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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Zur Hilfslehrerfrage i" Preußen

unter den Bedarf gesunken wäre, und selbst in diesem Falle könnten normale
Verhältnisse erst nach Jahren eintreten, da ja von 1894 an selbst ohne das
Hinzutreten neuer Kandidaten der Bedarf auf annähernd acht Jahre gedeckt
ist. In Wirklichkeit hat nur die Überproduktion nachgelassen, aber schon jetzt
macht sich, wie der Minister bemerkt, wieder ein stärkerer Andrang zum
Lehrerberufe bemerkbar. Der akute Zustand wird also chronisch.

Fassen wir noch einmal die wichtigsten von den Forderungen zusammen,
die wir für berechtigt halten, und deren Erfüllung das bestehende Elend größten¬
teils beseitigen würde, so sind es folgende: 1. Die etatsmäßigen Hilfslehrcr-
stellen, die sich als dauernde, durch das Unterrichtsbcdürfnis begründete Stellen
erwiesen haben, sind in Oberlehrerstelleu umzuwandeln. 2. Die von der
Dezemberkonferenz festgesetzte höchste Schülerzahl und höchste Stundenzahl darf
nicht überschritten werden. 3. Der wissenschaftliche Unterricht an höhern Lehr¬
anstalten ist nur von akademisch gebildeten Lehrern zu erteilen. 4. Die Kan¬
didaten werden bei Beginn des Seminarjahrs vereidigt. 5. Die vollbeschäf¬
tigten wissenschaftlichen Hilfslehrer beziehen den Gehalt der untersten Gehalts¬
stufe (2100 Mark). 6. Die Jahre, wo ein Hilfslehrer im öffentlichen Schul¬
dienst thätig war oder dem Provinzialschulkvllegium zur Verfügung stand, sind
für das Dicnstcilter und den Ruhegehalt in Anrechnung zu bringen. 7. Die
Anciennität der Hilfslehrer wird für die ganze Monarchie geregelt.

Das Haupthemmnis für die Gewährung dieser Forderungen liegt beim
Finanzminister. In seiner Etatrede sagte er: Wenn die Neigung, lokale und
Klassenvvrteile auf Kosten der Gesamtheit zu erreichen, mit Erfolg bekämpft
wird, dann zweifle ich nicht, daß wir demnächst wieder das Gleichgewicht
zwischen Einnahmen und Ausgaben herstellen werden. Wir fragen: Verlangt
es das Wohl der Gesamtheit, daß man eine einzelne Klasse den andern gegen¬
über aufs schwerste benachteiligt? Und doch handelt es sich hier im Ver¬
hältnis zu andern Ausgaben des Staats nur um eine geringfügige Summe;
4 bis 500000 Mark würden ausreichen, alle Wünsche zu befriedige". "Für
die Schule, wo es sich um die edelsten Güter der Nation handelt, darf die
finanzielle Seite allein überhaupt nicht ausschlaggebend sein," so erklärte be¬
reits ein Mitglied der Dezemberkonferenz, und ähnlich äußerte sich der konser¬
vative Abgeordnete Graf Moltke: "Das Sparsystem sollte am allerwenigsten
auf dem Gebiet der Unterrichtsverwaltung Geltung haben." Kämen nur die
Hilfslehrer in Betracht, es wäre, wenn nicht verzeihlich, doch vielleicht begreif¬
lich, daß die Regierung bei ungünstiger Finanzlage über deren Forderungen
zur Tagesordnung überginge; aber die Finanzlage ist günstiger, als man er¬
wartet hatte, und es handelt sich hier um schwere Gefahren für die Schule
und den Staat, Gefahren, die man nicht darum leugnen sollte, weil ihre Wir¬
kung nicht sofort jedem vor die Angen tritt. Wem die schaffensfreudigsten
Jahre des Lebens in unfreiwilliger Unthätigkeit, in Enttäuschungen und un-


Zur Hilfslehrerfrage i» Preußen

unter den Bedarf gesunken wäre, und selbst in diesem Falle könnten normale
Verhältnisse erst nach Jahren eintreten, da ja von 1894 an selbst ohne das
Hinzutreten neuer Kandidaten der Bedarf auf annähernd acht Jahre gedeckt
ist. In Wirklichkeit hat nur die Überproduktion nachgelassen, aber schon jetzt
macht sich, wie der Minister bemerkt, wieder ein stärkerer Andrang zum
Lehrerberufe bemerkbar. Der akute Zustand wird also chronisch.

Fassen wir noch einmal die wichtigsten von den Forderungen zusammen,
die wir für berechtigt halten, und deren Erfüllung das bestehende Elend größten¬
teils beseitigen würde, so sind es folgende: 1. Die etatsmäßigen Hilfslehrcr-
stellen, die sich als dauernde, durch das Unterrichtsbcdürfnis begründete Stellen
erwiesen haben, sind in Oberlehrerstelleu umzuwandeln. 2. Die von der
Dezemberkonferenz festgesetzte höchste Schülerzahl und höchste Stundenzahl darf
nicht überschritten werden. 3. Der wissenschaftliche Unterricht an höhern Lehr¬
anstalten ist nur von akademisch gebildeten Lehrern zu erteilen. 4. Die Kan¬
didaten werden bei Beginn des Seminarjahrs vereidigt. 5. Die vollbeschäf¬
tigten wissenschaftlichen Hilfslehrer beziehen den Gehalt der untersten Gehalts¬
stufe (2100 Mark). 6. Die Jahre, wo ein Hilfslehrer im öffentlichen Schul¬
dienst thätig war oder dem Provinzialschulkvllegium zur Verfügung stand, sind
für das Dicnstcilter und den Ruhegehalt in Anrechnung zu bringen. 7. Die
Anciennität der Hilfslehrer wird für die ganze Monarchie geregelt.

Das Haupthemmnis für die Gewährung dieser Forderungen liegt beim
Finanzminister. In seiner Etatrede sagte er: Wenn die Neigung, lokale und
Klassenvvrteile auf Kosten der Gesamtheit zu erreichen, mit Erfolg bekämpft
wird, dann zweifle ich nicht, daß wir demnächst wieder das Gleichgewicht
zwischen Einnahmen und Ausgaben herstellen werden. Wir fragen: Verlangt
es das Wohl der Gesamtheit, daß man eine einzelne Klasse den andern gegen¬
über aufs schwerste benachteiligt? Und doch handelt es sich hier im Ver¬
hältnis zu andern Ausgaben des Staats nur um eine geringfügige Summe;
4 bis 500000 Mark würden ausreichen, alle Wünsche zu befriedige». „Für
die Schule, wo es sich um die edelsten Güter der Nation handelt, darf die
finanzielle Seite allein überhaupt nicht ausschlaggebend sein," so erklärte be¬
reits ein Mitglied der Dezemberkonferenz, und ähnlich äußerte sich der konser¬
vative Abgeordnete Graf Moltke: „Das Sparsystem sollte am allerwenigsten
auf dem Gebiet der Unterrichtsverwaltung Geltung haben." Kämen nur die
Hilfslehrer in Betracht, es wäre, wenn nicht verzeihlich, doch vielleicht begreif¬
lich, daß die Regierung bei ungünstiger Finanzlage über deren Forderungen
zur Tagesordnung überginge; aber die Finanzlage ist günstiger, als man er¬
wartet hatte, und es handelt sich hier um schwere Gefahren für die Schule
und den Staat, Gefahren, die man nicht darum leugnen sollte, weil ihre Wir¬
kung nicht sofort jedem vor die Angen tritt. Wem die schaffensfreudigsten
Jahre des Lebens in unfreiwilliger Unthätigkeit, in Enttäuschungen und un-


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[0230] Zur Hilfslehrerfrage i» Preußen unter den Bedarf gesunken wäre, und selbst in diesem Falle könnten normale Verhältnisse erst nach Jahren eintreten, da ja von 1894 an selbst ohne das Hinzutreten neuer Kandidaten der Bedarf auf annähernd acht Jahre gedeckt ist. In Wirklichkeit hat nur die Überproduktion nachgelassen, aber schon jetzt macht sich, wie der Minister bemerkt, wieder ein stärkerer Andrang zum Lehrerberufe bemerkbar. Der akute Zustand wird also chronisch. Fassen wir noch einmal die wichtigsten von den Forderungen zusammen, die wir für berechtigt halten, und deren Erfüllung das bestehende Elend größten¬ teils beseitigen würde, so sind es folgende: 1. Die etatsmäßigen Hilfslehrcr- stellen, die sich als dauernde, durch das Unterrichtsbcdürfnis begründete Stellen erwiesen haben, sind in Oberlehrerstelleu umzuwandeln. 2. Die von der Dezemberkonferenz festgesetzte höchste Schülerzahl und höchste Stundenzahl darf nicht überschritten werden. 3. Der wissenschaftliche Unterricht an höhern Lehr¬ anstalten ist nur von akademisch gebildeten Lehrern zu erteilen. 4. Die Kan¬ didaten werden bei Beginn des Seminarjahrs vereidigt. 5. Die vollbeschäf¬ tigten wissenschaftlichen Hilfslehrer beziehen den Gehalt der untersten Gehalts¬ stufe (2100 Mark). 6. Die Jahre, wo ein Hilfslehrer im öffentlichen Schul¬ dienst thätig war oder dem Provinzialschulkvllegium zur Verfügung stand, sind für das Dicnstcilter und den Ruhegehalt in Anrechnung zu bringen. 7. Die Anciennität der Hilfslehrer wird für die ganze Monarchie geregelt. Das Haupthemmnis für die Gewährung dieser Forderungen liegt beim Finanzminister. In seiner Etatrede sagte er: Wenn die Neigung, lokale und Klassenvvrteile auf Kosten der Gesamtheit zu erreichen, mit Erfolg bekämpft wird, dann zweifle ich nicht, daß wir demnächst wieder das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben herstellen werden. Wir fragen: Verlangt es das Wohl der Gesamtheit, daß man eine einzelne Klasse den andern gegen¬ über aufs schwerste benachteiligt? Und doch handelt es sich hier im Ver¬ hältnis zu andern Ausgaben des Staats nur um eine geringfügige Summe; 4 bis 500000 Mark würden ausreichen, alle Wünsche zu befriedige». „Für die Schule, wo es sich um die edelsten Güter der Nation handelt, darf die finanzielle Seite allein überhaupt nicht ausschlaggebend sein," so erklärte be¬ reits ein Mitglied der Dezemberkonferenz, und ähnlich äußerte sich der konser¬ vative Abgeordnete Graf Moltke: „Das Sparsystem sollte am allerwenigsten auf dem Gebiet der Unterrichtsverwaltung Geltung haben." Kämen nur die Hilfslehrer in Betracht, es wäre, wenn nicht verzeihlich, doch vielleicht begreif¬ lich, daß die Regierung bei ungünstiger Finanzlage über deren Forderungen zur Tagesordnung überginge; aber die Finanzlage ist günstiger, als man er¬ wartet hatte, und es handelt sich hier um schwere Gefahren für die Schule und den Staat, Gefahren, die man nicht darum leugnen sollte, weil ihre Wir¬ kung nicht sofort jedem vor die Angen tritt. Wem die schaffensfreudigsten Jahre des Lebens in unfreiwilliger Unthätigkeit, in Enttäuschungen und un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/230>, abgerufen am 25.11.2024.