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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Osten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

ein übriges für sie thun, wenn es not thut? Die Schiffahrt bahnt die Wege
nach außen. Unsre Reederei ist die zweite der Welt. Millionen über Mil¬
lionen sind in ihr festgelegt. Sie erheischt gleiche Rücksicht, sie, die den deut¬
schen Namen in fremde Länder trügt und zu Ehren bringt. Nach alledem ist
also der Fortbestand unsrer Ausfuhr, die Behauptung unsrer Stellung auf
dem Weltmarkte recht eigentlich eine Lebensfrage. Die Rücksicht auf die Be¬
dürfnisse der Industrie als Exportindustrie stellt deshalb eine staatswirtschaft¬
liche Richtschnur dar, von der eine weise Regierung nicht leicht abweichen wird.
Erhaltung der Landwirtschaft daheim, Erhaltung der Exportfähigkeit der In¬
dustrie für den Auslandsmarkt -- das sind wichtige Schranken, denen gegen¬
über jeder halt machen soll, der seine persönlichen Interessen in der Öffent¬
lichkeit vertritt, und das sind auch die Gesichtspunkte, unter denen der
Interessengegensatz zwischen dem Osten und Westen betrachtet werden muß.

Gehen wir nun zu der Frage über, die diesen alten Gegensatz -- wir hoffen
nur sür einen Augenblick -- wieder aufleben läßt: zur Frage des Rhein-Weser-
Elbekanals. Die Regierungsvorlage betreffend den Kanal zwischen Dortmund
und dem Rhein ist am 18. Mai v. I. im preußischen Landtage mit 186 gegen
116 Stimmen abgelehnt worden. Vielleicht war es nicht richtig, nur eine
Teilstrecke der ganzen großen Wasserstraße zur Vorlage zu bringen, eine Teil¬
strecke, die weit im Westen liegt, und deren wirtschaftlicher Nutzen dem Osten
etwas fern steht. Abgekehrt ist die Vorlage offenbar infolge von Verstimmung
des Ostens, insbesondre des landwirtschaftlichen Ostens. Mit Bedauern aber
haben wir, hören müssen -- wenn die Berichte darüber auch mehr oder we¬
niger lückenhaft sind --, daß sich neuerdings auch der industrielle Osten gegen
die Vorlage wendet. Er tritt als Gegner auf, wenn auch nicht als grund¬
sätzlicher Gegner.

Die Frage der wirtschaftlichen Bedeutung des Rhein-Weser-Elbekanals ist
meiner Ansicht nach noch lange nicht genügend studirt. Die Begründung der
Vorlage vom vorigen Jahre weist arge Lücken auf. Die Regierung hat eine
unglückliche Hand gehabt; sie hat die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse
wiederholt in die Hände von Laien gelegt. Ich sage Laien, denn eine so
tief in die wirtschaftlichen Verhältnisse einschneidende Frage kann unmöglich
von Technikern genügend geprüft werden, wie es thatsächlich geschehen ist. Ich
war einmal in einer Vorstands- oder Ausschußsitzung eines unsrer größten
Kanalvereine. Da hörte ich aus dem Munde eines sonst sehr begabten und
tüchtigen Negierungstechnikers, der hernach auch mit der Prüfung der wirt¬
schaftlichen Seite der Frage beauftragt war, den Ausspruch, es sei noch sehr
zweifelhaft, ob man den Rhein-Weser-Elbekanal bis in den Rhein selbst durch¬
führen werde; hätte doch die holländische Konkurrenz dann freie Einfahrt ins
Land, und das sei hoch bedenklich. Nun, den Mann, der das gesagt hat,
schütze ich hoch als Autorität seines Faches; ich tadle ihn auch nicht um dieses
Ausspruchs halber, denn er ist eben kein Volkswirt, und im deutschen Reiche


Der Osten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

ein übriges für sie thun, wenn es not thut? Die Schiffahrt bahnt die Wege
nach außen. Unsre Reederei ist die zweite der Welt. Millionen über Mil¬
lionen sind in ihr festgelegt. Sie erheischt gleiche Rücksicht, sie, die den deut¬
schen Namen in fremde Länder trügt und zu Ehren bringt. Nach alledem ist
also der Fortbestand unsrer Ausfuhr, die Behauptung unsrer Stellung auf
dem Weltmarkte recht eigentlich eine Lebensfrage. Die Rücksicht auf die Be¬
dürfnisse der Industrie als Exportindustrie stellt deshalb eine staatswirtschaft¬
liche Richtschnur dar, von der eine weise Regierung nicht leicht abweichen wird.
Erhaltung der Landwirtschaft daheim, Erhaltung der Exportfähigkeit der In¬
dustrie für den Auslandsmarkt — das sind wichtige Schranken, denen gegen¬
über jeder halt machen soll, der seine persönlichen Interessen in der Öffent¬
lichkeit vertritt, und das sind auch die Gesichtspunkte, unter denen der
Interessengegensatz zwischen dem Osten und Westen betrachtet werden muß.

Gehen wir nun zu der Frage über, die diesen alten Gegensatz — wir hoffen
nur sür einen Augenblick — wieder aufleben läßt: zur Frage des Rhein-Weser-
Elbekanals. Die Regierungsvorlage betreffend den Kanal zwischen Dortmund
und dem Rhein ist am 18. Mai v. I. im preußischen Landtage mit 186 gegen
116 Stimmen abgelehnt worden. Vielleicht war es nicht richtig, nur eine
Teilstrecke der ganzen großen Wasserstraße zur Vorlage zu bringen, eine Teil¬
strecke, die weit im Westen liegt, und deren wirtschaftlicher Nutzen dem Osten
etwas fern steht. Abgekehrt ist die Vorlage offenbar infolge von Verstimmung
des Ostens, insbesondre des landwirtschaftlichen Ostens. Mit Bedauern aber
haben wir, hören müssen — wenn die Berichte darüber auch mehr oder we¬
niger lückenhaft sind —, daß sich neuerdings auch der industrielle Osten gegen
die Vorlage wendet. Er tritt als Gegner auf, wenn auch nicht als grund¬
sätzlicher Gegner.

Die Frage der wirtschaftlichen Bedeutung des Rhein-Weser-Elbekanals ist
meiner Ansicht nach noch lange nicht genügend studirt. Die Begründung der
Vorlage vom vorigen Jahre weist arge Lücken auf. Die Regierung hat eine
unglückliche Hand gehabt; sie hat die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse
wiederholt in die Hände von Laien gelegt. Ich sage Laien, denn eine so
tief in die wirtschaftlichen Verhältnisse einschneidende Frage kann unmöglich
von Technikern genügend geprüft werden, wie es thatsächlich geschehen ist. Ich
war einmal in einer Vorstands- oder Ausschußsitzung eines unsrer größten
Kanalvereine. Da hörte ich aus dem Munde eines sonst sehr begabten und
tüchtigen Negierungstechnikers, der hernach auch mit der Prüfung der wirt¬
schaftlichen Seite der Frage beauftragt war, den Ausspruch, es sei noch sehr
zweifelhaft, ob man den Rhein-Weser-Elbekanal bis in den Rhein selbst durch¬
führen werde; hätte doch die holländische Konkurrenz dann freie Einfahrt ins
Land, und das sei hoch bedenklich. Nun, den Mann, der das gesagt hat,
schütze ich hoch als Autorität seines Faches; ich tadle ihn auch nicht um dieses
Ausspruchs halber, denn er ist eben kein Volkswirt, und im deutschen Reiche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/20>, abgerufen am 01.09.2024.