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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Unser Aschenbrödel

Was kann nun da geschehe!"? Die einsichtigen Landsleute müssen für sich
und für die unmündigen und verblendeten Volksgenossen darauf wirken, daß
unsern Reichsboten die große Verantwortung klar werde, die sie sür die Ent¬
wicklung der Flotte tragen. Unser Marinehaushalt ist seit Jahren in trau¬
rigster Weise beschnitten worden. Die Lehren des englischen Freibeuters müßten
dazu führen, daß unsre Neichsboten die Marineverwaltung drängten, mehr
Schiffe zu bauen, als der Neichshaushalt diesmal vorgesehen hat; denn fast
alle seine Forderungen sollen nur den Ersatz alter verbrauchter Schiffe decken,
können daher selbst vou den nnknndigsten Volksvertretern nicht als Neubauten
innerhalb der Grenzen des gänzlich veralteten Flvttenplans angesehen werden.
Folgendes möge den Laien einen Anhalt geben.

In allen Flotten ersten bis vierten Ranges, anßer bei uns, giebt es schon
eine neue Art von Kriegsschiffen, die sowohl zum selbständigen .Krenzerkrieg
auf hoher See, wie zum gewaltsamen Aufklärungsdienst bei der Schlachtflotte
in den heimischen Gewässern dienlich sind: die Panzerkreuzer. Bei der Kieler
Flottenschau haben unsre Neichsboten sieben fremde Panzerkreuzer gesehen;
ohne die großen Flotten zu nennen, sei nur gesagt, daß Rußland zwölf, Spa¬
nien und Italien je sechs, Osterreich vier Panzerkreuzer teils fertig, teils auf
Stapel hat. Daß die gewiß nicht reichen Italiener vier große Panzerkreuzer
gleichzeitig und einen fünften ein Jahr später auf Stapel setzen konnten, ist
geradezu beschämend für uns. Seitdem drängen die Erfahrungen des ost¬
asiatischen Seekriegs noch mehr auf den Bau von Panzerkreuzern. Wenn man
in den exotischen Staaten wüßte, der deutsche Konsul brauchte uur auf den
Knopf zu drücken, um schnell ein Geschwader von kräftigen Panzerkreuzern aus
der Heimat herbeizurufen, dann würde man es dort kaum zu Streitigkeiten
kommen lassen. Ein solches Geschwader würde aber auch in jedem Teile der
Erde erfolgreich gegen die Geschwader größerer Seemächte auftreten können,
wenn es die Ehre und das Wohl des Vaterlandes fordern sollte; auch in
Friedenszeiten würde sein Dasein schon "achtunggebietend" wirken, also Ge¬
waltstreiche fremder Seemächte verhindern helfen. Wenn wir gute Panzer¬
kreuzer zu Hause haben, dann genügen im ausländischen Friedensdienst die
kleinen Stationäre vierter Klasse als Kreuzer. In Deutschland wird aber
nächstens erst der Bau des ersten Panzerkreuzers (Ersatz-Leipzig) begonnen
werden!

Ein Geschwader von vier bis sechs tüchtigen Panzerkreuzern ist ein
dringendes Bedürfnis für uns. Die Reichsboten sollten es jedoch fordern, um
zu zeigen, daß es ihnen Ernst damit ist, als "Väter des Volks" für Deutsch¬
lands zukünftiges Gedeihen zu sorgen. Damit würden sie unserm Aschenbrödel,
der schon so lange vernachlässigten Seegewalt, helfen. Nörgler werden wohl
wieder das alberne Schlagwort "uferlos" gebrauchen, um Deutschlands See¬
macht innerhalb der Grenzen eines durch Kurzsichtigkeit beschränkten Gesichts-


Unser Aschenbrödel

Was kann nun da geschehe!»? Die einsichtigen Landsleute müssen für sich
und für die unmündigen und verblendeten Volksgenossen darauf wirken, daß
unsern Reichsboten die große Verantwortung klar werde, die sie sür die Ent¬
wicklung der Flotte tragen. Unser Marinehaushalt ist seit Jahren in trau¬
rigster Weise beschnitten worden. Die Lehren des englischen Freibeuters müßten
dazu führen, daß unsre Neichsboten die Marineverwaltung drängten, mehr
Schiffe zu bauen, als der Neichshaushalt diesmal vorgesehen hat; denn fast
alle seine Forderungen sollen nur den Ersatz alter verbrauchter Schiffe decken,
können daher selbst vou den nnknndigsten Volksvertretern nicht als Neubauten
innerhalb der Grenzen des gänzlich veralteten Flvttenplans angesehen werden.
Folgendes möge den Laien einen Anhalt geben.

In allen Flotten ersten bis vierten Ranges, anßer bei uns, giebt es schon
eine neue Art von Kriegsschiffen, die sowohl zum selbständigen .Krenzerkrieg
auf hoher See, wie zum gewaltsamen Aufklärungsdienst bei der Schlachtflotte
in den heimischen Gewässern dienlich sind: die Panzerkreuzer. Bei der Kieler
Flottenschau haben unsre Neichsboten sieben fremde Panzerkreuzer gesehen;
ohne die großen Flotten zu nennen, sei nur gesagt, daß Rußland zwölf, Spa¬
nien und Italien je sechs, Osterreich vier Panzerkreuzer teils fertig, teils auf
Stapel hat. Daß die gewiß nicht reichen Italiener vier große Panzerkreuzer
gleichzeitig und einen fünften ein Jahr später auf Stapel setzen konnten, ist
geradezu beschämend für uns. Seitdem drängen die Erfahrungen des ost¬
asiatischen Seekriegs noch mehr auf den Bau von Panzerkreuzern. Wenn man
in den exotischen Staaten wüßte, der deutsche Konsul brauchte uur auf den
Knopf zu drücken, um schnell ein Geschwader von kräftigen Panzerkreuzern aus
der Heimat herbeizurufen, dann würde man es dort kaum zu Streitigkeiten
kommen lassen. Ein solches Geschwader würde aber auch in jedem Teile der
Erde erfolgreich gegen die Geschwader größerer Seemächte auftreten können,
wenn es die Ehre und das Wohl des Vaterlandes fordern sollte; auch in
Friedenszeiten würde sein Dasein schon „achtunggebietend" wirken, also Ge¬
waltstreiche fremder Seemächte verhindern helfen. Wenn wir gute Panzer¬
kreuzer zu Hause haben, dann genügen im ausländischen Friedensdienst die
kleinen Stationäre vierter Klasse als Kreuzer. In Deutschland wird aber
nächstens erst der Bau des ersten Panzerkreuzers (Ersatz-Leipzig) begonnen
werden!

Ein Geschwader von vier bis sechs tüchtigen Panzerkreuzern ist ein
dringendes Bedürfnis für uns. Die Reichsboten sollten es jedoch fordern, um
zu zeigen, daß es ihnen Ernst damit ist, als „Väter des Volks" für Deutsch¬
lands zukünftiges Gedeihen zu sorgen. Damit würden sie unserm Aschenbrödel,
der schon so lange vernachlässigten Seegewalt, helfen. Nörgler werden wohl
wieder das alberne Schlagwort „uferlos" gebrauchen, um Deutschlands See¬
macht innerhalb der Grenzen eines durch Kurzsichtigkeit beschränkten Gesichts-


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[0220] Unser Aschenbrödel Was kann nun da geschehe!»? Die einsichtigen Landsleute müssen für sich und für die unmündigen und verblendeten Volksgenossen darauf wirken, daß unsern Reichsboten die große Verantwortung klar werde, die sie sür die Ent¬ wicklung der Flotte tragen. Unser Marinehaushalt ist seit Jahren in trau¬ rigster Weise beschnitten worden. Die Lehren des englischen Freibeuters müßten dazu führen, daß unsre Neichsboten die Marineverwaltung drängten, mehr Schiffe zu bauen, als der Neichshaushalt diesmal vorgesehen hat; denn fast alle seine Forderungen sollen nur den Ersatz alter verbrauchter Schiffe decken, können daher selbst vou den nnknndigsten Volksvertretern nicht als Neubauten innerhalb der Grenzen des gänzlich veralteten Flvttenplans angesehen werden. Folgendes möge den Laien einen Anhalt geben. In allen Flotten ersten bis vierten Ranges, anßer bei uns, giebt es schon eine neue Art von Kriegsschiffen, die sowohl zum selbständigen .Krenzerkrieg auf hoher See, wie zum gewaltsamen Aufklärungsdienst bei der Schlachtflotte in den heimischen Gewässern dienlich sind: die Panzerkreuzer. Bei der Kieler Flottenschau haben unsre Neichsboten sieben fremde Panzerkreuzer gesehen; ohne die großen Flotten zu nennen, sei nur gesagt, daß Rußland zwölf, Spa¬ nien und Italien je sechs, Osterreich vier Panzerkreuzer teils fertig, teils auf Stapel hat. Daß die gewiß nicht reichen Italiener vier große Panzerkreuzer gleichzeitig und einen fünften ein Jahr später auf Stapel setzen konnten, ist geradezu beschämend für uns. Seitdem drängen die Erfahrungen des ost¬ asiatischen Seekriegs noch mehr auf den Bau von Panzerkreuzern. Wenn man in den exotischen Staaten wüßte, der deutsche Konsul brauchte uur auf den Knopf zu drücken, um schnell ein Geschwader von kräftigen Panzerkreuzern aus der Heimat herbeizurufen, dann würde man es dort kaum zu Streitigkeiten kommen lassen. Ein solches Geschwader würde aber auch in jedem Teile der Erde erfolgreich gegen die Geschwader größerer Seemächte auftreten können, wenn es die Ehre und das Wohl des Vaterlandes fordern sollte; auch in Friedenszeiten würde sein Dasein schon „achtunggebietend" wirken, also Ge¬ waltstreiche fremder Seemächte verhindern helfen. Wenn wir gute Panzer¬ kreuzer zu Hause haben, dann genügen im ausländischen Friedensdienst die kleinen Stationäre vierter Klasse als Kreuzer. In Deutschland wird aber nächstens erst der Bau des ersten Panzerkreuzers (Ersatz-Leipzig) begonnen werden! Ein Geschwader von vier bis sechs tüchtigen Panzerkreuzern ist ein dringendes Bedürfnis für uns. Die Reichsboten sollten es jedoch fordern, um zu zeigen, daß es ihnen Ernst damit ist, als „Väter des Volks" für Deutsch¬ lands zukünftiges Gedeihen zu sorgen. Damit würden sie unserm Aschenbrödel, der schon so lange vernachlässigten Seegewalt, helfen. Nörgler werden wohl wieder das alberne Schlagwort „uferlos" gebrauchen, um Deutschlands See¬ macht innerhalb der Grenzen eines durch Kurzsichtigkeit beschränkten Gesichts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/220>, abgerufen am 01.09.2024.