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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Osten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

die Dvmäuengesälle sinken bei dem allgemeinen Sinken der Preise, die Wcg-
geldeinnahmen hören auf, die allgemeine Verarmung wird sich in den Steuern
geltend machen; die ausländische Konkurrenz in Fabrikaten wird das Gewerbe
ruiniren. das Spannfnhrwerk wird vernichtet; die Landwirtschaft, die bisher
-Hafer. Hen und Stroh lieferte, schwer geschädigt; der Untergang aller mit
dem Spannfnhrwerk zusammenhängenden städtischen und ländlichen "Nahrungen"
an den bisherigen Landstraßen, also namentlich der Gasthöfe. Schmiede. Wagner.
Sattler, Seiler, Gerber und der mit Viktualienverkauf sich beschäftigenden
Gewerbe der Metzger, Bäcker, Brauer, Branntweinbrenner. Meiler, Müller ist
sicher; der Ruin der Flußschiffahrt, namentlich auch des projektirten Main-
Donauknnals ist zweifellos; selbst die Schuhmacher und Schneider werden
nichts mehr zu thun haben (denn wer wird den nachteiligen Einfluß der Eisen¬
bahnen harter empfinden als diese, die nun. wenn alles führt und niemand
mehr geht, viele Millionen Schuhe. Stiefel. Hosen und Röcke wemger zu
machen haben werden); der Untergang einer Menge von Fabriken und Ge¬
werben, die bei der großen Konsumtion von Holz und Kohlen durch die Dampf¬
wagen und dem dadurch bewirkten Steigen der Holzpreise den Betrieb werden
einstellen müssen, ist besiegelt; die Eisenbahn ist ein absolut unzuverlässiges
Verkehrsmittel, und ihre allgemeine Einführung kann zu den größten Verkehrs¬
störungen Anlaß geben. (Wie wenn der Blitz einschlüge und durch Fortleitung
des elektrischen Feuers die Eisenbahn zerstört und somit die Kommunikation
besonders zu Meßzeiten auf Wochen und Monate unterbrochen würde, wie sollten
dann die Güter fortgeschafft werden? Etwa auf Bauerwagen?)"

Was lernen wir aus diesem Zitat: Wir lernen daraus, wie gefährlich
es ist, irgendwo und irgendwie die Wirkung volkswirtschaftlicher Maßnahmen
als verhängnisvoll hinzustellen. Oberschlesien mit seiner Industrie ist gewiß
einer der wichtigsten Plätze des Reichs, aber sicher ist das von dem
Rhein-Weser-Elbekanal berührte, und mehr noch, das von ihm beeinflußte
Gebiet viel größer und wichtiger. Aber zu sagen: wenn man mit Kultur¬
verbesserungen vorgeht, dürfe man nicht um einer Stelle des Landes be¬
ginnen, denn ehe man beginne, müsse man erst die andern entschädigen --
oder der Kulturfortschritt müsse ganz unterbleiben, das ist doch stark. Wie
sollte bei gleichen Anschauungen das Programm Freyeinets in Frankreich
verwirklicht werden? Die Agitation für den Mittellandkanal ist älter als
dieses Jahrhundert, ist beinahe älter als die Herren im Osten selbst. Mögen
sie doch erst einmal aus sich herausgehen, wie es der Westen gethan hat.
Mögen, sie erst einmal Agitationsgrnppen über ihr ganzes Gebiet bilden,
mögen sie soviel Stimmung für diese Fragen machen, daß es kein Gemein¬
wesen mehr giebt, das sich nicht dasür interessirte. Der Kanalverein in Breslau
ist ja sehr rührig und arbeitsam. Aber er möge erst einmal Komitees zu¬
sammenbringen, in denen jeder Bürgermeister, Magistrat und Stadtverordneter
sitzt, jeder Handelskammerpräsident und größerer Industrieller -- denn so ist es


Der Osten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

die Dvmäuengesälle sinken bei dem allgemeinen Sinken der Preise, die Wcg-
geldeinnahmen hören auf, die allgemeine Verarmung wird sich in den Steuern
geltend machen; die ausländische Konkurrenz in Fabrikaten wird das Gewerbe
ruiniren. das Spannfnhrwerk wird vernichtet; die Landwirtschaft, die bisher
-Hafer. Hen und Stroh lieferte, schwer geschädigt; der Untergang aller mit
dem Spannfnhrwerk zusammenhängenden städtischen und ländlichen »Nahrungen«
an den bisherigen Landstraßen, also namentlich der Gasthöfe. Schmiede. Wagner.
Sattler, Seiler, Gerber und der mit Viktualienverkauf sich beschäftigenden
Gewerbe der Metzger, Bäcker, Brauer, Branntweinbrenner. Meiler, Müller ist
sicher; der Ruin der Flußschiffahrt, namentlich auch des projektirten Main-
Donauknnals ist zweifellos; selbst die Schuhmacher und Schneider werden
nichts mehr zu thun haben (denn wer wird den nachteiligen Einfluß der Eisen¬
bahnen harter empfinden als diese, die nun. wenn alles führt und niemand
mehr geht, viele Millionen Schuhe. Stiefel. Hosen und Röcke wemger zu
machen haben werden); der Untergang einer Menge von Fabriken und Ge¬
werben, die bei der großen Konsumtion von Holz und Kohlen durch die Dampf¬
wagen und dem dadurch bewirkten Steigen der Holzpreise den Betrieb werden
einstellen müssen, ist besiegelt; die Eisenbahn ist ein absolut unzuverlässiges
Verkehrsmittel, und ihre allgemeine Einführung kann zu den größten Verkehrs¬
störungen Anlaß geben. (Wie wenn der Blitz einschlüge und durch Fortleitung
des elektrischen Feuers die Eisenbahn zerstört und somit die Kommunikation
besonders zu Meßzeiten auf Wochen und Monate unterbrochen würde, wie sollten
dann die Güter fortgeschafft werden? Etwa auf Bauerwagen?)"

Was lernen wir aus diesem Zitat: Wir lernen daraus, wie gefährlich
es ist, irgendwo und irgendwie die Wirkung volkswirtschaftlicher Maßnahmen
als verhängnisvoll hinzustellen. Oberschlesien mit seiner Industrie ist gewiß
einer der wichtigsten Plätze des Reichs, aber sicher ist das von dem
Rhein-Weser-Elbekanal berührte, und mehr noch, das von ihm beeinflußte
Gebiet viel größer und wichtiger. Aber zu sagen: wenn man mit Kultur¬
verbesserungen vorgeht, dürfe man nicht um einer Stelle des Landes be¬
ginnen, denn ehe man beginne, müsse man erst die andern entschädigen —
oder der Kulturfortschritt müsse ganz unterbleiben, das ist doch stark. Wie
sollte bei gleichen Anschauungen das Programm Freyeinets in Frankreich
verwirklicht werden? Die Agitation für den Mittellandkanal ist älter als
dieses Jahrhundert, ist beinahe älter als die Herren im Osten selbst. Mögen
sie doch erst einmal aus sich herausgehen, wie es der Westen gethan hat.
Mögen, sie erst einmal Agitationsgrnppen über ihr ganzes Gebiet bilden,
mögen sie soviel Stimmung für diese Fragen machen, daß es kein Gemein¬
wesen mehr giebt, das sich nicht dasür interessirte. Der Kanalverein in Breslau
ist ja sehr rührig und arbeitsam. Aber er möge erst einmal Komitees zu¬
sammenbringen, in denen jeder Bürgermeister, Magistrat und Stadtverordneter
sitzt, jeder Handelskammerpräsident und größerer Industrieller — denn so ist es


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[0023] Der Osten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich die Dvmäuengesälle sinken bei dem allgemeinen Sinken der Preise, die Wcg- geldeinnahmen hören auf, die allgemeine Verarmung wird sich in den Steuern geltend machen; die ausländische Konkurrenz in Fabrikaten wird das Gewerbe ruiniren. das Spannfnhrwerk wird vernichtet; die Landwirtschaft, die bisher -Hafer. Hen und Stroh lieferte, schwer geschädigt; der Untergang aller mit dem Spannfnhrwerk zusammenhängenden städtischen und ländlichen »Nahrungen« an den bisherigen Landstraßen, also namentlich der Gasthöfe. Schmiede. Wagner. Sattler, Seiler, Gerber und der mit Viktualienverkauf sich beschäftigenden Gewerbe der Metzger, Bäcker, Brauer, Branntweinbrenner. Meiler, Müller ist sicher; der Ruin der Flußschiffahrt, namentlich auch des projektirten Main- Donauknnals ist zweifellos; selbst die Schuhmacher und Schneider werden nichts mehr zu thun haben (denn wer wird den nachteiligen Einfluß der Eisen¬ bahnen harter empfinden als diese, die nun. wenn alles führt und niemand mehr geht, viele Millionen Schuhe. Stiefel. Hosen und Röcke wemger zu machen haben werden); der Untergang einer Menge von Fabriken und Ge¬ werben, die bei der großen Konsumtion von Holz und Kohlen durch die Dampf¬ wagen und dem dadurch bewirkten Steigen der Holzpreise den Betrieb werden einstellen müssen, ist besiegelt; die Eisenbahn ist ein absolut unzuverlässiges Verkehrsmittel, und ihre allgemeine Einführung kann zu den größten Verkehrs¬ störungen Anlaß geben. (Wie wenn der Blitz einschlüge und durch Fortleitung des elektrischen Feuers die Eisenbahn zerstört und somit die Kommunikation besonders zu Meßzeiten auf Wochen und Monate unterbrochen würde, wie sollten dann die Güter fortgeschafft werden? Etwa auf Bauerwagen?)" Was lernen wir aus diesem Zitat: Wir lernen daraus, wie gefährlich es ist, irgendwo und irgendwie die Wirkung volkswirtschaftlicher Maßnahmen als verhängnisvoll hinzustellen. Oberschlesien mit seiner Industrie ist gewiß einer der wichtigsten Plätze des Reichs, aber sicher ist das von dem Rhein-Weser-Elbekanal berührte, und mehr noch, das von ihm beeinflußte Gebiet viel größer und wichtiger. Aber zu sagen: wenn man mit Kultur¬ verbesserungen vorgeht, dürfe man nicht um einer Stelle des Landes be¬ ginnen, denn ehe man beginne, müsse man erst die andern entschädigen — oder der Kulturfortschritt müsse ganz unterbleiben, das ist doch stark. Wie sollte bei gleichen Anschauungen das Programm Freyeinets in Frankreich verwirklicht werden? Die Agitation für den Mittellandkanal ist älter als dieses Jahrhundert, ist beinahe älter als die Herren im Osten selbst. Mögen sie doch erst einmal aus sich herausgehen, wie es der Westen gethan hat. Mögen, sie erst einmal Agitationsgrnppen über ihr ganzes Gebiet bilden, mögen sie soviel Stimmung für diese Fragen machen, daß es kein Gemein¬ wesen mehr giebt, das sich nicht dasür interessirte. Der Kanalverein in Breslau ist ja sehr rührig und arbeitsam. Aber er möge erst einmal Komitees zu¬ sammenbringen, in denen jeder Bürgermeister, Magistrat und Stadtverordneter sitzt, jeder Handelskammerpräsident und größerer Industrieller — denn so ist es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/23>, abgerufen am 06.10.2024.