Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Untergang der antiken Welt

raktere endeten als Räuber. Talente wanderten nach Rom, um dort Karriere
zu machen, was sie aber, wie nun die Dinge lagen, bloß noch durch den Ver¬
zicht auf Charakter konnten. Das sittliche Ideal der noch übrigen edeln Ge¬
müter wurde die Askese, in der heidnische Theosophen, jüdische Essner und
später dann die Christen wetteiferten, sodaß also wiederum gerade die stärksten
Geister ohne Nachkommenschaft blieben, während sich das Gesindel fortpflanzte.
Von diesem Gesindel machten Sklaven und Freigelassene einen immer größern
Bestandteil aus, und auch die Sklavenschaft unterlag leider dem unglückliche"
Gesetz der Auslese des Schlechter"; denn gerade den tüchtigsten Sklaven, den
Ackerbauknechten, war die ordentliche Ehe meistens versagt -- nur der Villicus
mußte verheiratet sein--, während die zu allem Rechtschaffnen untauglichen
Luxussklaven Geld, Ehren und die Freiheit erlangten und natürlich auch in
die Ehe traten. Sogar das Amt des Villicus wurde zum Unglück für die
Landwirtschaft nicht selten einem Haarlrüusler, Tänzer oder ehemaligen Vuhl-
knaben übertragen. Übrigens bekennt sich secat <S. 294) zu der Ansicht, daß
das Los des Sklaven der antiken Welt durchschnittlich glücklicher gewesen sei
als das des modernen Arbeiters, winkte ihm doch die Freiheit, Vermögen und
zuweilen sogar ein hoher Rang. Aber freilich, nur der Schlaue und der Füg¬
same, der sich für empfangne Schläge bedankte, hatte glänzende Aussichten.
"Wenn einer Bevölkerung, die durch Ausrottung ihrer Besten ohnehin entnervt
ist, solche Elemente in ungezählten, immer sich erneuernden Mengen zuströmen,
so kann das Ergebnis nicht zweifelhaft sein. Die Eigenschaften, die das späteste
Altertum vor allen andern charakterisiren und endlich den Sturz des Römer-
reichs herbeiführten, waren Unselbständigkeit, Feigheit und Servilismus, mit
einem Worte Sklavensinn. Wie der Knecht vor seinem Herrn kriechen lernte,
um harten Strafen zu entgehen oder Gnade und Freilassung zu erbetteln, so
kroch der römische Senat vor dem Herrscher, so die Bürger der Provinzial-
stüdte vor ihren Prvtonsuln, so kroch endlich das ganze römische Reich vor
den starken Germanen." "Angeerbte Feigheit,") hat er schon um einer frühern
Stelle (S. 276) bemerkt, ist, wenn uns nicht alles täuscht, die beherrschende
Eigenschaft, aus der alle Erscheinungen, die für das sinkende Altertum charak¬
teristisch siud, hervorgehen." Eine dieser Eigenschaften war eine entsetzliche
Geistesträgheit. Vor etwa zwanzig Jahren hat ein Naturforscher -- wenn wir
uns recht erinnern Dubois-Reymond -- den Gedanken ausgesprochen, die
mangelhafte Technik sei an dem Zusammenbruch des Römerreichs schuld ge¬
wesen; hätte mau den Germanen mit Sprengstoffen entgegentreten können, so
wären sie niemals Sieger geblieben; wir Heutigen hätten von Barbaren nichts
zu fürchten. Darauf ist zu antworten, daß auch Barbaren die Anfertigung



*) Freiheit sieht leider da. Das Buch ist überhaupt nicht frei "on Druckfehlern. So
steht S. 197 Albion für Alboin, S. 493 Lehrwvrl für Lehnwort.
Der Untergang der antiken Welt

raktere endeten als Räuber. Talente wanderten nach Rom, um dort Karriere
zu machen, was sie aber, wie nun die Dinge lagen, bloß noch durch den Ver¬
zicht auf Charakter konnten. Das sittliche Ideal der noch übrigen edeln Ge¬
müter wurde die Askese, in der heidnische Theosophen, jüdische Essner und
später dann die Christen wetteiferten, sodaß also wiederum gerade die stärksten
Geister ohne Nachkommenschaft blieben, während sich das Gesindel fortpflanzte.
Von diesem Gesindel machten Sklaven und Freigelassene einen immer größern
Bestandteil aus, und auch die Sklavenschaft unterlag leider dem unglückliche»
Gesetz der Auslese des Schlechter«; denn gerade den tüchtigsten Sklaven, den
Ackerbauknechten, war die ordentliche Ehe meistens versagt — nur der Villicus
mußte verheiratet sein—, während die zu allem Rechtschaffnen untauglichen
Luxussklaven Geld, Ehren und die Freiheit erlangten und natürlich auch in
die Ehe traten. Sogar das Amt des Villicus wurde zum Unglück für die
Landwirtschaft nicht selten einem Haarlrüusler, Tänzer oder ehemaligen Vuhl-
knaben übertragen. Übrigens bekennt sich secat <S. 294) zu der Ansicht, daß
das Los des Sklaven der antiken Welt durchschnittlich glücklicher gewesen sei
als das des modernen Arbeiters, winkte ihm doch die Freiheit, Vermögen und
zuweilen sogar ein hoher Rang. Aber freilich, nur der Schlaue und der Füg¬
same, der sich für empfangne Schläge bedankte, hatte glänzende Aussichten.
„Wenn einer Bevölkerung, die durch Ausrottung ihrer Besten ohnehin entnervt
ist, solche Elemente in ungezählten, immer sich erneuernden Mengen zuströmen,
so kann das Ergebnis nicht zweifelhaft sein. Die Eigenschaften, die das späteste
Altertum vor allen andern charakterisiren und endlich den Sturz des Römer-
reichs herbeiführten, waren Unselbständigkeit, Feigheit und Servilismus, mit
einem Worte Sklavensinn. Wie der Knecht vor seinem Herrn kriechen lernte,
um harten Strafen zu entgehen oder Gnade und Freilassung zu erbetteln, so
kroch der römische Senat vor dem Herrscher, so die Bürger der Provinzial-
stüdte vor ihren Prvtonsuln, so kroch endlich das ganze römische Reich vor
den starken Germanen." „Angeerbte Feigheit,") hat er schon um einer frühern
Stelle (S. 276) bemerkt, ist, wenn uns nicht alles täuscht, die beherrschende
Eigenschaft, aus der alle Erscheinungen, die für das sinkende Altertum charak¬
teristisch siud, hervorgehen." Eine dieser Eigenschaften war eine entsetzliche
Geistesträgheit. Vor etwa zwanzig Jahren hat ein Naturforscher — wenn wir
uns recht erinnern Dubois-Reymond — den Gedanken ausgesprochen, die
mangelhafte Technik sei an dem Zusammenbruch des Römerreichs schuld ge¬
wesen; hätte mau den Germanen mit Sprengstoffen entgegentreten können, so
wären sie niemals Sieger geblieben; wir Heutigen hätten von Barbaren nichts
zu fürchten. Darauf ist zu antworten, daß auch Barbaren die Anfertigung



*) Freiheit sieht leider da. Das Buch ist überhaupt nicht frei »on Druckfehlern. So
steht S. 197 Albion für Alboin, S. 493 Lehrwvrl für Lehnwort.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221880"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Untergang der antiken Welt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_719" prev="#ID_718" next="#ID_720"> raktere endeten als Räuber. Talente wanderten nach Rom, um dort Karriere<lb/>
zu machen, was sie aber, wie nun die Dinge lagen, bloß noch durch den Ver¬<lb/>
zicht auf Charakter konnten. Das sittliche Ideal der noch übrigen edeln Ge¬<lb/>
müter wurde die Askese, in der heidnische Theosophen, jüdische Essner und<lb/>
später dann die Christen wetteiferten, sodaß also wiederum gerade die stärksten<lb/>
Geister ohne Nachkommenschaft blieben, während sich das Gesindel fortpflanzte.<lb/>
Von diesem Gesindel machten Sklaven und Freigelassene einen immer größern<lb/>
Bestandteil aus, und auch die Sklavenschaft unterlag leider dem unglückliche»<lb/>
Gesetz der Auslese des Schlechter«; denn gerade den tüchtigsten Sklaven, den<lb/>
Ackerbauknechten, war die ordentliche Ehe meistens versagt &#x2014; nur der Villicus<lb/>
mußte verheiratet sein&#x2014;, während die zu allem Rechtschaffnen untauglichen<lb/>
Luxussklaven Geld, Ehren und die Freiheit erlangten und natürlich auch in<lb/>
die Ehe traten. Sogar das Amt des Villicus wurde zum Unglück für die<lb/>
Landwirtschaft nicht selten einem Haarlrüusler, Tänzer oder ehemaligen Vuhl-<lb/>
knaben übertragen. Übrigens bekennt sich secat &lt;S. 294) zu der Ansicht, daß<lb/>
das Los des Sklaven der antiken Welt durchschnittlich glücklicher gewesen sei<lb/>
als das des modernen Arbeiters, winkte ihm doch die Freiheit, Vermögen und<lb/>
zuweilen sogar ein hoher Rang. Aber freilich, nur der Schlaue und der Füg¬<lb/>
same, der sich für empfangne Schläge bedankte, hatte glänzende Aussichten.<lb/>
&#x201E;Wenn einer Bevölkerung, die durch Ausrottung ihrer Besten ohnehin entnervt<lb/>
ist, solche Elemente in ungezählten, immer sich erneuernden Mengen zuströmen,<lb/>
so kann das Ergebnis nicht zweifelhaft sein. Die Eigenschaften, die das späteste<lb/>
Altertum vor allen andern charakterisiren und endlich den Sturz des Römer-<lb/>
reichs herbeiführten, waren Unselbständigkeit, Feigheit und Servilismus, mit<lb/>
einem Worte Sklavensinn. Wie der Knecht vor seinem Herrn kriechen lernte,<lb/>
um harten Strafen zu entgehen oder Gnade und Freilassung zu erbetteln, so<lb/>
kroch der römische Senat vor dem Herrscher, so die Bürger der Provinzial-<lb/>
stüdte vor ihren Prvtonsuln, so kroch endlich das ganze römische Reich vor<lb/>
den starken Germanen." &#x201E;Angeerbte Feigheit,") hat er schon um einer frühern<lb/>
Stelle (S. 276) bemerkt, ist, wenn uns nicht alles täuscht, die beherrschende<lb/>
Eigenschaft, aus der alle Erscheinungen, die für das sinkende Altertum charak¬<lb/>
teristisch siud, hervorgehen." Eine dieser Eigenschaften war eine entsetzliche<lb/>
Geistesträgheit. Vor etwa zwanzig Jahren hat ein Naturforscher &#x2014; wenn wir<lb/>
uns recht erinnern Dubois-Reymond &#x2014; den Gedanken ausgesprochen, die<lb/>
mangelhafte Technik sei an dem Zusammenbruch des Römerreichs schuld ge¬<lb/>
wesen; hätte mau den Germanen mit Sprengstoffen entgegentreten können, so<lb/>
wären sie niemals Sieger geblieben; wir Heutigen hätten von Barbaren nichts<lb/>
zu fürchten.  Darauf ist zu antworten, daß auch Barbaren die Anfertigung</p><lb/>
          <note xml:id="FID_32" place="foot"> *) Freiheit sieht leider da. Das Buch ist überhaupt nicht frei »on Druckfehlern. So<lb/>
steht S. 197 Albion für Alboin, S. 493 Lehrwvrl für Lehnwort.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0234] Der Untergang der antiken Welt raktere endeten als Räuber. Talente wanderten nach Rom, um dort Karriere zu machen, was sie aber, wie nun die Dinge lagen, bloß noch durch den Ver¬ zicht auf Charakter konnten. Das sittliche Ideal der noch übrigen edeln Ge¬ müter wurde die Askese, in der heidnische Theosophen, jüdische Essner und später dann die Christen wetteiferten, sodaß also wiederum gerade die stärksten Geister ohne Nachkommenschaft blieben, während sich das Gesindel fortpflanzte. Von diesem Gesindel machten Sklaven und Freigelassene einen immer größern Bestandteil aus, und auch die Sklavenschaft unterlag leider dem unglückliche» Gesetz der Auslese des Schlechter«; denn gerade den tüchtigsten Sklaven, den Ackerbauknechten, war die ordentliche Ehe meistens versagt — nur der Villicus mußte verheiratet sein—, während die zu allem Rechtschaffnen untauglichen Luxussklaven Geld, Ehren und die Freiheit erlangten und natürlich auch in die Ehe traten. Sogar das Amt des Villicus wurde zum Unglück für die Landwirtschaft nicht selten einem Haarlrüusler, Tänzer oder ehemaligen Vuhl- knaben übertragen. Übrigens bekennt sich secat <S. 294) zu der Ansicht, daß das Los des Sklaven der antiken Welt durchschnittlich glücklicher gewesen sei als das des modernen Arbeiters, winkte ihm doch die Freiheit, Vermögen und zuweilen sogar ein hoher Rang. Aber freilich, nur der Schlaue und der Füg¬ same, der sich für empfangne Schläge bedankte, hatte glänzende Aussichten. „Wenn einer Bevölkerung, die durch Ausrottung ihrer Besten ohnehin entnervt ist, solche Elemente in ungezählten, immer sich erneuernden Mengen zuströmen, so kann das Ergebnis nicht zweifelhaft sein. Die Eigenschaften, die das späteste Altertum vor allen andern charakterisiren und endlich den Sturz des Römer- reichs herbeiführten, waren Unselbständigkeit, Feigheit und Servilismus, mit einem Worte Sklavensinn. Wie der Knecht vor seinem Herrn kriechen lernte, um harten Strafen zu entgehen oder Gnade und Freilassung zu erbetteln, so kroch der römische Senat vor dem Herrscher, so die Bürger der Provinzial- stüdte vor ihren Prvtonsuln, so kroch endlich das ganze römische Reich vor den starken Germanen." „Angeerbte Feigheit,") hat er schon um einer frühern Stelle (S. 276) bemerkt, ist, wenn uns nicht alles täuscht, die beherrschende Eigenschaft, aus der alle Erscheinungen, die für das sinkende Altertum charak¬ teristisch siud, hervorgehen." Eine dieser Eigenschaften war eine entsetzliche Geistesträgheit. Vor etwa zwanzig Jahren hat ein Naturforscher — wenn wir uns recht erinnern Dubois-Reymond — den Gedanken ausgesprochen, die mangelhafte Technik sei an dem Zusammenbruch des Römerreichs schuld ge¬ wesen; hätte mau den Germanen mit Sprengstoffen entgegentreten können, so wären sie niemals Sieger geblieben; wir Heutigen hätten von Barbaren nichts zu fürchten. Darauf ist zu antworten, daß auch Barbaren die Anfertigung *) Freiheit sieht leider da. Das Buch ist überhaupt nicht frei »on Druckfehlern. So steht S. 197 Albion für Alboin, S. 493 Lehrwvrl für Lehnwort.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/234
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/234>, abgerufen am 01.09.2024.