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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Untergang der antiken Welt

glücklichen Darstellern, ti'e den Mumien trockner Qucllenberichte Leben ein¬
zuhauchen verstehen und uns die Schatte" der Vergangenheit in frischer
Körperlichkeit vorfuhren. Wie köstlich und unzweifelhaft naturgetreu schildert
er das urwüchsige Barbarenlebeu unsrer germanischen Vorfahren! Die Ein¬
teilung des Werkes, dessen Plan wir ja erst nach seiner Vollendung werden
übersehen können, überrascht einigermaßen. Im ersten Buche werdeu nämlich
die Anfänge Konstantins des Großen behandelt, und das zweite stellt dann
den Verfall der antiken Welt in sechs Kapiteln dar (die Germanen, das
römische Heer, die Ausrottung der Besten, Sklaven und Klienten, die Ent¬
völkerung des Reichs, die Barbaren im Reich), wobei natürlich vielfach anf
die Zeiten der Republik zurückgegangen werden muß. Konstantin, den man
schlecht zu macheu pflegt, seitdem das Christentum bei den Gelehrten in Mi߬
kredit gekommen ist, wird ungemein hochgestellt. Wir führen aus seiner
Charakteristik zu Nutz und Frommen der Gegenwart nur zwei Stellen an.
Nichts, heißt es S. 49, habe ihm ferner gelegen, als die mißtrauische Furcht
des Thrannen. "Es giebt dafür keinen bessern Beweis, als daß er alle An¬
geberei, namentlich die anordne, mit deu härtesten Strafen belegte und sogar
die gesetzliche Anklage auf Majestätsverbrechen, die sich nicht wohl verbieten
ließ, durch sehr wirksame Abschreckungsmittel zu hindern suchte." Und S. 132:
"Gleich nach seinem Einzuge jm Rvmj hatte sich der Kaiser von Angebern
umdrängt gesehen; selbst der Senat forderte gegen einige Kreaturen des
Maxentius, unter deren Willkür er besonders schwer gelitten hatte, Recht und
Gericht. Aber Konstantin war entschlossen, die Diener, die den Befehlen ihres
Herrn, wenn anch mit verbrecherischen Übereifer, gehorcht hatten, nicht dafür
büßen zu lasse"." Näher wolle" mir auf Seecks Charakteristik der Auguste
und Ccisaren jener merkwürdigen Epoche nicht eingehen, weil wir es nur auf
deu Hauptgegenstand des Buches abgesehen haben.

Wir haben mehrere Rezensionen gelesen, in denen Seecks Ansicht von den
Ursachen des Verfalls des römischen Reichs als eine Wunderlichkeit abgethan
wird. Die Rezensenten scheinen bloß die Seite 263, aber nicht die voran¬
gehende" und nachfolgenden Erklärungen und Begründungen gelesen zu haben.
"In vielen^ Gegenden Deutschlands, heißt es da, Pflegt der Bauer, wen"
er zu arm ist, sich das teure Saatkorn zu kaufen, in folgender Weise die Aus¬
saat des nächsten Jahres vorzubereiten. Er läßt kurz vor der Ernte seine
Kinder am Felde entlang gehen und die Ähren abpflücken, die sich durch Höhe,
Fülle und Gewicht vor den andern auszeichnen. Diese werden dann gesondert
ausgedrvschen und ihr Korn im kommenden Frühling für die Saat benutzt.
Wenn auf diese Art eine fortschreitende Veredlung des Getreides erzielt oder
doch seiner Entartung vorgebeugt wird, so würde natürlich das Gegenteil ein¬
treten, wenn man die letzten Ähren immer vernichtete und nur ans den schlech¬
testen Nachwuchs zöge." Hierauf wird die bekannte Geschichte erzählt, wie


Der Untergang der antiken Welt

glücklichen Darstellern, ti'e den Mumien trockner Qucllenberichte Leben ein¬
zuhauchen verstehen und uns die Schatte» der Vergangenheit in frischer
Körperlichkeit vorfuhren. Wie köstlich und unzweifelhaft naturgetreu schildert
er das urwüchsige Barbarenlebeu unsrer germanischen Vorfahren! Die Ein¬
teilung des Werkes, dessen Plan wir ja erst nach seiner Vollendung werden
übersehen können, überrascht einigermaßen. Im ersten Buche werdeu nämlich
die Anfänge Konstantins des Großen behandelt, und das zweite stellt dann
den Verfall der antiken Welt in sechs Kapiteln dar (die Germanen, das
römische Heer, die Ausrottung der Besten, Sklaven und Klienten, die Ent¬
völkerung des Reichs, die Barbaren im Reich), wobei natürlich vielfach anf
die Zeiten der Republik zurückgegangen werden muß. Konstantin, den man
schlecht zu macheu pflegt, seitdem das Christentum bei den Gelehrten in Mi߬
kredit gekommen ist, wird ungemein hochgestellt. Wir führen aus seiner
Charakteristik zu Nutz und Frommen der Gegenwart nur zwei Stellen an.
Nichts, heißt es S. 49, habe ihm ferner gelegen, als die mißtrauische Furcht
des Thrannen. „Es giebt dafür keinen bessern Beweis, als daß er alle An¬
geberei, namentlich die anordne, mit deu härtesten Strafen belegte und sogar
die gesetzliche Anklage auf Majestätsverbrechen, die sich nicht wohl verbieten
ließ, durch sehr wirksame Abschreckungsmittel zu hindern suchte." Und S. 132:
„Gleich nach seinem Einzuge jm Rvmj hatte sich der Kaiser von Angebern
umdrängt gesehen; selbst der Senat forderte gegen einige Kreaturen des
Maxentius, unter deren Willkür er besonders schwer gelitten hatte, Recht und
Gericht. Aber Konstantin war entschlossen, die Diener, die den Befehlen ihres
Herrn, wenn anch mit verbrecherischen Übereifer, gehorcht hatten, nicht dafür
büßen zu lasse»." Näher wolle» mir auf Seecks Charakteristik der Auguste
und Ccisaren jener merkwürdigen Epoche nicht eingehen, weil wir es nur auf
deu Hauptgegenstand des Buches abgesehen haben.

Wir haben mehrere Rezensionen gelesen, in denen Seecks Ansicht von den
Ursachen des Verfalls des römischen Reichs als eine Wunderlichkeit abgethan
wird. Die Rezensenten scheinen bloß die Seite 263, aber nicht die voran¬
gehende» und nachfolgenden Erklärungen und Begründungen gelesen zu haben.
„In vielen^ Gegenden Deutschlands, heißt es da, Pflegt der Bauer, wen»
er zu arm ist, sich das teure Saatkorn zu kaufen, in folgender Weise die Aus¬
saat des nächsten Jahres vorzubereiten. Er läßt kurz vor der Ernte seine
Kinder am Felde entlang gehen und die Ähren abpflücken, die sich durch Höhe,
Fülle und Gewicht vor den andern auszeichnen. Diese werden dann gesondert
ausgedrvschen und ihr Korn im kommenden Frühling für die Saat benutzt.
Wenn auf diese Art eine fortschreitende Veredlung des Getreides erzielt oder
doch seiner Entartung vorgebeugt wird, so würde natürlich das Gegenteil ein¬
treten, wenn man die letzten Ähren immer vernichtete und nur ans den schlech¬
testen Nachwuchs zöge." Hierauf wird die bekannte Geschichte erzählt, wie


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[0232] Der Untergang der antiken Welt glücklichen Darstellern, ti'e den Mumien trockner Qucllenberichte Leben ein¬ zuhauchen verstehen und uns die Schatte» der Vergangenheit in frischer Körperlichkeit vorfuhren. Wie köstlich und unzweifelhaft naturgetreu schildert er das urwüchsige Barbarenlebeu unsrer germanischen Vorfahren! Die Ein¬ teilung des Werkes, dessen Plan wir ja erst nach seiner Vollendung werden übersehen können, überrascht einigermaßen. Im ersten Buche werdeu nämlich die Anfänge Konstantins des Großen behandelt, und das zweite stellt dann den Verfall der antiken Welt in sechs Kapiteln dar (die Germanen, das römische Heer, die Ausrottung der Besten, Sklaven und Klienten, die Ent¬ völkerung des Reichs, die Barbaren im Reich), wobei natürlich vielfach anf die Zeiten der Republik zurückgegangen werden muß. Konstantin, den man schlecht zu macheu pflegt, seitdem das Christentum bei den Gelehrten in Mi߬ kredit gekommen ist, wird ungemein hochgestellt. Wir führen aus seiner Charakteristik zu Nutz und Frommen der Gegenwart nur zwei Stellen an. Nichts, heißt es S. 49, habe ihm ferner gelegen, als die mißtrauische Furcht des Thrannen. „Es giebt dafür keinen bessern Beweis, als daß er alle An¬ geberei, namentlich die anordne, mit deu härtesten Strafen belegte und sogar die gesetzliche Anklage auf Majestätsverbrechen, die sich nicht wohl verbieten ließ, durch sehr wirksame Abschreckungsmittel zu hindern suchte." Und S. 132: „Gleich nach seinem Einzuge jm Rvmj hatte sich der Kaiser von Angebern umdrängt gesehen; selbst der Senat forderte gegen einige Kreaturen des Maxentius, unter deren Willkür er besonders schwer gelitten hatte, Recht und Gericht. Aber Konstantin war entschlossen, die Diener, die den Befehlen ihres Herrn, wenn anch mit verbrecherischen Übereifer, gehorcht hatten, nicht dafür büßen zu lasse»." Näher wolle» mir auf Seecks Charakteristik der Auguste und Ccisaren jener merkwürdigen Epoche nicht eingehen, weil wir es nur auf deu Hauptgegenstand des Buches abgesehen haben. Wir haben mehrere Rezensionen gelesen, in denen Seecks Ansicht von den Ursachen des Verfalls des römischen Reichs als eine Wunderlichkeit abgethan wird. Die Rezensenten scheinen bloß die Seite 263, aber nicht die voran¬ gehende» und nachfolgenden Erklärungen und Begründungen gelesen zu haben. „In vielen^ Gegenden Deutschlands, heißt es da, Pflegt der Bauer, wen» er zu arm ist, sich das teure Saatkorn zu kaufen, in folgender Weise die Aus¬ saat des nächsten Jahres vorzubereiten. Er läßt kurz vor der Ernte seine Kinder am Felde entlang gehen und die Ähren abpflücken, die sich durch Höhe, Fülle und Gewicht vor den andern auszeichnen. Diese werden dann gesondert ausgedrvschen und ihr Korn im kommenden Frühling für die Saat benutzt. Wenn auf diese Art eine fortschreitende Veredlung des Getreides erzielt oder doch seiner Entartung vorgebeugt wird, so würde natürlich das Gegenteil ein¬ treten, wenn man die letzten Ähren immer vernichtete und nur ans den schlech¬ testen Nachwuchs zöge." Hierauf wird die bekannte Geschichte erzählt, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/232>, abgerufen am 25.11.2024.