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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Osten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

muß man Fachmann sein, um ein Urteil abzugeben. Ich tadle nicht ihn,
sondern ich tadle die Regierung, die ihn an diese Stelle gesetzt hat. Wohl
haben wir eine Reihe Geschäftsführer in unsern Kanalvereinen, die auch
nicht von Haus aus Volkswirte waren; aber sie sind es doch geworden und
haben Gutes geleistet. Wer aber bisher dem Fache fremd war und plötzlich
einen solchen Auftrag bekommt, der kann nicht gerade der beste Verteidiger
einer wirtschaftlichen Position im Kampfe genannt werden. Dessen sind sich
auch unsre überaus tüchtigen Techniker bewußt, und die Übernahme derartiger
Aufträge zählt nicht gerade zu ihren Freuden. Aber es heißt gehorchen. Außer
den Arbeiten der hannöverschen Ausschüsse kenne ich nur eine Arbeit aus
Vreslau. die tiefer in die Sache eingedrungen ist. Die zahllosen Einzelgut¬
achten von Handelskammern. Magistraten usw. aber sind nicht genügend be¬
nutzt und ausgebeutet, sind auch nicht überall mit der genanen Kenntnis der
begutachtenden Stellen studirt worden, die die Urteile oder ihren Wert erst ins
rechte Licht rückt. Die einzige Entschuldigung. die sich sür die Regierung an¬
führen läßt, klingt beinahe absurd, ist aber leider richtig: die Regierung hat
eben keine Volkswirte.

Als ich zuerst an die Beurteilung der Sache heranging, dachte ich offen
gestanden daran, einen statistischen Nachweis für die Unstatthaftigkeit des er¬
wachten Gegensatzes zu liefern. Ich wollte zeigen, daß sich Vorteile auf beiden
Seiten finden, sich aber mit den Nachteilen ausgleichen. Denn daß die Sta¬
tistik dies ergeben muß, liegt für den objektiven Beurteiler auf der Hand. Ich
turnte gewaltige Zahlenreihen ans: erst den Umfang der Ost- und der West¬
industrie, die Transportmengen, die Trausportwege, die Frachtsätze, die Ein-
und Ausfuhr. Dann ging ich daran, den Konsum der Hauptmassenartikel für
den Kopf der Bevölkerung festzustellen und ihn zu der Dichtigkeit in den ein¬
zelnen Provinzen in Beziehung zu setzen. Ich nahm die Wnsserstände der be¬
deuteten Flüsse und Kanäle auf, ihre Tragfähigkeit usw. Aber je mehr ich
Zahlen auf Zahlen häufte, desto mehr wurde mir klar, daß die Aufstellung
solcher Exempel, wie sast überall, so auch hier zwecklos, ja sogar falsch und
gefährlich sei. Warum? Weil sie bestimmten einzelnen Erwerbszweigen, Fabri-
kationsgrnppcn und Interessentenkreisen nnr neue und schärfere Waffen zum
Kampfe liefern würde, und zwar beiden Seiten, dem Osten wie dem Westen.
Was wir wollen, ist aber nicht der Kampf, sondern der Friede. Es sollen
nicht die einzelnen Svnderinteressen aufgerufen und gegeneinandergestellt werden;
es soll nicht darnach addirt und subtrahirt werden, und wo sich die größere
Schlußsumme ergiebt. etwa die Entscheidung hinfallet,. Solche schematische
Behandlung könnte zu schlimmen Fehlern führen: wer am lautesten schriee und
seine Zahlen in die beste Beleuchtung zu setzen wüßte, der schösse deu Vogel
ab, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht. So manches könnte dabei auch über¬
sehen werden. Gewiß, von einer vergleichenden Abwägung der Stimmen, die
da laut werden, soll das Ergebnis beeinflußt werden. Aber ausschlaggebend


Der Osten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

muß man Fachmann sein, um ein Urteil abzugeben. Ich tadle nicht ihn,
sondern ich tadle die Regierung, die ihn an diese Stelle gesetzt hat. Wohl
haben wir eine Reihe Geschäftsführer in unsern Kanalvereinen, die auch
nicht von Haus aus Volkswirte waren; aber sie sind es doch geworden und
haben Gutes geleistet. Wer aber bisher dem Fache fremd war und plötzlich
einen solchen Auftrag bekommt, der kann nicht gerade der beste Verteidiger
einer wirtschaftlichen Position im Kampfe genannt werden. Dessen sind sich
auch unsre überaus tüchtigen Techniker bewußt, und die Übernahme derartiger
Aufträge zählt nicht gerade zu ihren Freuden. Aber es heißt gehorchen. Außer
den Arbeiten der hannöverschen Ausschüsse kenne ich nur eine Arbeit aus
Vreslau. die tiefer in die Sache eingedrungen ist. Die zahllosen Einzelgut¬
achten von Handelskammern. Magistraten usw. aber sind nicht genügend be¬
nutzt und ausgebeutet, sind auch nicht überall mit der genanen Kenntnis der
begutachtenden Stellen studirt worden, die die Urteile oder ihren Wert erst ins
rechte Licht rückt. Die einzige Entschuldigung. die sich sür die Regierung an¬
führen läßt, klingt beinahe absurd, ist aber leider richtig: die Regierung hat
eben keine Volkswirte.

Als ich zuerst an die Beurteilung der Sache heranging, dachte ich offen
gestanden daran, einen statistischen Nachweis für die Unstatthaftigkeit des er¬
wachten Gegensatzes zu liefern. Ich wollte zeigen, daß sich Vorteile auf beiden
Seiten finden, sich aber mit den Nachteilen ausgleichen. Denn daß die Sta¬
tistik dies ergeben muß, liegt für den objektiven Beurteiler auf der Hand. Ich
turnte gewaltige Zahlenreihen ans: erst den Umfang der Ost- und der West¬
industrie, die Transportmengen, die Trausportwege, die Frachtsätze, die Ein-
und Ausfuhr. Dann ging ich daran, den Konsum der Hauptmassenartikel für
den Kopf der Bevölkerung festzustellen und ihn zu der Dichtigkeit in den ein¬
zelnen Provinzen in Beziehung zu setzen. Ich nahm die Wnsserstände der be¬
deuteten Flüsse und Kanäle auf, ihre Tragfähigkeit usw. Aber je mehr ich
Zahlen auf Zahlen häufte, desto mehr wurde mir klar, daß die Aufstellung
solcher Exempel, wie sast überall, so auch hier zwecklos, ja sogar falsch und
gefährlich sei. Warum? Weil sie bestimmten einzelnen Erwerbszweigen, Fabri-
kationsgrnppcn und Interessentenkreisen nnr neue und schärfere Waffen zum
Kampfe liefern würde, und zwar beiden Seiten, dem Osten wie dem Westen.
Was wir wollen, ist aber nicht der Kampf, sondern der Friede. Es sollen
nicht die einzelnen Svnderinteressen aufgerufen und gegeneinandergestellt werden;
es soll nicht darnach addirt und subtrahirt werden, und wo sich die größere
Schlußsumme ergiebt. etwa die Entscheidung hinfallet,. Solche schematische
Behandlung könnte zu schlimmen Fehlern führen: wer am lautesten schriee und
seine Zahlen in die beste Beleuchtung zu setzen wüßte, der schösse deu Vogel
ab, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht. So manches könnte dabei auch über¬
sehen werden. Gewiß, von einer vergleichenden Abwägung der Stimmen, die
da laut werden, soll das Ergebnis beeinflußt werden. Aber ausschlaggebend


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[0021] Der Osten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich muß man Fachmann sein, um ein Urteil abzugeben. Ich tadle nicht ihn, sondern ich tadle die Regierung, die ihn an diese Stelle gesetzt hat. Wohl haben wir eine Reihe Geschäftsführer in unsern Kanalvereinen, die auch nicht von Haus aus Volkswirte waren; aber sie sind es doch geworden und haben Gutes geleistet. Wer aber bisher dem Fache fremd war und plötzlich einen solchen Auftrag bekommt, der kann nicht gerade der beste Verteidiger einer wirtschaftlichen Position im Kampfe genannt werden. Dessen sind sich auch unsre überaus tüchtigen Techniker bewußt, und die Übernahme derartiger Aufträge zählt nicht gerade zu ihren Freuden. Aber es heißt gehorchen. Außer den Arbeiten der hannöverschen Ausschüsse kenne ich nur eine Arbeit aus Vreslau. die tiefer in die Sache eingedrungen ist. Die zahllosen Einzelgut¬ achten von Handelskammern. Magistraten usw. aber sind nicht genügend be¬ nutzt und ausgebeutet, sind auch nicht überall mit der genanen Kenntnis der begutachtenden Stellen studirt worden, die die Urteile oder ihren Wert erst ins rechte Licht rückt. Die einzige Entschuldigung. die sich sür die Regierung an¬ führen läßt, klingt beinahe absurd, ist aber leider richtig: die Regierung hat eben keine Volkswirte. Als ich zuerst an die Beurteilung der Sache heranging, dachte ich offen gestanden daran, einen statistischen Nachweis für die Unstatthaftigkeit des er¬ wachten Gegensatzes zu liefern. Ich wollte zeigen, daß sich Vorteile auf beiden Seiten finden, sich aber mit den Nachteilen ausgleichen. Denn daß die Sta¬ tistik dies ergeben muß, liegt für den objektiven Beurteiler auf der Hand. Ich turnte gewaltige Zahlenreihen ans: erst den Umfang der Ost- und der West¬ industrie, die Transportmengen, die Trausportwege, die Frachtsätze, die Ein- und Ausfuhr. Dann ging ich daran, den Konsum der Hauptmassenartikel für den Kopf der Bevölkerung festzustellen und ihn zu der Dichtigkeit in den ein¬ zelnen Provinzen in Beziehung zu setzen. Ich nahm die Wnsserstände der be¬ deuteten Flüsse und Kanäle auf, ihre Tragfähigkeit usw. Aber je mehr ich Zahlen auf Zahlen häufte, desto mehr wurde mir klar, daß die Aufstellung solcher Exempel, wie sast überall, so auch hier zwecklos, ja sogar falsch und gefährlich sei. Warum? Weil sie bestimmten einzelnen Erwerbszweigen, Fabri- kationsgrnppcn und Interessentenkreisen nnr neue und schärfere Waffen zum Kampfe liefern würde, und zwar beiden Seiten, dem Osten wie dem Westen. Was wir wollen, ist aber nicht der Kampf, sondern der Friede. Es sollen nicht die einzelnen Svnderinteressen aufgerufen und gegeneinandergestellt werden; es soll nicht darnach addirt und subtrahirt werden, und wo sich die größere Schlußsumme ergiebt. etwa die Entscheidung hinfallet,. Solche schematische Behandlung könnte zu schlimmen Fehlern führen: wer am lautesten schriee und seine Zahlen in die beste Beleuchtung zu setzen wüßte, der schösse deu Vogel ab, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht. So manches könnte dabei auch über¬ sehen werden. Gewiß, von einer vergleichenden Abwägung der Stimmen, die da laut werden, soll das Ergebnis beeinflußt werden. Aber ausschlaggebend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/21>, abgerufen am 01.09.2024.