, sondern der handfeste, brutale Egoismus
des englischen Volkes dahinter gestanden hat und noch dahinter steht, denn die
Sache ist nicht beendet, sondern erst begonnen. Das beweisen die meisten eng¬
lischen Zeitungen, das die rührend offenherzigen Tischreden englischer Minister,
die nach dem hübschen Satze des wackern Jsolani: „Der Wein erfindet nichts,
er schwatzts nur ans," bei Tafel thatsächlich alles zugestehen, was sie amtlich
mit Entrüstung abgeleugnet haben. Überall in der Welt stoßen sehr reale
deutsche und englische Interessen aufeinander, und überall, wo es mit und ohne
Anstand geht, sucht uns der ehrliche John Bull den Wind aus den Segeln
zu nehmen. Und da nennen gewisse höchst „patriotische," höchst „staatserhal¬
tende," höchst „loyale" Leute die, die für eine deutsche Weltpolitik eintreten,
„Schwärmer" und warnen vor „Abenteuern"! Nun, auch das Strebe» nach
der deutsche» Einheit hat einmal als Schwärmerei gegolten und ist sogar
polizeilich und gerichtlich bestraft worden. Das ist nun leider mit der neuen
„Schwärmerei" für deutsche Weltpvlitik nicht gut möglich, dasür steht ihr erster
Vertreter zu hoch. Die sind nicht Schwärmer, die das notwendige erkenne»
und gethan wissen wolle», aber die sind kurzsichtige, kleimnütige Thore», die
das nicht erkennen. Sie dürfe« es nicht wagen, den sonst oft gering geschätzten
Italienern ins Auge zu sehen, die trotz ihrer knappen Mittel ein Heer und
eine Flotte ersten Ranges unterhalten, und die jetzt Bataillon auf Bataillon


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[0266] Deutsche Weltpolitik seine Pflicht als Oberhaupt der deutschen Nation erklärt, ihre Angehörigen und ihre Güter überall zu schütze», wo sie auch sein mögen, und sie fester mit dem Mutterlands zu verbinden, als es bisher der Fall gewesen ist. Das ist deutsche Interessenpolitik der Gegenwart, nichts mehr und nichts weniger. Je weiter deutsche Interessen reichen, desto weiter hat die deutsche Politik ihre Kreise zu ziehen und ihre Aufgabe» zu erstrecken. Das ist ein ganz selbst¬ verständlicher Gedanke, und nichts ist neu daran, als der allerdings sehr wich¬ tige und erfreuliche Umstand, daß er an dieser Stelle offen ausgesprochen worden ist. Gewiß, die Rede vom 18. Januar 1896 war eine Programm¬ rede, bei aller Kürze ebenbürtig der vom 18. Januar 1871; beide entsprechen vollständig der Zeitlage. Die eine zeichnete die Aufgabe des eben geeinten Deutschlands, das sich seine Stellung unter den Völkern Europas erst zu sichern hatte und sie daran gewöhnen mußte, mit ihm, als mit einer waffen- ftarken, aber keineswegs eroberungssüchtigen Macht zu rechnen. Die andre betont, nachdem diese Aufgabe so glänzend gelöst ist, daß bei der Jubelfeier der Reichsgründung selbst Russen und Franzosen das anerkannt habe», die Zeit sei gekommen, wo Deutschland seine Stellung auch als außereuropäische Macht einzunehmen habe. Dank dir, wackrer Jameson! Deinem Namen ist ein Platz auch in der deutscheu Geschichte gesichert! Schon ist es sonnenklar, daß das Unternehmen, eine der gemeinsten und ruchlosesten Spekulationen der britischen Geschichte, von langer Hand vorbereitet war, und daß nicht die Chartered Company und nicht Cecil Rhodes, sondern der handfeste, brutale Egoismus des englischen Volkes dahinter gestanden hat und noch dahinter steht, denn die Sache ist nicht beendet, sondern erst begonnen. Das beweisen die meisten eng¬ lischen Zeitungen, das die rührend offenherzigen Tischreden englischer Minister, die nach dem hübschen Satze des wackern Jsolani: „Der Wein erfindet nichts, er schwatzts nur ans," bei Tafel thatsächlich alles zugestehen, was sie amtlich mit Entrüstung abgeleugnet haben. Überall in der Welt stoßen sehr reale deutsche und englische Interessen aufeinander, und überall, wo es mit und ohne Anstand geht, sucht uns der ehrliche John Bull den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und da nennen gewisse höchst „patriotische," höchst „staatserhal¬ tende," höchst „loyale" Leute die, die für eine deutsche Weltpolitik eintreten, „Schwärmer" und warnen vor „Abenteuern"! Nun, auch das Strebe» nach der deutsche» Einheit hat einmal als Schwärmerei gegolten und ist sogar polizeilich und gerichtlich bestraft worden. Das ist nun leider mit der neuen „Schwärmerei" für deutsche Weltpvlitik nicht gut möglich, dasür steht ihr erster Vertreter zu hoch. Die sind nicht Schwärmer, die das notwendige erkenne» und gethan wissen wolle», aber die sind kurzsichtige, kleimnütige Thore», die das nicht erkennen. Sie dürfe« es nicht wagen, den sonst oft gering geschätzten Italienern ins Auge zu sehen, die trotz ihrer knappen Mittel ein Heer und eine Flotte ersten Ranges unterhalten, und die jetzt Bataillon auf Bataillon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/266>, abgerufen am 01.09.2024.