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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Untergang der antiken ZVelt

Widerspruch mit Friedländer hält secat des Plinius Klage über die verderb¬
liche Ausdehnung der Latifundien nicht für Übertreibung. Die Bauern wurden
zunächst durch die ewigen Kriege, namentlich durch die punischen, zu Grunde
gerichtet. (Die Wandlungen der römischen Heeresorganisation, namentlich die
Reformen des Marius, werden sehr eingehend behandelt. Früher wie später
trug auch das Kriegswesen zur Entartung bei, indem es gerade die tüchtigsten
Männer im zeugungskräftigsten Alter von der Ehe abhielt. Zwar lebten die
Legionare meistens mit Barbarenweiberu aus den ihren Standquartieren be¬
nachbarten Stämmen im Konkubinat, aber die daraus entsprossenen Bastarde
konnten einen regelmäßigen ehelichen Nachwuchs nicht ersetzen, denn wenn sogar
heute noch die Sterblichkeit der unehelichen Kinder weit höher ist als die der
ehelichen, wie hoch mußte sie damals sein, zumal da das Aussetzen unbequemer
Sprößlinge gesetzlich erlaubt und allgemein Sitte war! Immerhin haben eine
Zeit lang diese Bastarde eine sehr geschätzte Heeresergänznng gebildet.) Dazu
kam dann die billige Kvrneinfuhr aus den unterwvrfnen Provinzen und das
methodische Auslaufen der verarmten und verschuldeten Bauern durch Kapi¬
talisten. Für höchst verderblich hält secat eine Maßregel, die aus bäuerlichen
Vorurteil entsprang: den Senatoren und ihren Söhnen wurde der Seehandel
verboten, weil er für den höchsten Stand des Reiches unschicklich sei. "Dies
claudische Plebiscit vom Jahre 218 v. Chr. war das Todesurteil des kleinen
Grundbesitzes in Italien. Da das Leiden auf Zins, auch wenn er noch so
mäßig war, erst recht für schimpflich galt und eine große Industrie uicht existirte,
so blieb den Mitgliedern des Senats gar keine andre Möglichkeit, ihr Vermögen
nutzbringend anzulegen, als das Kaufen von Landgütern. Die Tribute der
ueuerworbnen Provinzen und die Erpressungen ihrer Statthalter führten immer
größere Summen nach Rom, und diese füllten vor allem den Säckel des herr¬
schenden Standes. Bald gab es keine Senatorenfamilie mehr, die nicht fürst¬
liche Reichtümer besessen hätte, und all dies.Kapital wollte in Grundbesitz
untergebracht sein." Wie es aber um die Fortpflanzung der Sklaven auf den
großen Gütern stand, ist schon gesagt worden. (Als man den Schaden zu
bemerken anfing, wurde es, wie Columella berichtet, Sitte, Sklavinnen, die
drei Kinder hatten, von der Arbeitspflicht zu entbinden und ihnen, wenn sie
noch mehr bekamen, die Freiheit zu schenken), und daß die freien Bauern von
dem Rechte der Kinderaussetzung desto fleißiger Gebrauch machten, je be¬
drängter ihre Lage wurde, versteht sich von selbst. Die wiederholt in Angriff
genommue innere Kolonisation aber hatte keinen nachhaltigen Erfolg, wohl
vorzugsweise aus dem Grunde, weil weder die unter dem städtischen Pöbel
verbummelten Nachkommen ehemaliger Bauern, noch die Veteranen besonders
geschickte und fleißige Landwirte abgegeben haben werden. Zu alledem kamen
noch verheerende Seuchen und die Neigung des gebildeten Römers, in der
Ehe nichts andres als eine lustige Pflicht gegen den Staat zu sehe".


Der Untergang der antiken ZVelt

Widerspruch mit Friedländer hält secat des Plinius Klage über die verderb¬
liche Ausdehnung der Latifundien nicht für Übertreibung. Die Bauern wurden
zunächst durch die ewigen Kriege, namentlich durch die punischen, zu Grunde
gerichtet. (Die Wandlungen der römischen Heeresorganisation, namentlich die
Reformen des Marius, werden sehr eingehend behandelt. Früher wie später
trug auch das Kriegswesen zur Entartung bei, indem es gerade die tüchtigsten
Männer im zeugungskräftigsten Alter von der Ehe abhielt. Zwar lebten die
Legionare meistens mit Barbarenweiberu aus den ihren Standquartieren be¬
nachbarten Stämmen im Konkubinat, aber die daraus entsprossenen Bastarde
konnten einen regelmäßigen ehelichen Nachwuchs nicht ersetzen, denn wenn sogar
heute noch die Sterblichkeit der unehelichen Kinder weit höher ist als die der
ehelichen, wie hoch mußte sie damals sein, zumal da das Aussetzen unbequemer
Sprößlinge gesetzlich erlaubt und allgemein Sitte war! Immerhin haben eine
Zeit lang diese Bastarde eine sehr geschätzte Heeresergänznng gebildet.) Dazu
kam dann die billige Kvrneinfuhr aus den unterwvrfnen Provinzen und das
methodische Auslaufen der verarmten und verschuldeten Bauern durch Kapi¬
talisten. Für höchst verderblich hält secat eine Maßregel, die aus bäuerlichen
Vorurteil entsprang: den Senatoren und ihren Söhnen wurde der Seehandel
verboten, weil er für den höchsten Stand des Reiches unschicklich sei. „Dies
claudische Plebiscit vom Jahre 218 v. Chr. war das Todesurteil des kleinen
Grundbesitzes in Italien. Da das Leiden auf Zins, auch wenn er noch so
mäßig war, erst recht für schimpflich galt und eine große Industrie uicht existirte,
so blieb den Mitgliedern des Senats gar keine andre Möglichkeit, ihr Vermögen
nutzbringend anzulegen, als das Kaufen von Landgütern. Die Tribute der
ueuerworbnen Provinzen und die Erpressungen ihrer Statthalter führten immer
größere Summen nach Rom, und diese füllten vor allem den Säckel des herr¬
schenden Standes. Bald gab es keine Senatorenfamilie mehr, die nicht fürst¬
liche Reichtümer besessen hätte, und all dies.Kapital wollte in Grundbesitz
untergebracht sein." Wie es aber um die Fortpflanzung der Sklaven auf den
großen Gütern stand, ist schon gesagt worden. (Als man den Schaden zu
bemerken anfing, wurde es, wie Columella berichtet, Sitte, Sklavinnen, die
drei Kinder hatten, von der Arbeitspflicht zu entbinden und ihnen, wenn sie
noch mehr bekamen, die Freiheit zu schenken), und daß die freien Bauern von
dem Rechte der Kinderaussetzung desto fleißiger Gebrauch machten, je be¬
drängter ihre Lage wurde, versteht sich von selbst. Die wiederholt in Angriff
genommue innere Kolonisation aber hatte keinen nachhaltigen Erfolg, wohl
vorzugsweise aus dem Grunde, weil weder die unter dem städtischen Pöbel
verbummelten Nachkommen ehemaliger Bauern, noch die Veteranen besonders
geschickte und fleißige Landwirte abgegeben haben werden. Zu alledem kamen
noch verheerende Seuchen und die Neigung des gebildeten Römers, in der
Ehe nichts andres als eine lustige Pflicht gegen den Staat zu sehe».


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[0236] Der Untergang der antiken ZVelt Widerspruch mit Friedländer hält secat des Plinius Klage über die verderb¬ liche Ausdehnung der Latifundien nicht für Übertreibung. Die Bauern wurden zunächst durch die ewigen Kriege, namentlich durch die punischen, zu Grunde gerichtet. (Die Wandlungen der römischen Heeresorganisation, namentlich die Reformen des Marius, werden sehr eingehend behandelt. Früher wie später trug auch das Kriegswesen zur Entartung bei, indem es gerade die tüchtigsten Männer im zeugungskräftigsten Alter von der Ehe abhielt. Zwar lebten die Legionare meistens mit Barbarenweiberu aus den ihren Standquartieren be¬ nachbarten Stämmen im Konkubinat, aber die daraus entsprossenen Bastarde konnten einen regelmäßigen ehelichen Nachwuchs nicht ersetzen, denn wenn sogar heute noch die Sterblichkeit der unehelichen Kinder weit höher ist als die der ehelichen, wie hoch mußte sie damals sein, zumal da das Aussetzen unbequemer Sprößlinge gesetzlich erlaubt und allgemein Sitte war! Immerhin haben eine Zeit lang diese Bastarde eine sehr geschätzte Heeresergänznng gebildet.) Dazu kam dann die billige Kvrneinfuhr aus den unterwvrfnen Provinzen und das methodische Auslaufen der verarmten und verschuldeten Bauern durch Kapi¬ talisten. Für höchst verderblich hält secat eine Maßregel, die aus bäuerlichen Vorurteil entsprang: den Senatoren und ihren Söhnen wurde der Seehandel verboten, weil er für den höchsten Stand des Reiches unschicklich sei. „Dies claudische Plebiscit vom Jahre 218 v. Chr. war das Todesurteil des kleinen Grundbesitzes in Italien. Da das Leiden auf Zins, auch wenn er noch so mäßig war, erst recht für schimpflich galt und eine große Industrie uicht existirte, so blieb den Mitgliedern des Senats gar keine andre Möglichkeit, ihr Vermögen nutzbringend anzulegen, als das Kaufen von Landgütern. Die Tribute der ueuerworbnen Provinzen und die Erpressungen ihrer Statthalter führten immer größere Summen nach Rom, und diese füllten vor allem den Säckel des herr¬ schenden Standes. Bald gab es keine Senatorenfamilie mehr, die nicht fürst¬ liche Reichtümer besessen hätte, und all dies.Kapital wollte in Grundbesitz untergebracht sein." Wie es aber um die Fortpflanzung der Sklaven auf den großen Gütern stand, ist schon gesagt worden. (Als man den Schaden zu bemerken anfing, wurde es, wie Columella berichtet, Sitte, Sklavinnen, die drei Kinder hatten, von der Arbeitspflicht zu entbinden und ihnen, wenn sie noch mehr bekamen, die Freiheit zu schenken), und daß die freien Bauern von dem Rechte der Kinderaussetzung desto fleißiger Gebrauch machten, je be¬ drängter ihre Lage wurde, versteht sich von selbst. Die wiederholt in Angriff genommue innere Kolonisation aber hatte keinen nachhaltigen Erfolg, wohl vorzugsweise aus dem Grunde, weil weder die unter dem städtischen Pöbel verbummelten Nachkommen ehemaliger Bauern, noch die Veteranen besonders geschickte und fleißige Landwirte abgegeben haben werden. Zu alledem kamen noch verheerende Seuchen und die Neigung des gebildeten Römers, in der Ehe nichts andres als eine lustige Pflicht gegen den Staat zu sehe».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/236>, abgerufen am 01.09.2024.