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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Englische historische Romane

zu schildern hat, einen Stich ins Pretiöse oder spielt, wenn er, wie Black-
more in "Loma Dovre," eine Durchschnittsnatur und alltägliche Zustände
darstellt (die sich sehr wohl mit abenteuerlichen Erlebnissen vertragen), in die
Trivialität der bloßen Spannungs- und Unterhaltungserzählung hinüber.
Bringt man in Anschlag, daß drei Viertel der kulturgeschichtlichen Romane
Jungenglands von ähnlichem Gepräge sind, so läßt sich begreiflicherweise wenig
Freude an diesen Leistungen gewinnen. Jedenfalls berühren sie unsre Lit¬
teratur nicht.

Gleichfalls der "Romantischen Bibliothek" angehörig ist die Übertragung
eines englischen Romans, der freilich nicht zu den historischen zählt, sondern
eher ein Beitrag zur Geistesgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts genannt
werden kann. Der Roman Aus zwei Welten von Maria Corelli (aus
dem Englischen von Jsabella Hummel) ist mit seinen Vorreden und Nachworten
ein charakteristisches Zeugnis dafür, in welcher Weise der Höhenwahn und die
Sensationssucht am Ende dieses Jahrhunderts alle Kreise, alle Weltanschauungen
durchdringen. Die Verfasserin, die sich ihrer idealen wie ihrer christlichen Ge¬
sinnung rühmt, Predigt, daß das Leben Elektrizität sei, will mit ihrem Roman
nichts mehr und nichts weniger beweisen, als daß "erstens Gott und sein Geist
wahrhaft bestehen; zweitens, daß, während wir die kleinlichen Geschäfte unsrer
Zeitlichkeit mit dem gleichen thörichten Eifer betreiben, mit dem Kinder Karten¬
häuser aufbauen, sich die ungeheure Zentralsphäre stetig um uns dreht und
der elektrische Ring stark und unzerstörbar ewig sein Werk des Schaffens und
Wiederzerstörens vollbringt; drittens, daß jeder Gedanke und jegliches Wort
von jedem Bewohner auf jedem Planeten in leuchtenden Lettern vor den Augen
des Schöpfers aufflammt, ihm ebenso leicht lesbar wie ein Telegramm; viertens,
daß diese Erde der einzige Fleck im Universum ist, wo sein Dasein wirklich
bezweifelt und angefochten wird. Dazu sind der allgemein verbreitete Realis¬
mus (!), Materialismus und Atheismus die schrecklichsten und bezeichnendsten
Zeichen unsrer Zeit. Das Werk, den Weizen vom Unkraut zu sondern, hat
jedoch begonnen." Die Offenbarung, die uns der Roman zuteil werden
lassen will, füllt jedoch keineswegs mit der demütigen Zuversicht derer zu¬
sammen, die an Gott glauben, auf die Unsterblichkeit ihrer Seele bauen und
nach dem Erdenleben ein lichtvolleres, reineres Dasein in andern Sphären er¬
warten oder doch hoffen, sondern verkündet, daß allen denen, die Christi Lehre
aufrichtig lieben und verstehen und nach der höchsten Vergeistigung eines
lautern und vollkommnen Lebens streben, wunderbar geheimnisvolle Kräfte ver¬
liehen sind, die Fähigkeit zu jeglichem Wunder, die Gabe zu heilen und gesund
zu machen, jegliche Macht auf eines Menschen Herz. "Dieser Spiritismus
ist der Ausfluß des elektrischen Geistes der Gottheit im Menschen und steht
in Verbindung mit dem erhabnen Mittelpunkt der Gottheit im Schöpfer, er
kann mit Engeln reden, kann Kranke gesund machen und Traurige trösten,


Englische historische Romane

zu schildern hat, einen Stich ins Pretiöse oder spielt, wenn er, wie Black-
more in „Loma Dovre," eine Durchschnittsnatur und alltägliche Zustände
darstellt (die sich sehr wohl mit abenteuerlichen Erlebnissen vertragen), in die
Trivialität der bloßen Spannungs- und Unterhaltungserzählung hinüber.
Bringt man in Anschlag, daß drei Viertel der kulturgeschichtlichen Romane
Jungenglands von ähnlichem Gepräge sind, so läßt sich begreiflicherweise wenig
Freude an diesen Leistungen gewinnen. Jedenfalls berühren sie unsre Lit¬
teratur nicht.

Gleichfalls der „Romantischen Bibliothek" angehörig ist die Übertragung
eines englischen Romans, der freilich nicht zu den historischen zählt, sondern
eher ein Beitrag zur Geistesgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts genannt
werden kann. Der Roman Aus zwei Welten von Maria Corelli (aus
dem Englischen von Jsabella Hummel) ist mit seinen Vorreden und Nachworten
ein charakteristisches Zeugnis dafür, in welcher Weise der Höhenwahn und die
Sensationssucht am Ende dieses Jahrhunderts alle Kreise, alle Weltanschauungen
durchdringen. Die Verfasserin, die sich ihrer idealen wie ihrer christlichen Ge¬
sinnung rühmt, Predigt, daß das Leben Elektrizität sei, will mit ihrem Roman
nichts mehr und nichts weniger beweisen, als daß „erstens Gott und sein Geist
wahrhaft bestehen; zweitens, daß, während wir die kleinlichen Geschäfte unsrer
Zeitlichkeit mit dem gleichen thörichten Eifer betreiben, mit dem Kinder Karten¬
häuser aufbauen, sich die ungeheure Zentralsphäre stetig um uns dreht und
der elektrische Ring stark und unzerstörbar ewig sein Werk des Schaffens und
Wiederzerstörens vollbringt; drittens, daß jeder Gedanke und jegliches Wort
von jedem Bewohner auf jedem Planeten in leuchtenden Lettern vor den Augen
des Schöpfers aufflammt, ihm ebenso leicht lesbar wie ein Telegramm; viertens,
daß diese Erde der einzige Fleck im Universum ist, wo sein Dasein wirklich
bezweifelt und angefochten wird. Dazu sind der allgemein verbreitete Realis¬
mus (!), Materialismus und Atheismus die schrecklichsten und bezeichnendsten
Zeichen unsrer Zeit. Das Werk, den Weizen vom Unkraut zu sondern, hat
jedoch begonnen." Die Offenbarung, die uns der Roman zuteil werden
lassen will, füllt jedoch keineswegs mit der demütigen Zuversicht derer zu¬
sammen, die an Gott glauben, auf die Unsterblichkeit ihrer Seele bauen und
nach dem Erdenleben ein lichtvolleres, reineres Dasein in andern Sphären er¬
warten oder doch hoffen, sondern verkündet, daß allen denen, die Christi Lehre
aufrichtig lieben und verstehen und nach der höchsten Vergeistigung eines
lautern und vollkommnen Lebens streben, wunderbar geheimnisvolle Kräfte ver¬
liehen sind, die Fähigkeit zu jeglichem Wunder, die Gabe zu heilen und gesund
zu machen, jegliche Macht auf eines Menschen Herz. „Dieser Spiritismus
ist der Ausfluß des elektrischen Geistes der Gottheit im Menschen und steht
in Verbindung mit dem erhabnen Mittelpunkt der Gottheit im Schöpfer, er
kann mit Engeln reden, kann Kranke gesund machen und Traurige trösten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/200>, abgerufen am 01.09.2024.