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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Zur Hilfslehrerfrage in Preußen

allen Gebieten der Staatsverwaltung beobachteten Verfahren nicht im Einklang.
Alle Parteien des Abgeordnetenhauses haben die Ausnutzung der Hilfslehrer
mit seltner Einmütigkeit verurteilt, der Finanzkommissar aber meint, die Ver¬
hältnisse seien "befriedigend geordnet," und das sei im Gründe auch die Meinung
des Hauses, denn es habe durch seine Zustimmung zu den Alterszulagen für
die Hilfslehrer eine Dienstzeit von vier und mehr Jahren für billig erachtet.
Wir meinen, es sei doch etwas andres, sich mit einem kleinen Zugeständnis
begnügen, weil für den Augenblick nicht mehr zu erreichen ist, und etwas
andres, die so geschaffnen Zustände für alle Zeiten als mustergiltig anerkennen.
Der höhere Lehrerstand wünscht, daß die Hilfslehrerstellen, die seit einer Reihe
von Jahren bestehen, sich also als dauernde, durch das Unterrichtsbedürfnis
begründete Stellen erwiesen haben, in Oberlehrerstellen umgewandelt werden; der
Finanzkommisfar erwidert, dazu könne die Finanzverwaltung ihre Zustimmung
nicht geben, das führe zu ordnungswidrigen Zuständen, und um dies zu beweisen,
beseitigt er aus jener Forderung den Begriff "dauernd bestehend" und giebt ihr
die Fassung, man solle bei der Aufstellung des Etats auf vollbeschüftigte Hilfs¬
lehrer gar nicht mehr Bedacht nehmen. Daß jeder vollbeschäftigte Hilfslehrer
gleich Oberlehrer werden soll, hat niemand verlangt; bekämpft wird von fach¬
männischer Seite nur der Mißbrauch in der Verwendung von Hilfslehrern, und
ein Mißbrauch ist es, wenn zur Befriedigung erfahrungsmäßig dauernder Unter¬
richtsbedürfnisse Hilfslehrer verwendet werden. Die Klagen der Hilfslehrer
haben keine volle Berechtigung mehr, sagen die Vertreter der Negierung, denn den
Gerichts- und Negierungsassessoren gegenüber seien sie bei weitem günstiger ge¬
stellt. Aber sehen wir ganz ub von den privaten Verhältnissen, so stehen den
14 Prozent (1893 bis 1894, jetzt 20 Prozent) der Hilfslehrer mit mehr als
siebenjähriger Dienstzeit nur 3^ Prozent Assessoren mit gleich langer Dienstzeit
gegenüber. Die Juristen und Verwaltungsbeamten werden im Gegensatz zu den
Lehrern ideell durch Rang und Titel und durch die Möglichkeit einer ganz andern
Laufbahn entschädigt, materiell durch den höhern Gehalt und die Anrechnung
der vor der Anstellung liegenden Dienstjahre für Gehalt und Pension. Die
Regierungsvertreter fassen diese Thatsachen in den Satz zusammen: Die
Assessoren sind bei weitem ungünstiger gestellt als die Hilfslehrer!

Um zu beweisen, daß das Bild der Hilfslehrerverhältnisse immer Heller
werde, stellt der Negieruugstommissar folgende Betrachtungen an: Von 1565
Kandidaten sind 705 mit einer "Remuneration" von 1500 bis 1800 Mark
beschäftigt, von den übrigen erhalten 205 an öffentlichen Schulen eine "Re¬
muneration" unter 1500 Mark, 193 sind an nicht öffentlichen Schulen be¬
schäftigt, mit welchem Gehalt, erfahren wir nicht; etwa 400 bis 500 unter¬
richten teils unentgeltlich, teils sind sie an wissenschaftlichen Instituten, im
Ausland, als Hauslehrer oder sonstwie thätig, oder sie sind ganz ohne Be¬
schäftigung. Aus dieser Betrachtung zieht der Kommissar den Schluß: Die


Zur Hilfslehrerfrage in Preußen

allen Gebieten der Staatsverwaltung beobachteten Verfahren nicht im Einklang.
Alle Parteien des Abgeordnetenhauses haben die Ausnutzung der Hilfslehrer
mit seltner Einmütigkeit verurteilt, der Finanzkommissar aber meint, die Ver¬
hältnisse seien „befriedigend geordnet," und das sei im Gründe auch die Meinung
des Hauses, denn es habe durch seine Zustimmung zu den Alterszulagen für
die Hilfslehrer eine Dienstzeit von vier und mehr Jahren für billig erachtet.
Wir meinen, es sei doch etwas andres, sich mit einem kleinen Zugeständnis
begnügen, weil für den Augenblick nicht mehr zu erreichen ist, und etwas
andres, die so geschaffnen Zustände für alle Zeiten als mustergiltig anerkennen.
Der höhere Lehrerstand wünscht, daß die Hilfslehrerstellen, die seit einer Reihe
von Jahren bestehen, sich also als dauernde, durch das Unterrichtsbedürfnis
begründete Stellen erwiesen haben, in Oberlehrerstellen umgewandelt werden; der
Finanzkommisfar erwidert, dazu könne die Finanzverwaltung ihre Zustimmung
nicht geben, das führe zu ordnungswidrigen Zuständen, und um dies zu beweisen,
beseitigt er aus jener Forderung den Begriff „dauernd bestehend" und giebt ihr
die Fassung, man solle bei der Aufstellung des Etats auf vollbeschüftigte Hilfs¬
lehrer gar nicht mehr Bedacht nehmen. Daß jeder vollbeschäftigte Hilfslehrer
gleich Oberlehrer werden soll, hat niemand verlangt; bekämpft wird von fach¬
männischer Seite nur der Mißbrauch in der Verwendung von Hilfslehrern, und
ein Mißbrauch ist es, wenn zur Befriedigung erfahrungsmäßig dauernder Unter¬
richtsbedürfnisse Hilfslehrer verwendet werden. Die Klagen der Hilfslehrer
haben keine volle Berechtigung mehr, sagen die Vertreter der Negierung, denn den
Gerichts- und Negierungsassessoren gegenüber seien sie bei weitem günstiger ge¬
stellt. Aber sehen wir ganz ub von den privaten Verhältnissen, so stehen den
14 Prozent (1893 bis 1894, jetzt 20 Prozent) der Hilfslehrer mit mehr als
siebenjähriger Dienstzeit nur 3^ Prozent Assessoren mit gleich langer Dienstzeit
gegenüber. Die Juristen und Verwaltungsbeamten werden im Gegensatz zu den
Lehrern ideell durch Rang und Titel und durch die Möglichkeit einer ganz andern
Laufbahn entschädigt, materiell durch den höhern Gehalt und die Anrechnung
der vor der Anstellung liegenden Dienstjahre für Gehalt und Pension. Die
Regierungsvertreter fassen diese Thatsachen in den Satz zusammen: Die
Assessoren sind bei weitem ungünstiger gestellt als die Hilfslehrer!

Um zu beweisen, daß das Bild der Hilfslehrerverhältnisse immer Heller
werde, stellt der Negieruugstommissar folgende Betrachtungen an: Von 1565
Kandidaten sind 705 mit einer „Remuneration" von 1500 bis 1800 Mark
beschäftigt, von den übrigen erhalten 205 an öffentlichen Schulen eine „Re¬
muneration" unter 1500 Mark, 193 sind an nicht öffentlichen Schulen be¬
schäftigt, mit welchem Gehalt, erfahren wir nicht; etwa 400 bis 500 unter¬
richten teils unentgeltlich, teils sind sie an wissenschaftlichen Instituten, im
Ausland, als Hauslehrer oder sonstwie thätig, oder sie sind ganz ohne Be¬
schäftigung. Aus dieser Betrachtung zieht der Kommissar den Schluß: Die


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[0228] Zur Hilfslehrerfrage in Preußen allen Gebieten der Staatsverwaltung beobachteten Verfahren nicht im Einklang. Alle Parteien des Abgeordnetenhauses haben die Ausnutzung der Hilfslehrer mit seltner Einmütigkeit verurteilt, der Finanzkommissar aber meint, die Ver¬ hältnisse seien „befriedigend geordnet," und das sei im Gründe auch die Meinung des Hauses, denn es habe durch seine Zustimmung zu den Alterszulagen für die Hilfslehrer eine Dienstzeit von vier und mehr Jahren für billig erachtet. Wir meinen, es sei doch etwas andres, sich mit einem kleinen Zugeständnis begnügen, weil für den Augenblick nicht mehr zu erreichen ist, und etwas andres, die so geschaffnen Zustände für alle Zeiten als mustergiltig anerkennen. Der höhere Lehrerstand wünscht, daß die Hilfslehrerstellen, die seit einer Reihe von Jahren bestehen, sich also als dauernde, durch das Unterrichtsbedürfnis begründete Stellen erwiesen haben, in Oberlehrerstellen umgewandelt werden; der Finanzkommisfar erwidert, dazu könne die Finanzverwaltung ihre Zustimmung nicht geben, das führe zu ordnungswidrigen Zuständen, und um dies zu beweisen, beseitigt er aus jener Forderung den Begriff „dauernd bestehend" und giebt ihr die Fassung, man solle bei der Aufstellung des Etats auf vollbeschüftigte Hilfs¬ lehrer gar nicht mehr Bedacht nehmen. Daß jeder vollbeschäftigte Hilfslehrer gleich Oberlehrer werden soll, hat niemand verlangt; bekämpft wird von fach¬ männischer Seite nur der Mißbrauch in der Verwendung von Hilfslehrern, und ein Mißbrauch ist es, wenn zur Befriedigung erfahrungsmäßig dauernder Unter¬ richtsbedürfnisse Hilfslehrer verwendet werden. Die Klagen der Hilfslehrer haben keine volle Berechtigung mehr, sagen die Vertreter der Negierung, denn den Gerichts- und Negierungsassessoren gegenüber seien sie bei weitem günstiger ge¬ stellt. Aber sehen wir ganz ub von den privaten Verhältnissen, so stehen den 14 Prozent (1893 bis 1894, jetzt 20 Prozent) der Hilfslehrer mit mehr als siebenjähriger Dienstzeit nur 3^ Prozent Assessoren mit gleich langer Dienstzeit gegenüber. Die Juristen und Verwaltungsbeamten werden im Gegensatz zu den Lehrern ideell durch Rang und Titel und durch die Möglichkeit einer ganz andern Laufbahn entschädigt, materiell durch den höhern Gehalt und die Anrechnung der vor der Anstellung liegenden Dienstjahre für Gehalt und Pension. Die Regierungsvertreter fassen diese Thatsachen in den Satz zusammen: Die Assessoren sind bei weitem ungünstiger gestellt als die Hilfslehrer! Um zu beweisen, daß das Bild der Hilfslehrerverhältnisse immer Heller werde, stellt der Negieruugstommissar folgende Betrachtungen an: Von 1565 Kandidaten sind 705 mit einer „Remuneration" von 1500 bis 1800 Mark beschäftigt, von den übrigen erhalten 205 an öffentlichen Schulen eine „Re¬ muneration" unter 1500 Mark, 193 sind an nicht öffentlichen Schulen be¬ schäftigt, mit welchem Gehalt, erfahren wir nicht; etwa 400 bis 500 unter¬ richten teils unentgeltlich, teils sind sie an wissenschaftlichen Instituten, im Ausland, als Hauslehrer oder sonstwie thätig, oder sie sind ganz ohne Be¬ schäftigung. Aus dieser Betrachtung zieht der Kommissar den Schluß: Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/228>, abgerufen am 01.09.2024.