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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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land will mir die Gurgel abschneiden. Ich sage nicht, daß es das will, aber
nehmen wir es an. Würde ich da nicht ein Recht haben, Deutschlands moralische
Unterstützung zu suchen?" Auf den Einwand Garretts, daß England Swasiland
nur genommen habe, um es eines Tages dem einigen Südafrika zurückzugeben,
während Madagaskar und Damaralcmd für immer an Frankreich und Deutschland
verloren seien, sagte der Präsident: "Das nützt mich nichts, wenn man mir Swasi¬
land nimmt und giebt es an Natal. Swasiland ist von Rechts wegen unser. Natal
war ja auch unser. Es ist doch nicht anders, als wenn man mir die Uhr aus
der Tasche stiehlt." Vom Stimmrecht der Uitlanders sagte der Präsident mit ge¬
sundem Verstand: "Ich kenne weder Engländer, noch Holländer, noch Uitlanders,
ich kenne nur gute und schlechte Leute. Schlechte Leute, die wir leichtherzig herein¬
gelassen haben, waren es, die seinerzeit England zur Annexion des Freistaats Ver¬
leiteten. Deshalb prüfen wir jetzt immer zuerst, ob wir gute oder schlechte Leute
vor uns haben." > ^ -


England lehrt beten.

In der letzten Nummer der Christlichen Welt finden
wir in großem, auffälligen Druck einen von Häuptern der englischen Geistlichkeit
unterzeichneten Aufruf, der sich an die gesamte Christenheit wendet und also wohl
nicht nur an dieser Stelle an die Öffentlichkeit tritt. Der Aufruf schildert in be¬
weglichen Worten die "furchtbare Tragödie in Armenien," erklärt es für >,un-^
glaublich und unerträglich, daß die Christenheit noch immer apathisch und machtlos
vor diesem schrecklichen Schauspiel verharre," und nennt schließlich seinen eigentlichen
Zweck, nämlich "alle, die auf Leben und Wirken der Kirche Jesu Christi Einfluß
haben, inständigst und demütig zu bitten, alle Kraft des Gebets, das in der Kirche
wirksam ist, zu sammeln und Gott den Vater, Christus unsern König und den
Tröster, den heiligen Geist, anzuflehen, daß diese Schmach aufhöre; daß dem Übel
gewehrt werde; daß unsre Selbstsucht, Gleichgiltigkeit und gegenseitige Eifersucht
die Barmherzigkeit des gerechten Gottes nicht länger aufhalte und hindre an der
Rettung seines treuen Volks."

Was haben wir darauf zu antworten? Wir lassen einmal die Frage ganz aus
dem Spiel, ob wirklich den Armeniern gar keine Schuld an dem Streite beizu¬
messen sei, und nehmen an, sie seien wirklich "Gottes treues Volk," seien wirklich
unschuldig um ihres Glaubens willen bedrückte, verfolgte, auf unmenschliche Weise
bedrängte; dann ist es in der That unerträglich, daß wir "noch immer apathisch
vor diesem schrecklichen Schauspiel verharren," dann "vollen wir auch sofort dem
Rufe folgen und der Unglücklichen in unserm Gebete von Herzen mit gedenken.

Aber ist das unsre ganze Antwort? Ich verdenke es keinem, wenn er beim
Lesen des Ausrufs den Kopf geschüttelt oder gerade heraus gelacht hat. Diese
Stimme von England her nimmt sich doch wirklich sehr sonderbar aus! Aber lachen
wir lieber nicht, denn die Sache ist im Grunde recht ernst. Weshalb müssen wir
aber den Kopf schütteln zu solchen Worten? Weil wir wohl an die Macht des
Gebets glauben, aber in sehr anderm Sinne als die Verfasser des Ausrufs. Diese
"Sammlung aller Kraft des Gebets in der Kirche" klingt doch sehr, als ob hier
eine Massendemonstration einen ganz besondern Einfluß ans die göttliche Welten¬
lenkung haben müsse. Unser Vater weiß, ehe wir ihn bitten, was wir bedürfen.
Und dann: legt nicht jedes Gebet eine Pflicht auf? Nämlich die, daß wir keine
Wunder fordern, sondern daß wir daran gehen, mit allen zu Gebote stehenden
Mitteln dieser Welt das auch unsrerseits wirklich zu erstrebe", was wir erbitten.
Und hier möge sich doch England einmal fragen, ob Europa, ob es besonders selbst
mit dem Gebete seine Pflicht erfüllt hat. Aber nicht wahr, es betet ja eben, Weil


land will mir die Gurgel abschneiden. Ich sage nicht, daß es das will, aber
nehmen wir es an. Würde ich da nicht ein Recht haben, Deutschlands moralische
Unterstützung zu suchen?" Auf den Einwand Garretts, daß England Swasiland
nur genommen habe, um es eines Tages dem einigen Südafrika zurückzugeben,
während Madagaskar und Damaralcmd für immer an Frankreich und Deutschland
verloren seien, sagte der Präsident: „Das nützt mich nichts, wenn man mir Swasi¬
land nimmt und giebt es an Natal. Swasiland ist von Rechts wegen unser. Natal
war ja auch unser. Es ist doch nicht anders, als wenn man mir die Uhr aus
der Tasche stiehlt." Vom Stimmrecht der Uitlanders sagte der Präsident mit ge¬
sundem Verstand: „Ich kenne weder Engländer, noch Holländer, noch Uitlanders,
ich kenne nur gute und schlechte Leute. Schlechte Leute, die wir leichtherzig herein¬
gelassen haben, waren es, die seinerzeit England zur Annexion des Freistaats Ver¬
leiteten. Deshalb prüfen wir jetzt immer zuerst, ob wir gute oder schlechte Leute
vor uns haben." > ^ -


England lehrt beten.

In der letzten Nummer der Christlichen Welt finden
wir in großem, auffälligen Druck einen von Häuptern der englischen Geistlichkeit
unterzeichneten Aufruf, der sich an die gesamte Christenheit wendet und also wohl
nicht nur an dieser Stelle an die Öffentlichkeit tritt. Der Aufruf schildert in be¬
weglichen Worten die „furchtbare Tragödie in Armenien," erklärt es für >,un-^
glaublich und unerträglich, daß die Christenheit noch immer apathisch und machtlos
vor diesem schrecklichen Schauspiel verharre," und nennt schließlich seinen eigentlichen
Zweck, nämlich „alle, die auf Leben und Wirken der Kirche Jesu Christi Einfluß
haben, inständigst und demütig zu bitten, alle Kraft des Gebets, das in der Kirche
wirksam ist, zu sammeln und Gott den Vater, Christus unsern König und den
Tröster, den heiligen Geist, anzuflehen, daß diese Schmach aufhöre; daß dem Übel
gewehrt werde; daß unsre Selbstsucht, Gleichgiltigkeit und gegenseitige Eifersucht
die Barmherzigkeit des gerechten Gottes nicht länger aufhalte und hindre an der
Rettung seines treuen Volks."

Was haben wir darauf zu antworten? Wir lassen einmal die Frage ganz aus
dem Spiel, ob wirklich den Armeniern gar keine Schuld an dem Streite beizu¬
messen sei, und nehmen an, sie seien wirklich „Gottes treues Volk," seien wirklich
unschuldig um ihres Glaubens willen bedrückte, verfolgte, auf unmenschliche Weise
bedrängte; dann ist es in der That unerträglich, daß wir „noch immer apathisch
vor diesem schrecklichen Schauspiel verharren," dann »vollen wir auch sofort dem
Rufe folgen und der Unglücklichen in unserm Gebete von Herzen mit gedenken.

Aber ist das unsre ganze Antwort? Ich verdenke es keinem, wenn er beim
Lesen des Ausrufs den Kopf geschüttelt oder gerade heraus gelacht hat. Diese
Stimme von England her nimmt sich doch wirklich sehr sonderbar aus! Aber lachen
wir lieber nicht, denn die Sache ist im Grunde recht ernst. Weshalb müssen wir
aber den Kopf schütteln zu solchen Worten? Weil wir wohl an die Macht des
Gebets glauben, aber in sehr anderm Sinne als die Verfasser des Ausrufs. Diese
„Sammlung aller Kraft des Gebets in der Kirche" klingt doch sehr, als ob hier
eine Massendemonstration einen ganz besondern Einfluß ans die göttliche Welten¬
lenkung haben müsse. Unser Vater weiß, ehe wir ihn bitten, was wir bedürfen.
Und dann: legt nicht jedes Gebet eine Pflicht auf? Nämlich die, daß wir keine
Wunder fordern, sondern daß wir daran gehen, mit allen zu Gebote stehenden
Mitteln dieser Welt das auch unsrerseits wirklich zu erstrebe», was wir erbitten.
Und hier möge sich doch England einmal fragen, ob Europa, ob es besonders selbst
mit dem Gebete seine Pflicht erfüllt hat. Aber nicht wahr, es betet ja eben, Weil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/211>, abgerufen am 25.11.2024.