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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Aus deu Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

sich entschieden gegen diesen Vorschlag aus, der die Neutralität verletze und
die Unabhängigkeit des Landes bedrohe, und zu dem überdies die konzessionirte
Gesellschaft ihre Zustimmung geben müsse. Die Negierung setzte jedoch die
Verhandlungen in Berlin fort, fest entschlossen, nur äußerstenfalls nachzugeben.
Als aber die luxemburgischen Vertreter in Berlin eingetroffen waren, wurde
nicht der auf Delbrücks Wunsch in Luxemburg gefertigte Entwurf deu Verhand¬
lungen zu Grunde gelegt, sondern ein im auswärtigen Amte ausgearbeiteter
völlig verschiedner.

Um diesen neuen Schwierigkeiten zu begegnen, schlug Minister Servais
vor, einfach unter denselben Bedingungen abzuschließen, die Luxemburg mit
der Ostbahngesellschaft vereinbart hatte. Als auch dieser Vorschlag abgelehnt
wordeu war, beauftragte der Prinz-Statthalter Servais, in Berlin selbst
zu verhandeln. Dort bot sich Bleichröder zur Vermittlung an, zog sich
aber nach einer Zwiesprache mit Delbrück zurück. Servais erzählt, Delbrück
sei in den Verhandlungen von dem nachmaligen Staatssekretär in Elsaß-
Lothringen, Herzog, und von einem Rate des Neichskcmzleramts begleitet
gewesen, die aber nur in stummer Ehrfurcht den Worten Delbrücks ge¬
lauscht hätten, ohne sich an dem Meinungsaustausch zu beteiligen. Delbrück
habe das Verlangen, daß Deutschland die Bürgschaft übernehme, die Luxem¬
burg der Ostbahngesellschaft gewährt hatte, schroff zurückgewiesen, da doch
Luxemburg genötigt werde, entgegen den Vertragsbestimmungen den Betrieb
einem fremden Staate zu überlassen, und da das Land sich nicht den Gefahren
einer Entschädigungsklage aussetzen könne. Am 10. Juni -- nach fünfstündiger
erfolgloser Verhandlung -- habe Delbrück die Besprechung der Garantiefrage
heftig unterbrochen, die Akten auf den Tisch geworfen und ausgerufen: "Also
kein Zollverein, kein PostVertrag, kein Telegraphenvertrag!" worauf sich Servais
und Föhr ohne Verabschiedung aus dem Saale entfernt hätten; darauf habe
der belgische Gesandte Nothomb, zu dem sich die Ratlosen begeben hätten, die
Meinung geäußert, nach seinen Erfahrungen würde eine Vorstellung beim Reichs¬
kanzler erfolglos sein, Servais möge alle Gründe für Übernahme der Bürg¬
schaft noch einmal in einer Schlußnote eindringlich darstellen, um wiederholte
Erwägung bitten, schließlich aber den Verzicht auf die Bürgschaft in Aussicht
stellen; die Hauptsache sei eine unterwürfige Haltung. Der Rat wurde befolgt;
Föhr als xm'form unterzeichnete das Aktenstück und wurde schou am
andern Tage ins Neichskanzleramt berufen, wo er erfuhr, daß die Bürgschaft
angenommen worden sei. Daraus folgte dann die Unterzeichnung des Vertrags.

In dem Vertrage vom 11. Juni 1872 bewilligt die luxemburgische Re¬
gierung, daß die der Wilhelm-Lnxemburggesellschaft überwiesen?" Bahnstrecken
von der Verwaltung der Neichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen oder von einer
andern Reichsbehörde bis zum 31. Dezember 1912 verwaltet und betrieben
werden (K 1). Für die Dauer dieses Betriebes verzichten beide Teile auf das


Aus deu Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

sich entschieden gegen diesen Vorschlag aus, der die Neutralität verletze und
die Unabhängigkeit des Landes bedrohe, und zu dem überdies die konzessionirte
Gesellschaft ihre Zustimmung geben müsse. Die Negierung setzte jedoch die
Verhandlungen in Berlin fort, fest entschlossen, nur äußerstenfalls nachzugeben.
Als aber die luxemburgischen Vertreter in Berlin eingetroffen waren, wurde
nicht der auf Delbrücks Wunsch in Luxemburg gefertigte Entwurf deu Verhand¬
lungen zu Grunde gelegt, sondern ein im auswärtigen Amte ausgearbeiteter
völlig verschiedner.

Um diesen neuen Schwierigkeiten zu begegnen, schlug Minister Servais
vor, einfach unter denselben Bedingungen abzuschließen, die Luxemburg mit
der Ostbahngesellschaft vereinbart hatte. Als auch dieser Vorschlag abgelehnt
wordeu war, beauftragte der Prinz-Statthalter Servais, in Berlin selbst
zu verhandeln. Dort bot sich Bleichröder zur Vermittlung an, zog sich
aber nach einer Zwiesprache mit Delbrück zurück. Servais erzählt, Delbrück
sei in den Verhandlungen von dem nachmaligen Staatssekretär in Elsaß-
Lothringen, Herzog, und von einem Rate des Neichskcmzleramts begleitet
gewesen, die aber nur in stummer Ehrfurcht den Worten Delbrücks ge¬
lauscht hätten, ohne sich an dem Meinungsaustausch zu beteiligen. Delbrück
habe das Verlangen, daß Deutschland die Bürgschaft übernehme, die Luxem¬
burg der Ostbahngesellschaft gewährt hatte, schroff zurückgewiesen, da doch
Luxemburg genötigt werde, entgegen den Vertragsbestimmungen den Betrieb
einem fremden Staate zu überlassen, und da das Land sich nicht den Gefahren
einer Entschädigungsklage aussetzen könne. Am 10. Juni — nach fünfstündiger
erfolgloser Verhandlung — habe Delbrück die Besprechung der Garantiefrage
heftig unterbrochen, die Akten auf den Tisch geworfen und ausgerufen: „Also
kein Zollverein, kein PostVertrag, kein Telegraphenvertrag!" worauf sich Servais
und Föhr ohne Verabschiedung aus dem Saale entfernt hätten; darauf habe
der belgische Gesandte Nothomb, zu dem sich die Ratlosen begeben hätten, die
Meinung geäußert, nach seinen Erfahrungen würde eine Vorstellung beim Reichs¬
kanzler erfolglos sein, Servais möge alle Gründe für Übernahme der Bürg¬
schaft noch einmal in einer Schlußnote eindringlich darstellen, um wiederholte
Erwägung bitten, schließlich aber den Verzicht auf die Bürgschaft in Aussicht
stellen; die Hauptsache sei eine unterwürfige Haltung. Der Rat wurde befolgt;
Föhr als xm'form unterzeichnete das Aktenstück und wurde schou am
andern Tage ins Neichskanzleramt berufen, wo er erfuhr, daß die Bürgschaft
angenommen worden sei. Daraus folgte dann die Unterzeichnung des Vertrags.

In dem Vertrage vom 11. Juni 1872 bewilligt die luxemburgische Re¬
gierung, daß die der Wilhelm-Lnxemburggesellschaft überwiesen?» Bahnstrecken
von der Verwaltung der Neichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen oder von einer
andern Reichsbehörde bis zum 31. Dezember 1912 verwaltet und betrieben
werden (K 1). Für die Dauer dieses Betriebes verzichten beide Teile auf das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/243>, abgerufen am 01.09.2024.