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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Gsten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

sogenannte Volkswirtschaft, die nicht zugleich Staatswirtschaft ist, wie sie viele
Nationalökonomen lehren, lehne ich ab. weil ich sie für eine Konstruktion halte,
die der wirklichen Grundlage entbehrt. Das aber können wir zu unsrer Freude
und Genugthuung sagen: wir haben in Deutschland und in seinen Interessen¬
vertretungen eine sehr große Anzahl von Männern, denen diese Auffassung vom
Staatsorganismus in Fleisch und Blut übergegangen ist, und die in ihrer Ar¬
beit in Vereinen. Körperschaften und Handelskammern stets die Mäßigung und
Klärung für die Forderungen ihrer Kreise finden, die ein gedeihliches Fort¬
bestehen des Ganzen verbürgt. Darum dürfen wir auch hier, wo der alte
Widerstreit zu erwachen scheint zwischen so gewaltigen Mächten, wie dem Osten
und dem Westen des Reichs, hoffen, daß das Schwert der Feindseligkeit in me
Scheide gesteckt werden wird, kaum daß es gezogen ist. zum Wohle des Ganzen;
daß kein ersprießliches Werk gehindert werden wird, weil es in erster Linie den
einem und vielleicht erst in zweiter Linie dem andern dient.

Ich sagte oben, wir lebten nicht nur im Nationalstaate, sondern wir lebten
auch nicht allein in der Welt. Und in der That: der nationale Markt sei unsre
erste Sorge, aber gleich die zweite sei unsre Stellung auf dem Weltmarkt. Und
warum bedürfen wir dessen? Weil unser Land arm. unsre Erde nicht überall
fruchtbar und der hungrigen Mäuler gar viele sind. Die Bevölkerung wächst, ihr
Hunger wächst mit ihr, aber die Produktionskraft des Grund und Bodens ist nicht
gleich schnell zu erhöhen. Schon heute können wir nicht mehr hervorbringen,
was wir verzehren. Deutschland gehört zu den Getreideeinfuhrländern. Wohl
dem Lande, innerhalb dessen Grenzen sich alles findet, was zur Nahrung und
Notdurft seiner Bewohner nötig ist! Wohl dem Lande, das wenigstens den
Löwenanteil dieses Bedarfs in der Heimat zu decken weiß! Darum soll die
Landwirtschaft unser liebstes Pflegekind sein, und wir sollen sie unter allen
Umständen so halten, daß sie alles erzengen kann, was die natürlichen
Verhältnisse gestatten. Aber für Deutschland genügt das schon heute nicht,
und das Fehlende muß ersetzt werden. Es wird aber ersetzt durch den andern
wichtigsten Bestandteil unsrer Wirtschaft, durch die Industrie. Der Fleiß der
Hände und Köpfe ist nicht abhängig von der Ertragfnhigkeit des Bodens; er
kann schaffen und sich regen, solange die Kraft reicht, diese lebendige Kraft,
die sich aus der Bevölkerung heraus in nie versiegenden Strome entwickelt. Der
Gewerbfleiß, die Industrie tritt in die Lücke; sie geht hinaus in die Welt und
wüscht gegen ihre Produkte Werte, die für die Heimat die Nahrung schaffen.
Draußen auf dem Weltmarkte ist nicht immer gut sein; eisig pfeift da der
Sturm der Konkurrenz, und wer nicht das Blut voller Lebensfähigkeit in seinen
Adern fühlt, wird hinweggeweht aus der Gemeinschaft des Wettbewerbs. Unsre
Industriellen, die sich und ihr Kapital hinauswagen in die unsichre Fremde,
sie sind die Pioniere nicht nur unsers Fortschritts, sondern auch unsers Wohl¬
stands, die Vorkämpfer für die Erhaltung unsrer Lebensfähigkeit. Sie holen
von draußen, was drinnen fehlt. Sollen wir ihnen nicht dankbar sein und


Der Gsten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

sogenannte Volkswirtschaft, die nicht zugleich Staatswirtschaft ist, wie sie viele
Nationalökonomen lehren, lehne ich ab. weil ich sie für eine Konstruktion halte,
die der wirklichen Grundlage entbehrt. Das aber können wir zu unsrer Freude
und Genugthuung sagen: wir haben in Deutschland und in seinen Interessen¬
vertretungen eine sehr große Anzahl von Männern, denen diese Auffassung vom
Staatsorganismus in Fleisch und Blut übergegangen ist, und die in ihrer Ar¬
beit in Vereinen. Körperschaften und Handelskammern stets die Mäßigung und
Klärung für die Forderungen ihrer Kreise finden, die ein gedeihliches Fort¬
bestehen des Ganzen verbürgt. Darum dürfen wir auch hier, wo der alte
Widerstreit zu erwachen scheint zwischen so gewaltigen Mächten, wie dem Osten
und dem Westen des Reichs, hoffen, daß das Schwert der Feindseligkeit in me
Scheide gesteckt werden wird, kaum daß es gezogen ist. zum Wohle des Ganzen;
daß kein ersprießliches Werk gehindert werden wird, weil es in erster Linie den
einem und vielleicht erst in zweiter Linie dem andern dient.

Ich sagte oben, wir lebten nicht nur im Nationalstaate, sondern wir lebten
auch nicht allein in der Welt. Und in der That: der nationale Markt sei unsre
erste Sorge, aber gleich die zweite sei unsre Stellung auf dem Weltmarkt. Und
warum bedürfen wir dessen? Weil unser Land arm. unsre Erde nicht überall
fruchtbar und der hungrigen Mäuler gar viele sind. Die Bevölkerung wächst, ihr
Hunger wächst mit ihr, aber die Produktionskraft des Grund und Bodens ist nicht
gleich schnell zu erhöhen. Schon heute können wir nicht mehr hervorbringen,
was wir verzehren. Deutschland gehört zu den Getreideeinfuhrländern. Wohl
dem Lande, innerhalb dessen Grenzen sich alles findet, was zur Nahrung und
Notdurft seiner Bewohner nötig ist! Wohl dem Lande, das wenigstens den
Löwenanteil dieses Bedarfs in der Heimat zu decken weiß! Darum soll die
Landwirtschaft unser liebstes Pflegekind sein, und wir sollen sie unter allen
Umständen so halten, daß sie alles erzengen kann, was die natürlichen
Verhältnisse gestatten. Aber für Deutschland genügt das schon heute nicht,
und das Fehlende muß ersetzt werden. Es wird aber ersetzt durch den andern
wichtigsten Bestandteil unsrer Wirtschaft, durch die Industrie. Der Fleiß der
Hände und Köpfe ist nicht abhängig von der Ertragfnhigkeit des Bodens; er
kann schaffen und sich regen, solange die Kraft reicht, diese lebendige Kraft,
die sich aus der Bevölkerung heraus in nie versiegenden Strome entwickelt. Der
Gewerbfleiß, die Industrie tritt in die Lücke; sie geht hinaus in die Welt und
wüscht gegen ihre Produkte Werte, die für die Heimat die Nahrung schaffen.
Draußen auf dem Weltmarkte ist nicht immer gut sein; eisig pfeift da der
Sturm der Konkurrenz, und wer nicht das Blut voller Lebensfähigkeit in seinen
Adern fühlt, wird hinweggeweht aus der Gemeinschaft des Wettbewerbs. Unsre
Industriellen, die sich und ihr Kapital hinauswagen in die unsichre Fremde,
sie sind die Pioniere nicht nur unsers Fortschritts, sondern auch unsers Wohl¬
stands, die Vorkämpfer für die Erhaltung unsrer Lebensfähigkeit. Sie holen
von draußen, was drinnen fehlt. Sollen wir ihnen nicht dankbar sein und


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[0019] Der Gsten und der Westen des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich sogenannte Volkswirtschaft, die nicht zugleich Staatswirtschaft ist, wie sie viele Nationalökonomen lehren, lehne ich ab. weil ich sie für eine Konstruktion halte, die der wirklichen Grundlage entbehrt. Das aber können wir zu unsrer Freude und Genugthuung sagen: wir haben in Deutschland und in seinen Interessen¬ vertretungen eine sehr große Anzahl von Männern, denen diese Auffassung vom Staatsorganismus in Fleisch und Blut übergegangen ist, und die in ihrer Ar¬ beit in Vereinen. Körperschaften und Handelskammern stets die Mäßigung und Klärung für die Forderungen ihrer Kreise finden, die ein gedeihliches Fort¬ bestehen des Ganzen verbürgt. Darum dürfen wir auch hier, wo der alte Widerstreit zu erwachen scheint zwischen so gewaltigen Mächten, wie dem Osten und dem Westen des Reichs, hoffen, daß das Schwert der Feindseligkeit in me Scheide gesteckt werden wird, kaum daß es gezogen ist. zum Wohle des Ganzen; daß kein ersprießliches Werk gehindert werden wird, weil es in erster Linie den einem und vielleicht erst in zweiter Linie dem andern dient. Ich sagte oben, wir lebten nicht nur im Nationalstaate, sondern wir lebten auch nicht allein in der Welt. Und in der That: der nationale Markt sei unsre erste Sorge, aber gleich die zweite sei unsre Stellung auf dem Weltmarkt. Und warum bedürfen wir dessen? Weil unser Land arm. unsre Erde nicht überall fruchtbar und der hungrigen Mäuler gar viele sind. Die Bevölkerung wächst, ihr Hunger wächst mit ihr, aber die Produktionskraft des Grund und Bodens ist nicht gleich schnell zu erhöhen. Schon heute können wir nicht mehr hervorbringen, was wir verzehren. Deutschland gehört zu den Getreideeinfuhrländern. Wohl dem Lande, innerhalb dessen Grenzen sich alles findet, was zur Nahrung und Notdurft seiner Bewohner nötig ist! Wohl dem Lande, das wenigstens den Löwenanteil dieses Bedarfs in der Heimat zu decken weiß! Darum soll die Landwirtschaft unser liebstes Pflegekind sein, und wir sollen sie unter allen Umständen so halten, daß sie alles erzengen kann, was die natürlichen Verhältnisse gestatten. Aber für Deutschland genügt das schon heute nicht, und das Fehlende muß ersetzt werden. Es wird aber ersetzt durch den andern wichtigsten Bestandteil unsrer Wirtschaft, durch die Industrie. Der Fleiß der Hände und Köpfe ist nicht abhängig von der Ertragfnhigkeit des Bodens; er kann schaffen und sich regen, solange die Kraft reicht, diese lebendige Kraft, die sich aus der Bevölkerung heraus in nie versiegenden Strome entwickelt. Der Gewerbfleiß, die Industrie tritt in die Lücke; sie geht hinaus in die Welt und wüscht gegen ihre Produkte Werte, die für die Heimat die Nahrung schaffen. Draußen auf dem Weltmarkte ist nicht immer gut sein; eisig pfeift da der Sturm der Konkurrenz, und wer nicht das Blut voller Lebensfähigkeit in seinen Adern fühlt, wird hinweggeweht aus der Gemeinschaft des Wettbewerbs. Unsre Industriellen, die sich und ihr Kapital hinauswagen in die unsichre Fremde, sie sind die Pioniere nicht nur unsers Fortschritts, sondern auch unsers Wohl¬ stands, die Vorkämpfer für die Erhaltung unsrer Lebensfähigkeit. Sie holen von draußen, was drinnen fehlt. Sollen wir ihnen nicht dankbar sein und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/19>, abgerufen am 01.09.2024.