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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

4. Oktober 1870 zugesichert worden war. Herr von Ernsthausen brauchte
hierauf die begreifliche Vorsicht, in der schriftlichen Fassung seiner Forde¬
rungen nur das Zugestandn" zu erwähnen, das Abgelehnte nicht.

Hier unterbricht Servais seine Erzählung, um sein Verhalten zu recht¬
fertigen. Er sei, sagt er, nie ein Chauvin gewesen, wie dieser oder jener seiner
Landsleute; er sei überdies durch den luxemburgischen Geschäftsträger in Berlin
immer vortrefflich unterrichtet gewesen. Dieser habe ihm z. B. drei Wochen
vor der Übergabe von Metz, am 5. Oktober 1870, als das Ergebnis von
Unterredungen mit Mitgliedern des Ministeriums und des Bundesrath mitge¬
teilt, Deutschland erkenne noch immer den Kaiser Napoleon als berechtigten
Herrscher an; es solle eine Regentschaft zu Gunsten des kaiserlichen Prinzen
eingesetzt werden; zu diesem Zwecke müsse mau sich der Unterstützung des Mar¬
schalls Bazaine und seiner Armee versichern; es scheine, daß man mit dem
Marschall bereits in Verhandlung stehe, er werde mit Hilfe Preußens den
Schutz des kaiserlichen Prinzen in0^kling,Qt ooiripsusatioii wohl über¬
nehmen; die Sache solle nach dem Falle von Paris eingeleitet werden. Weiter
berichtet der Geschäftsträger Föhr -- die Zeit ist nicht angegeben --, er sei
im Vorzimmer des Unterstaatssekretärs von Thiele mit Bancroft, dem Ver¬
treter der Vereinigten Staaten, zusammengetroffen, der ihm gleich eröffnet habe,
er sei gekommen, um der deutschen Regierung mitzuteilen, was er soeben durch
einen amerikanischen Obersten erfahren habe, der Paris im Luftballon verlassen
und dann nach Berlin gekommen sei, daß nämlich Paris von Lebensmitteln
völlig entblößt und genötigt sei, zu kapituliren. Servais erzählt dann weiter,
die deutschen Zeitungen hätten Herrn Föhr nach dessen Tode viel Lob ge¬
spendet, weil sie geglaubt hätten, der Verstorbne habe lebhafte Sympathien für
Deutschland gehabt; das sei aber ganz und gar nicht der Fall gewesen, Föhr
habe sich vielmehr in seinem Briefwechsel mit ihm über deutsche Angelegenheiten
so ausgelassen, daß er, der Minister, in der Befürchtung, daß das Brief¬
geheimnis auf dem Wege von Luxemburg nach Berlin nicht in gleicher Weise
geachtet werden möchte, wie auf dem Wege von Berlin nach Luxemburg, es
ängstlich unterlassen habe, auf solche Auslassungen zu antworten. Wer Föhr,
den äiplvilmts iuM'ovisö, wie ihn Servais nennt, gekannt hat, der wird in
seinem Urteil über diesen tüchtigen und eifrigen Mann auch durch die Ent¬
hüllung nicht irre gemacht werden, daß er oft anders gedacht als gesprochen
hat. Das gehört zum Geschäft; zum Geschäft gehört aber nicht das Aus¬
plaudern solcher Dinge. Mußte Servais, nachdem er sich ebeu von dem Ver¬
dachte französischer Gesinnungen gereinigt hat, seinen Vertrauensmann von dem
Verdachte deiltscher Gesinnungen reinigen?

Auf die Note des Grafen Vismarck vom 3. Dezember 1870 entstand und
erhielt sich trotz verschiedner gegenteiliger Kundgebungen der luxemburgischen
Regierung hartnäckig, das Gerücht, daß der König der Niederlande mit Preußen


Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

4. Oktober 1870 zugesichert worden war. Herr von Ernsthausen brauchte
hierauf die begreifliche Vorsicht, in der schriftlichen Fassung seiner Forde¬
rungen nur das Zugestandn« zu erwähnen, das Abgelehnte nicht.

Hier unterbricht Servais seine Erzählung, um sein Verhalten zu recht¬
fertigen. Er sei, sagt er, nie ein Chauvin gewesen, wie dieser oder jener seiner
Landsleute; er sei überdies durch den luxemburgischen Geschäftsträger in Berlin
immer vortrefflich unterrichtet gewesen. Dieser habe ihm z. B. drei Wochen
vor der Übergabe von Metz, am 5. Oktober 1870, als das Ergebnis von
Unterredungen mit Mitgliedern des Ministeriums und des Bundesrath mitge¬
teilt, Deutschland erkenne noch immer den Kaiser Napoleon als berechtigten
Herrscher an; es solle eine Regentschaft zu Gunsten des kaiserlichen Prinzen
eingesetzt werden; zu diesem Zwecke müsse mau sich der Unterstützung des Mar¬
schalls Bazaine und seiner Armee versichern; es scheine, daß man mit dem
Marschall bereits in Verhandlung stehe, er werde mit Hilfe Preußens den
Schutz des kaiserlichen Prinzen in0^kling,Qt ooiripsusatioii wohl über¬
nehmen; die Sache solle nach dem Falle von Paris eingeleitet werden. Weiter
berichtet der Geschäftsträger Föhr — die Zeit ist nicht angegeben —, er sei
im Vorzimmer des Unterstaatssekretärs von Thiele mit Bancroft, dem Ver¬
treter der Vereinigten Staaten, zusammengetroffen, der ihm gleich eröffnet habe,
er sei gekommen, um der deutschen Regierung mitzuteilen, was er soeben durch
einen amerikanischen Obersten erfahren habe, der Paris im Luftballon verlassen
und dann nach Berlin gekommen sei, daß nämlich Paris von Lebensmitteln
völlig entblößt und genötigt sei, zu kapituliren. Servais erzählt dann weiter,
die deutschen Zeitungen hätten Herrn Föhr nach dessen Tode viel Lob ge¬
spendet, weil sie geglaubt hätten, der Verstorbne habe lebhafte Sympathien für
Deutschland gehabt; das sei aber ganz und gar nicht der Fall gewesen, Föhr
habe sich vielmehr in seinem Briefwechsel mit ihm über deutsche Angelegenheiten
so ausgelassen, daß er, der Minister, in der Befürchtung, daß das Brief¬
geheimnis auf dem Wege von Luxemburg nach Berlin nicht in gleicher Weise
geachtet werden möchte, wie auf dem Wege von Berlin nach Luxemburg, es
ängstlich unterlassen habe, auf solche Auslassungen zu antworten. Wer Föhr,
den äiplvilmts iuM'ovisö, wie ihn Servais nennt, gekannt hat, der wird in
seinem Urteil über diesen tüchtigen und eifrigen Mann auch durch die Ent¬
hüllung nicht irre gemacht werden, daß er oft anders gedacht als gesprochen
hat. Das gehört zum Geschäft; zum Geschäft gehört aber nicht das Aus¬
plaudern solcher Dinge. Mußte Servais, nachdem er sich ebeu von dem Ver¬
dachte französischer Gesinnungen gereinigt hat, seinen Vertrauensmann von dem
Verdachte deiltscher Gesinnungen reinigen?

Auf die Note des Grafen Vismarck vom 3. Dezember 1870 entstand und
erhielt sich trotz verschiedner gegenteiliger Kundgebungen der luxemburgischen
Regierung hartnäckig, das Gerücht, daß der König der Niederlande mit Preußen


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[0194] Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais 4. Oktober 1870 zugesichert worden war. Herr von Ernsthausen brauchte hierauf die begreifliche Vorsicht, in der schriftlichen Fassung seiner Forde¬ rungen nur das Zugestandn« zu erwähnen, das Abgelehnte nicht. Hier unterbricht Servais seine Erzählung, um sein Verhalten zu recht¬ fertigen. Er sei, sagt er, nie ein Chauvin gewesen, wie dieser oder jener seiner Landsleute; er sei überdies durch den luxemburgischen Geschäftsträger in Berlin immer vortrefflich unterrichtet gewesen. Dieser habe ihm z. B. drei Wochen vor der Übergabe von Metz, am 5. Oktober 1870, als das Ergebnis von Unterredungen mit Mitgliedern des Ministeriums und des Bundesrath mitge¬ teilt, Deutschland erkenne noch immer den Kaiser Napoleon als berechtigten Herrscher an; es solle eine Regentschaft zu Gunsten des kaiserlichen Prinzen eingesetzt werden; zu diesem Zwecke müsse mau sich der Unterstützung des Mar¬ schalls Bazaine und seiner Armee versichern; es scheine, daß man mit dem Marschall bereits in Verhandlung stehe, er werde mit Hilfe Preußens den Schutz des kaiserlichen Prinzen in0^kling,Qt ooiripsusatioii wohl über¬ nehmen; die Sache solle nach dem Falle von Paris eingeleitet werden. Weiter berichtet der Geschäftsträger Föhr — die Zeit ist nicht angegeben —, er sei im Vorzimmer des Unterstaatssekretärs von Thiele mit Bancroft, dem Ver¬ treter der Vereinigten Staaten, zusammengetroffen, der ihm gleich eröffnet habe, er sei gekommen, um der deutschen Regierung mitzuteilen, was er soeben durch einen amerikanischen Obersten erfahren habe, der Paris im Luftballon verlassen und dann nach Berlin gekommen sei, daß nämlich Paris von Lebensmitteln völlig entblößt und genötigt sei, zu kapituliren. Servais erzählt dann weiter, die deutschen Zeitungen hätten Herrn Föhr nach dessen Tode viel Lob ge¬ spendet, weil sie geglaubt hätten, der Verstorbne habe lebhafte Sympathien für Deutschland gehabt; das sei aber ganz und gar nicht der Fall gewesen, Föhr habe sich vielmehr in seinem Briefwechsel mit ihm über deutsche Angelegenheiten so ausgelassen, daß er, der Minister, in der Befürchtung, daß das Brief¬ geheimnis auf dem Wege von Luxemburg nach Berlin nicht in gleicher Weise geachtet werden möchte, wie auf dem Wege von Berlin nach Luxemburg, es ängstlich unterlassen habe, auf solche Auslassungen zu antworten. Wer Föhr, den äiplvilmts iuM'ovisö, wie ihn Servais nennt, gekannt hat, der wird in seinem Urteil über diesen tüchtigen und eifrigen Mann auch durch die Ent¬ hüllung nicht irre gemacht werden, daß er oft anders gedacht als gesprochen hat. Das gehört zum Geschäft; zum Geschäft gehört aber nicht das Aus¬ plaudern solcher Dinge. Mußte Servais, nachdem er sich ebeu von dem Ver¬ dachte französischer Gesinnungen gereinigt hat, seinen Vertrauensmann von dem Verdachte deiltscher Gesinnungen reinigen? Auf die Note des Grafen Vismarck vom 3. Dezember 1870 entstand und erhielt sich trotz verschiedner gegenteiliger Kundgebungen der luxemburgischen Regierung hartnäckig, das Gerücht, daß der König der Niederlande mit Preußen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/194>, abgerufen am 01.09.2024.