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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Untergang der antiken Joell

secat: Raum zu schafft" für die Barbaren war der Zweck der geschichtliche"
Entwicklung der Kaiserzeit. We"n also nach den Ursachen des größten aller
weltgeschichtlichen Ereignisse gefragt wird, so kann es sich nur um die natür¬
lichen Mittel handeln, deren sich die Vorsehung zur Verwirklichung ihrer Absicht
bediente. Diese hat uun secat, wie aus scheint, richtig und vollständig an¬
gegeben. Nur hie und da Hütte vielleicht die Wirkungsweise der zersetzenden
Kräfte noch etwas! genauer angegeben werden können. So z. B. ist es zwar
richtig, daß Kultur an sich ein Volk nicht zu Grunde richtet, aber ebenso un¬
bestreitbar ist, daß das unter Umständen geschieht, und diese Umstände, die
secat ^ alle einzeln angegeben hat, hätten am Schluß noch einmal zusammen¬
gefaßt werden können. Der erste besteht darin, daß der Gedankenkreis, dessen
ein Volk, eine Gesellschaft fähig ist, durchlaufen ist, und daß keine Aufgaben
mehr vorliegen. Das war in Rom der Fall. Man hatte die Welt erobert,
man hatte die vollkommenste Rechtsordnung ausgediftelt, die nur den einen
Fehler hatte, daß sich niemand darin wohl fühlte, man hatte Ackerbau, Ge¬
werbe und Handels betrieben, man hatte alle Arten von Luxus, von geistigem
und Sinnengenuß kennen gelernt, man hatte gemalt, gemeißelt und gebaut,
mau hatte Verse gemacht und Theater gespielt, gesungen und getanzt, man
hatte bin Bau der Welt philosophisch durchforscht und gefunden, daß weiter
nichts dahinter stecke, und man hatte alle Religionen durchprobirt; mau war
also so weit, wie Faust in seinem ersten Monolog und wie unsre lin as sisolo-
Jünglinge. Es kann doch wohl eigentlich nicht Geistesträgheit genannt werden,
daß die alte Welt keine Fortschritte in der Technik gemacht hat. Männer wie
Augustin sind wahrhaftig nicht geistesträge gewesen, und doch ist anch aus
dem Kreise der Kirchenväter keiner aus die Technik verfallen, von deren Pflege
sich später die Klostermönche durch Frömmigkeit nicht haben abhalten lassen.
Es scheint vielmehr, daß.der Geist des Altertums durch seine ausschließlich
ästhetische, der Erforschung des Seelenlebens und der Ausbildung der Sprache
zugekehrte Richtung für, die, wissenschaftlich - empirische Erforschung der Natur
untauglich geworden sei; das ganze Altertum gleicht einem humanistischen Gym¬
nasium, dessen Lehrern und Schülern die Körperwelt, abgesehen von ihrer
ästhetischen Seite, verschlossen ist; erst die Barbaren haben den Sinn für die
Realien ins europäische Leben gebracht, wie es ja andre Barbaren, die Ägypter,
Babylonier und Phönizier gewesen waren, die der griechisch-römischen Welt
an Elementen der Astronomie, Mechanik und industriellen Chemie soviel ge¬
liefert hatten, als sie brauchte. Hätten sich die Römer in das Gebiet der
Realien hineingefunden, dann würden sie nicht allein neue Verteidigungsmittel
gegen die Barbaren, sondern überhaupt neue Lebensaufgaben, damit einen neuen
Lebensinhalt gewonnen haben und wieder lebensfähig geworden sein. Aber
das sollten sie eben nicht. >

Sodann muß die Kultur, wie es scheint, die Bvlkskraft zerstören, sobald


Der Untergang der antiken Joell

secat: Raum zu schafft» für die Barbaren war der Zweck der geschichtliche»
Entwicklung der Kaiserzeit. We»n also nach den Ursachen des größten aller
weltgeschichtlichen Ereignisse gefragt wird, so kann es sich nur um die natür¬
lichen Mittel handeln, deren sich die Vorsehung zur Verwirklichung ihrer Absicht
bediente. Diese hat uun secat, wie aus scheint, richtig und vollständig an¬
gegeben. Nur hie und da Hütte vielleicht die Wirkungsweise der zersetzenden
Kräfte noch etwas! genauer angegeben werden können. So z. B. ist es zwar
richtig, daß Kultur an sich ein Volk nicht zu Grunde richtet, aber ebenso un¬
bestreitbar ist, daß das unter Umständen geschieht, und diese Umstände, die
secat ^ alle einzeln angegeben hat, hätten am Schluß noch einmal zusammen¬
gefaßt werden können. Der erste besteht darin, daß der Gedankenkreis, dessen
ein Volk, eine Gesellschaft fähig ist, durchlaufen ist, und daß keine Aufgaben
mehr vorliegen. Das war in Rom der Fall. Man hatte die Welt erobert,
man hatte die vollkommenste Rechtsordnung ausgediftelt, die nur den einen
Fehler hatte, daß sich niemand darin wohl fühlte, man hatte Ackerbau, Ge¬
werbe und Handels betrieben, man hatte alle Arten von Luxus, von geistigem
und Sinnengenuß kennen gelernt, man hatte gemalt, gemeißelt und gebaut,
mau hatte Verse gemacht und Theater gespielt, gesungen und getanzt, man
hatte bin Bau der Welt philosophisch durchforscht und gefunden, daß weiter
nichts dahinter stecke, und man hatte alle Religionen durchprobirt; mau war
also so weit, wie Faust in seinem ersten Monolog und wie unsre lin as sisolo-
Jünglinge. Es kann doch wohl eigentlich nicht Geistesträgheit genannt werden,
daß die alte Welt keine Fortschritte in der Technik gemacht hat. Männer wie
Augustin sind wahrhaftig nicht geistesträge gewesen, und doch ist anch aus
dem Kreise der Kirchenväter keiner aus die Technik verfallen, von deren Pflege
sich später die Klostermönche durch Frömmigkeit nicht haben abhalten lassen.
Es scheint vielmehr, daß.der Geist des Altertums durch seine ausschließlich
ästhetische, der Erforschung des Seelenlebens und der Ausbildung der Sprache
zugekehrte Richtung für, die, wissenschaftlich - empirische Erforschung der Natur
untauglich geworden sei; das ganze Altertum gleicht einem humanistischen Gym¬
nasium, dessen Lehrern und Schülern die Körperwelt, abgesehen von ihrer
ästhetischen Seite, verschlossen ist; erst die Barbaren haben den Sinn für die
Realien ins europäische Leben gebracht, wie es ja andre Barbaren, die Ägypter,
Babylonier und Phönizier gewesen waren, die der griechisch-römischen Welt
an Elementen der Astronomie, Mechanik und industriellen Chemie soviel ge¬
liefert hatten, als sie brauchte. Hätten sich die Römer in das Gebiet der
Realien hineingefunden, dann würden sie nicht allein neue Verteidigungsmittel
gegen die Barbaren, sondern überhaupt neue Lebensaufgaben, damit einen neuen
Lebensinhalt gewonnen haben und wieder lebensfähig geworden sein. Aber
das sollten sie eben nicht. >

Sodann muß die Kultur, wie es scheint, die Bvlkskraft zerstören, sobald


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[0238] Der Untergang der antiken Joell secat: Raum zu schafft» für die Barbaren war der Zweck der geschichtliche» Entwicklung der Kaiserzeit. We»n also nach den Ursachen des größten aller weltgeschichtlichen Ereignisse gefragt wird, so kann es sich nur um die natür¬ lichen Mittel handeln, deren sich die Vorsehung zur Verwirklichung ihrer Absicht bediente. Diese hat uun secat, wie aus scheint, richtig und vollständig an¬ gegeben. Nur hie und da Hütte vielleicht die Wirkungsweise der zersetzenden Kräfte noch etwas! genauer angegeben werden können. So z. B. ist es zwar richtig, daß Kultur an sich ein Volk nicht zu Grunde richtet, aber ebenso un¬ bestreitbar ist, daß das unter Umständen geschieht, und diese Umstände, die secat ^ alle einzeln angegeben hat, hätten am Schluß noch einmal zusammen¬ gefaßt werden können. Der erste besteht darin, daß der Gedankenkreis, dessen ein Volk, eine Gesellschaft fähig ist, durchlaufen ist, und daß keine Aufgaben mehr vorliegen. Das war in Rom der Fall. Man hatte die Welt erobert, man hatte die vollkommenste Rechtsordnung ausgediftelt, die nur den einen Fehler hatte, daß sich niemand darin wohl fühlte, man hatte Ackerbau, Ge¬ werbe und Handels betrieben, man hatte alle Arten von Luxus, von geistigem und Sinnengenuß kennen gelernt, man hatte gemalt, gemeißelt und gebaut, mau hatte Verse gemacht und Theater gespielt, gesungen und getanzt, man hatte bin Bau der Welt philosophisch durchforscht und gefunden, daß weiter nichts dahinter stecke, und man hatte alle Religionen durchprobirt; mau war also so weit, wie Faust in seinem ersten Monolog und wie unsre lin as sisolo- Jünglinge. Es kann doch wohl eigentlich nicht Geistesträgheit genannt werden, daß die alte Welt keine Fortschritte in der Technik gemacht hat. Männer wie Augustin sind wahrhaftig nicht geistesträge gewesen, und doch ist anch aus dem Kreise der Kirchenväter keiner aus die Technik verfallen, von deren Pflege sich später die Klostermönche durch Frömmigkeit nicht haben abhalten lassen. Es scheint vielmehr, daß.der Geist des Altertums durch seine ausschließlich ästhetische, der Erforschung des Seelenlebens und der Ausbildung der Sprache zugekehrte Richtung für, die, wissenschaftlich - empirische Erforschung der Natur untauglich geworden sei; das ganze Altertum gleicht einem humanistischen Gym¬ nasium, dessen Lehrern und Schülern die Körperwelt, abgesehen von ihrer ästhetischen Seite, verschlossen ist; erst die Barbaren haben den Sinn für die Realien ins europäische Leben gebracht, wie es ja andre Barbaren, die Ägypter, Babylonier und Phönizier gewesen waren, die der griechisch-römischen Welt an Elementen der Astronomie, Mechanik und industriellen Chemie soviel ge¬ liefert hatten, als sie brauchte. Hätten sich die Römer in das Gebiet der Realien hineingefunden, dann würden sie nicht allein neue Verteidigungsmittel gegen die Barbaren, sondern überhaupt neue Lebensaufgaben, damit einen neuen Lebensinhalt gewonnen haben und wieder lebensfähig geworden sein. Aber das sollten sie eben nicht. > Sodann muß die Kultur, wie es scheint, die Bvlkskraft zerstören, sobald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/238>, abgerufen am 01.09.2024.