Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

beruht auf der Größe unsrer Kriegsflotte; denn dieser überseeische, durch die
deutsche Kauffahrteiflotte vermittelte Handel würde ohne eine starke Kriegsflotte
bei der ersten kriegerischen Verwicklung mit einem seemächtigen Gegner zerstört
sein. Und auch ohne Krieg, in Friedenszeiten würde er schwer geschädigt
werden können von jeder Weltmacht, die unsre überseeischen Absatzgebiete durch
mehr oder weniger gewaltsam erzwungne Zoll- und Handelsverträge oder auf
andre Weise an sich risse. Vor solchen Gewaltstreichen seemächtiger Staaten
soll und muß unser Welthandel geschützt werden. Das kann aber durch nichts
andres als durch eine "achtunggebietende" Flotte von Schlachtschissen und von
Kreuzern geschehen. Daß solche Gewaltstreiche andrer Weltmächte nichts Un¬
gewöhnliches sind, ja daß sie häufig vorkommen, weiß heute jedes Kind.
Seemächtigcre Völker als wir werden unsern Welthandel stets schädigen können,
wenn sie wollen; daran kann die Güte unsrer Waren gar nichts ändern. Für
Deutschlands zukünftiges Gedeihen wird also seine Kriegsflotte noch wichtiger
sein als sein starkes Heer. Um mit guten Kreuzergeschwadern in allen Meeren,
wo es not thut, zum Schutze unsers Welthandels auftreten zu können, müssen
die Gewässer vor den eignen Küsten von feindlicher Blockade freigehalten werden;
dazu muß auch die Schlachtflotte stark sein. England fürchtet nichts mehr
als einen Einfall in sein Land; es hat sich in allen frühern Kriegen dann am
sichersten gefühlt, wenn seine Geschwader die feindlichen Schlachtschiffe in ihren
Häfen lahmlegten, festhielten. Vor fünfundzwanzig Jahren waren unsre Inter¬
essen am Welthandel verschwindend klein gegen unsre jetzigen. Wie wird es
erst nach weiter" fünfundzwanzig Jahren sein, wenn bis dahin die Bevölkerung
in ähnlichem Maße zunimmt wie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und
der Boden nicht gewachsen sein sollte? Was Wunder also, wenn einsichtige
Fachleute heute allerdings eine stärkere Flotte fordern als vor fünfundzwanzig
Jahren! Die Zeiten haben sich eben geändert, und damit sind die dringenden
Bedürfnisse für das Wohl des Vaterlands auch andre geworden. Es gehört
wahrlich eine verknöcherte Einseitigkeit dazu, immer wieder längst veraltete
Denkschriften hervorzuholen, um damit heute notwendige Forderungen ablehnen
zu wollen. Dem Flibustier Jameson muß man fast danken, daß er unserm
Volke die eindringliche Lehre gegeben hat: baut euch Schiffe, damit ihr im
Kampfe ums Dasein zwischen den seemächtigen Völkern nicht auf eurer Scholle
erstickt werdet!

Neben dem Schutze des Seehandels fällt unsrer Kriegsflotte freilich auch
der Schutz unsrer Küsten zu. Diese Aufgabe war vor fünfundzwanzig Jahren
der wichtigste Zweck der Flotte, während jetzt, wo der Welthandel jährlich an
Bedeutung gewinnt, dessen Erhaltung die Hauptaufgabe geworden ist. Aber
auch der Schutz der heimischen Küsten in jenem veralteten Sinne, der den
eignen Seehandel dem Feinde ohne weiteres aufopfert, verlangt die Bekämpfung
der feindlichen Schlachtflotlen und ihre Vertreibung aus den deutschen Ge-


beruht auf der Größe unsrer Kriegsflotte; denn dieser überseeische, durch die
deutsche Kauffahrteiflotte vermittelte Handel würde ohne eine starke Kriegsflotte
bei der ersten kriegerischen Verwicklung mit einem seemächtigen Gegner zerstört
sein. Und auch ohne Krieg, in Friedenszeiten würde er schwer geschädigt
werden können von jeder Weltmacht, die unsre überseeischen Absatzgebiete durch
mehr oder weniger gewaltsam erzwungne Zoll- und Handelsverträge oder auf
andre Weise an sich risse. Vor solchen Gewaltstreichen seemächtiger Staaten
soll und muß unser Welthandel geschützt werden. Das kann aber durch nichts
andres als durch eine „achtunggebietende" Flotte von Schlachtschissen und von
Kreuzern geschehen. Daß solche Gewaltstreiche andrer Weltmächte nichts Un¬
gewöhnliches sind, ja daß sie häufig vorkommen, weiß heute jedes Kind.
Seemächtigcre Völker als wir werden unsern Welthandel stets schädigen können,
wenn sie wollen; daran kann die Güte unsrer Waren gar nichts ändern. Für
Deutschlands zukünftiges Gedeihen wird also seine Kriegsflotte noch wichtiger
sein als sein starkes Heer. Um mit guten Kreuzergeschwadern in allen Meeren,
wo es not thut, zum Schutze unsers Welthandels auftreten zu können, müssen
die Gewässer vor den eignen Küsten von feindlicher Blockade freigehalten werden;
dazu muß auch die Schlachtflotte stark sein. England fürchtet nichts mehr
als einen Einfall in sein Land; es hat sich in allen frühern Kriegen dann am
sichersten gefühlt, wenn seine Geschwader die feindlichen Schlachtschiffe in ihren
Häfen lahmlegten, festhielten. Vor fünfundzwanzig Jahren waren unsre Inter¬
essen am Welthandel verschwindend klein gegen unsre jetzigen. Wie wird es
erst nach weiter» fünfundzwanzig Jahren sein, wenn bis dahin die Bevölkerung
in ähnlichem Maße zunimmt wie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und
der Boden nicht gewachsen sein sollte? Was Wunder also, wenn einsichtige
Fachleute heute allerdings eine stärkere Flotte fordern als vor fünfundzwanzig
Jahren! Die Zeiten haben sich eben geändert, und damit sind die dringenden
Bedürfnisse für das Wohl des Vaterlands auch andre geworden. Es gehört
wahrlich eine verknöcherte Einseitigkeit dazu, immer wieder längst veraltete
Denkschriften hervorzuholen, um damit heute notwendige Forderungen ablehnen
zu wollen. Dem Flibustier Jameson muß man fast danken, daß er unserm
Volke die eindringliche Lehre gegeben hat: baut euch Schiffe, damit ihr im
Kampfe ums Dasein zwischen den seemächtigen Völkern nicht auf eurer Scholle
erstickt werdet!

Neben dem Schutze des Seehandels fällt unsrer Kriegsflotte freilich auch
der Schutz unsrer Küsten zu. Diese Aufgabe war vor fünfundzwanzig Jahren
der wichtigste Zweck der Flotte, während jetzt, wo der Welthandel jährlich an
Bedeutung gewinnt, dessen Erhaltung die Hauptaufgabe geworden ist. Aber
auch der Schutz der heimischen Küsten in jenem veralteten Sinne, der den
eignen Seehandel dem Feinde ohne weiteres aufopfert, verlangt die Bekämpfung
der feindlichen Schlachtflotlen und ihre Vertreibung aus den deutschen Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221864"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_679" prev="#ID_678"> beruht auf der Größe unsrer Kriegsflotte; denn dieser überseeische, durch die<lb/>
deutsche Kauffahrteiflotte vermittelte Handel würde ohne eine starke Kriegsflotte<lb/>
bei der ersten kriegerischen Verwicklung mit einem seemächtigen Gegner zerstört<lb/>
sein. Und auch ohne Krieg, in Friedenszeiten würde er schwer geschädigt<lb/>
werden können von jeder Weltmacht, die unsre überseeischen Absatzgebiete durch<lb/>
mehr oder weniger gewaltsam erzwungne Zoll- und Handelsverträge oder auf<lb/>
andre Weise an sich risse. Vor solchen Gewaltstreichen seemächtiger Staaten<lb/>
soll und muß unser Welthandel geschützt werden. Das kann aber durch nichts<lb/>
andres als durch eine &#x201E;achtunggebietende" Flotte von Schlachtschissen und von<lb/>
Kreuzern geschehen. Daß solche Gewaltstreiche andrer Weltmächte nichts Un¬<lb/>
gewöhnliches sind, ja daß sie häufig vorkommen, weiß heute jedes Kind.<lb/>
Seemächtigcre Völker als wir werden unsern Welthandel stets schädigen können,<lb/>
wenn sie wollen; daran kann die Güte unsrer Waren gar nichts ändern. Für<lb/>
Deutschlands zukünftiges Gedeihen wird also seine Kriegsflotte noch wichtiger<lb/>
sein als sein starkes Heer. Um mit guten Kreuzergeschwadern in allen Meeren,<lb/>
wo es not thut, zum Schutze unsers Welthandels auftreten zu können, müssen<lb/>
die Gewässer vor den eignen Küsten von feindlicher Blockade freigehalten werden;<lb/>
dazu muß auch die Schlachtflotte stark sein. England fürchtet nichts mehr<lb/>
als einen Einfall in sein Land; es hat sich in allen frühern Kriegen dann am<lb/>
sichersten gefühlt, wenn seine Geschwader die feindlichen Schlachtschiffe in ihren<lb/>
Häfen lahmlegten, festhielten. Vor fünfundzwanzig Jahren waren unsre Inter¬<lb/>
essen am Welthandel verschwindend klein gegen unsre jetzigen. Wie wird es<lb/>
erst nach weiter» fünfundzwanzig Jahren sein, wenn bis dahin die Bevölkerung<lb/>
in ähnlichem Maße zunimmt wie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und<lb/>
der Boden nicht gewachsen sein sollte? Was Wunder also, wenn einsichtige<lb/>
Fachleute heute allerdings eine stärkere Flotte fordern als vor fünfundzwanzig<lb/>
Jahren! Die Zeiten haben sich eben geändert, und damit sind die dringenden<lb/>
Bedürfnisse für das Wohl des Vaterlands auch andre geworden. Es gehört<lb/>
wahrlich eine verknöcherte Einseitigkeit dazu, immer wieder längst veraltete<lb/>
Denkschriften hervorzuholen, um damit heute notwendige Forderungen ablehnen<lb/>
zu wollen. Dem Flibustier Jameson muß man fast danken, daß er unserm<lb/>
Volke die eindringliche Lehre gegeben hat: baut euch Schiffe, damit ihr im<lb/>
Kampfe ums Dasein zwischen den seemächtigen Völkern nicht auf eurer Scholle<lb/>
erstickt werdet!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_680" next="#ID_681"> Neben dem Schutze des Seehandels fällt unsrer Kriegsflotte freilich auch<lb/>
der Schutz unsrer Küsten zu. Diese Aufgabe war vor fünfundzwanzig Jahren<lb/>
der wichtigste Zweck der Flotte, während jetzt, wo der Welthandel jährlich an<lb/>
Bedeutung gewinnt, dessen Erhaltung die Hauptaufgabe geworden ist. Aber<lb/>
auch der Schutz der heimischen Küsten in jenem veralteten Sinne, der den<lb/>
eignen Seehandel dem Feinde ohne weiteres aufopfert, verlangt die Bekämpfung<lb/>
der feindlichen Schlachtflotlen und ihre Vertreibung aus den deutschen Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] beruht auf der Größe unsrer Kriegsflotte; denn dieser überseeische, durch die deutsche Kauffahrteiflotte vermittelte Handel würde ohne eine starke Kriegsflotte bei der ersten kriegerischen Verwicklung mit einem seemächtigen Gegner zerstört sein. Und auch ohne Krieg, in Friedenszeiten würde er schwer geschädigt werden können von jeder Weltmacht, die unsre überseeischen Absatzgebiete durch mehr oder weniger gewaltsam erzwungne Zoll- und Handelsverträge oder auf andre Weise an sich risse. Vor solchen Gewaltstreichen seemächtiger Staaten soll und muß unser Welthandel geschützt werden. Das kann aber durch nichts andres als durch eine „achtunggebietende" Flotte von Schlachtschissen und von Kreuzern geschehen. Daß solche Gewaltstreiche andrer Weltmächte nichts Un¬ gewöhnliches sind, ja daß sie häufig vorkommen, weiß heute jedes Kind. Seemächtigcre Völker als wir werden unsern Welthandel stets schädigen können, wenn sie wollen; daran kann die Güte unsrer Waren gar nichts ändern. Für Deutschlands zukünftiges Gedeihen wird also seine Kriegsflotte noch wichtiger sein als sein starkes Heer. Um mit guten Kreuzergeschwadern in allen Meeren, wo es not thut, zum Schutze unsers Welthandels auftreten zu können, müssen die Gewässer vor den eignen Küsten von feindlicher Blockade freigehalten werden; dazu muß auch die Schlachtflotte stark sein. England fürchtet nichts mehr als einen Einfall in sein Land; es hat sich in allen frühern Kriegen dann am sichersten gefühlt, wenn seine Geschwader die feindlichen Schlachtschiffe in ihren Häfen lahmlegten, festhielten. Vor fünfundzwanzig Jahren waren unsre Inter¬ essen am Welthandel verschwindend klein gegen unsre jetzigen. Wie wird es erst nach weiter» fünfundzwanzig Jahren sein, wenn bis dahin die Bevölkerung in ähnlichem Maße zunimmt wie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und der Boden nicht gewachsen sein sollte? Was Wunder also, wenn einsichtige Fachleute heute allerdings eine stärkere Flotte fordern als vor fünfundzwanzig Jahren! Die Zeiten haben sich eben geändert, und damit sind die dringenden Bedürfnisse für das Wohl des Vaterlands auch andre geworden. Es gehört wahrlich eine verknöcherte Einseitigkeit dazu, immer wieder längst veraltete Denkschriften hervorzuholen, um damit heute notwendige Forderungen ablehnen zu wollen. Dem Flibustier Jameson muß man fast danken, daß er unserm Volke die eindringliche Lehre gegeben hat: baut euch Schiffe, damit ihr im Kampfe ums Dasein zwischen den seemächtigen Völkern nicht auf eurer Scholle erstickt werdet! Neben dem Schutze des Seehandels fällt unsrer Kriegsflotte freilich auch der Schutz unsrer Küsten zu. Diese Aufgabe war vor fünfundzwanzig Jahren der wichtigste Zweck der Flotte, während jetzt, wo der Welthandel jährlich an Bedeutung gewinnt, dessen Erhaltung die Hauptaufgabe geworden ist. Aber auch der Schutz der heimischen Küsten in jenem veralteten Sinne, der den eignen Seehandel dem Feinde ohne weiteres aufopfert, verlangt die Bekämpfung der feindlichen Schlachtflotlen und ihre Vertreibung aus den deutschen Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/218>, abgerufen am 24.11.2024.